Neue Öffentlichkeit(en) verstehen – mit der DFB-Kadernominierung

Was haben die Dachdeckerin Chiara, Rashid Hamid vom Account pflege.smile oder Dennis und Benni Wolter von World Wide Wohnzimmer gemeinsam? Sie sind alle bisher nicht mit Beiträgen zum Thema Sport oder Fußball-Nationalmannschaft aufgefallen. Bis zu dieser Woche, in der der Deutsche Fußballbund (DFB) mit einer neuen Form der Öffentlichtkeits-Arbeit häppchenweise den Kader für die Nationalmannschaft der Herren bei der Europameisterschaft im Sommer in Deutschland bekannt gibt.

Auch für Nicht-Fußballfans ist diese Form der Kommunikation interessant, denn bis am Donnerstag das ganze Team vorgestellt wird, erleben wir sozusagen in Echtzeit eine Lehrstunde in Kommunikation mit neuen Öffentlichkeit(en). Denn auch wenn eher klassische Medien wie die tagesschau, der Radiosender Einslive und die RTL-Sendung exklusiv bei dieser Aktion mitspielen Spieler bekannt geben: Es geht hier vor allem um Akteur:innen einer neuen Öffentlichkeit. Vor der EM im eigenen Land soll so das Thema Fußball auch in Zielgruppen getragen werden, die nicht selbstverständlich Scorerpunkte oder Länderspieleinsätze zählen.

Meiner Meinung nach kann man an diesem Prozess fünf Entwicklungen aufzeigen, die neue Öffentlichkeit(en) bestimmen – und dass ich hier im Plural schreibe ist direkt die erste Erkenntnis:

1. Öffentlichkeit gibt es im Plural

Die eine Bühne, auf die alle schauen, existiert nicht mehr. Es gibt zahlreiche Bühnen, auf denen Akteur:innen auftreten, die auf anderen Bühnen niemals als Bühnen-Personal oder gar prominent wahrgenommen würden. Dennis und Benni Wolter sprechen ganz andere Menschen an als die 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau. Es mag Überschneidungen geben, aber der Begriff „Internetstar“ ist der Beweis dafür, dass es dem einen Segment von Öffentlichkeit manchmal kaum erklärbar ist, warum jemand in einem anderen Segment populär ist.

2. Neue Akteur:innen bestimmen Kommunikation

Es sind Creator:innen, die den Unterschied zu den bisherigen Kader-Nominierungen machen. Denn das klassische Medien wie die tagesschau vermelden, dass der Bundestrainer Spieler beruft, ist nicht neu. Neu ist, das Akteur:innen auf den Plan treten, die in der Tagesschau maximal als „Internetstars“ erklärt würden – aber dennoch in ihrer Nische erstaunliche Reichweiten erzielen. Diese neuen Akteur:innen zu verstehen, ist eine der zentralen Aufgaben für die Kommunikation der Zukunft.

3. Vernetzung schafft Aufmerksamkeit

Der DFB gibt exklusiv eine Nominierungs-Info an ein Medium (neu wie alt, klassisch wie social) und bekommt dafür im Austausch Aufmerksamkeit in der gewünschen Nische. Dieser Deal ist z.B. in der Musikbranche sehr bekannt. Herbert Grönemeyer feiert den 40sten Geburtstag seines Albums „Bochum“ gerade mit der Zusammenarbeit mit jungen, neuen Künster:innen, die die alten Songs neu auflegen. Der gleiche Vernetzungsprozess ist gerade auch beim DFB zu beobachten. Durch Vernetzung entsteht mehr und vor allem neue Aufmerksamkeit – für beide Seiten.

4. Kommunikation ist ein Prozess

Publikation hießt früher: Das Ausrufen über eine Rampe. In den vernetzten Räumen digitaler Öffentlichkeiten ist Kommunikation zu einem Prozess geworden – bei dem die Reaktionen des Publikums mitgedacht und eingebaut werden (wie man es z.B. am „Streit“ um das rosa Trikot beobachten konnte). Dass der DFB häppchenweise und über mehrere Tage veröffentlicht, ist Teil dieser neuen Ideen von Öffentlichkeit – nicht mehr einen lauten Knall, sondern mehrere aufeinander folgende Kommunikationsanlässe zu schaffen ist das Ziel gegenwärtiger Kommunikation. Und wird dann übrigens auch von anderen aufgegriffen – wie diese schöne Aktion vom Postillion, der die Nicht-Nominierung von Mats Hummels vermeldet.

5. Ende des Durchschnitts

All diese Aspekte fügen sich zu einer Entwicklung, die ich als „Ende des Durchschnitts“ beschreiben würde. Öffentlichkeiten segmentieren sich, neue Akteur:innen schaffen Zugänge und das onesizefitsall-Kommunikationsprodukt für eine Durchschnittsöffentlichkeit verliert an Bedeutung. Diese Entwicklung hat viele Facetten – aber mindestens eine davon lässt sich auch an der Kommunikationsstrategie bemerken. Die früher im Mittelpunkt stehende Pressemitteilung verliert so sehr an Bedeutung, dass der DFB sogar vergessen hat, diese Nominierungswoche auf der eigenen Website zu begleiten. Wer die einzelnen Nominierungs-Happen verfolgen will, muss auf die Instagram-Seite des DFB-Teams gehen.