Fünf Fragen zur angemessenen Smartphone-Nutzung

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Dieser Text ist eine kulturpragmatische Antwort auf die um sich greifende Smartphone-Angst.

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Stellen wir uns kurz vor, der Gesellschaft sei in den vergangenen Jahren nicht die Technologie des Smartphones geschenkt worden, sondern – sagen wir – ein Fahrrad. Mit dem Bild eines immer wieder scheiterenden Fahrrad-Schülers, der sich in Schlangenlinien unsicher vorwärts bewegt, lässt sich vermutlich am besten fassen, wie die Gesellschaft (übrigens natürlich nicht nur in Deutschland) gerade versucht, ohne Stürze mit dem neuen Gefährt Gerät umzugehen. Dabei sollte uns die Tatsache, dass viele Menschen in der Lage sind, den kleinen Computer ohne fremde Hilfe einzuschalten, nicht täuschen: Wir können diese in Wahrheit noch sehr neuen Geräte bedienen, aber umgehen können wir mit ihnen noch nicht. Wir müssen als Gesellschaft einen vernünftigen Umgang mit dem Smartphone erst lernen!

legweg_blendleOb die aktuelle Debatte über das ausführlich dämonisierte Smartphone dabei allerdings hilfreich ist, darf bezweifelt werden. Im Gegenteil: Nach der Lektüre der aktuellen Titelgeschichte des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ zum Thema (€-Link zu Blendle) bin ich mir sicher, dass wir erst ganz am Anfang stehen. Denn zu einem vernünftigen Umgang zählt zuvorderst der sachliche Zugang zum Thema – frei von Drogenvergleichen und Dämonisierung.

Auf dem Weg dahin stellen sich mir diese fünf Fragen, die von der Spiegel-Lektüre ausgelöst wurden, sich (in abgewandelter Form) aber auf zahlreiche Varianten der Debatte „Wie gehts du eigentlich mit dem Smartphone um?“ anwenden lassen:

1. Seit wann ist „einfach mal weglegen“ eigentlich ein sinnvoller Ratschlag für Lernende? Glaubt irgendjemand ernsthaft, der unsicher schlenkernde Radfahrschüler würde besser, wenn ihm von außen jemand zuruft: „Vielleicht einfach mal weglegen, das Ding.“ Mit diesem Satz endet die Spiegel-Geschichte – und dieser Satz wird auch auf dem Cover als Lösung verkauft. Uwe Buse, Fiona Ehlers, Özlem Gezer, Christine Luz, Dialika Neufeld und Martin Schlak (die Autor*innen der Geschichte) raten den ratlosen Smartphone-Nutzer, die Vorbilder im vernünftigen Umgang mit dem Gerät suchen, ernsthaft „dass wir uns erst mal weniger mit Maschinen beschäftigen sollten und mehr mit dem Menschen.“ Wie dadurch der Umgang mit dem Smartphone besser werden soll, sagen sie nicht. Und so bleibt ihr Fazit in etwa so hilfreich wie der Ratschlag an die unsicher fiedelnde Geigenschülerin, doch häufiger einen Ball zur Hand zu nehmen. Schließlich seien Menschen, die Ball spielen allesamt recht sportlich, viel an der frischen Luft und im Sommer mit gesunder Gesichtsfarbe beschenkt. Ob ihr Geigenspiel sich dadurch irgendwie verändert? Vermutlich wird es höchstens schlechter!

2. Wer ist eigentlich auf die Idee mit dem Drogenvergleich gekommen? Die Gesundheit ist ein hohes Gut und in der Debatte um Smartphones kommt ihr eine zentrale Rolle zu. Manfred Spitzer sagt „das Smartphone“ sei „heute das, was vor 70 Jahren die Zigarette war“ und im aktuellen Spiegel kommt eine Fachfrau mit ähnlicher Expertise zu dem Schluss: „Die Geräte sind wie Heroin, sie machen sofort abhängig.“ Die Frau, die das sagt ist Mutter zweier Kinder und Vertriebsreferentin bei der Lufthansa. Trotzdem bleibt ihr Zitat unkommentiert. Es dient mehr noch, um den emotionalen Rahmen zu setzen. Hier geht es nicht um ein technisches Gerät (das nebenbei bemerkt ohne Netzzugang für die meisten wertlos ist), hier geht es um den „Feind in meiner Hand“ (Titel), hier geht es um „Abhängige“, um einen „schädlichen Lebensstil“ und um „Verhaltensstörungen mit sozialen und psychischen Folgeproblemen“. Dieses Hochgebirge an Problemen macht sofort klar: jeglicher gar humorvoller Ansatz zu einer konstruktiven Lösung muss als ahnungsloser Flachlandspaziergang verstanden werden! Anders formuliert: Wer diese Probleme auftürmt, sucht vielleicht gar keine Lösung.

3. Wieso muss eigentlich stets die Jugend als Schreckensszenario herhalten? Die Sache mit der Sucht lässt sich übrigens noch steigern – wenn Kinder und Jugendliche ins Spiel kommen. Die Jugend war schon immer verdorben. In einer Zeit, in der die Generation der Eltern Punkrock hört und kifft, erkennen diese den Niedergang der Nachkommen aber nicht mehr in schlimmer Musik oder langen Haaren. Der heutigen Elterngeneration, die in Autos ohne Sicherheitsgurt aufgewachsen ist, treibt die Tatsache, dass ihre Kinder auf kleinen Computern tippen, tiefe Sorgenfalten auf die Stirn. Voller ehrlicher Angst lesen sie Texte über Abhängigkeit und Sucht – statt sich sehr banal auf die Suche nach dem zu machen, was Erziehung schon immer ausgemacht hat: Beispiel und Liebe (Friedrich Wilhelm August Fröbel). Aber wo sind die Vorbilder für die angemessene Handy-Nutzung in der Generation der Eltern, die Ramones-Shirts (die Echten, von früher!) tragen und mehr über die Vergangenheit sprechen als nach Lösungen für die Zukunft suchen? Wo sind die Eltern und Lehrer, die vormachen, wie man ohne Dämonisierung mit Handys umgeht?
Wer mit den wenigen spricht, die es davon zweifelsohne gibt, findet übrigens schnell raus: Sie wissen sehr genau, dass es Kern des Problems und nicht der Lösung ist, wenn man aus der Tatsache, dass man das Gerät mal unvernünftig oder übertrieben genutzt hat, gleich eine Entzugsklinik-Debatte macht.

4. Seit wann ist eigentlich alles, was man auf dem Smartphone macht gleich? Pokemons fangen, mit mehreren Menschen gleichzeitig chatten oder hochkonzentriert „Der Mann ohne Eigenschaften“ lesen – all das kann ich auf dem Smartphone tun. Und all das führt zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Man kommt sich fast wie ein Smartphone-Fanatiker vor, wenn man darauf hinweist, dass es kaum zielführend ist, alles, was man mit dem kleinen Computer tun kann, über einen kulturpessimistischen Kamm zu scheren. Hier zu differenzieren, scheint mir ein erster vorsichtiger Schritt in Richtung einer Lösung. Denn: Natürlich gibt es smartphone-verbundene Freizeitbeschäftigungen, die sprunghaft, verwirrend und unstet sind. Es gibt aber auch eine kontemplative, eine versinkende Lektüre Nutzung des Geräts. Wer sich also im gesundheitspolitischen Hochgebirge der Gefahren und Probleme zu verlaufen droht, sollte bedenken: Smartphones sind auch Bücher – und über Bücher würde der Spiegel niemals so respektlos schreiben.

5. Können wir uns vielleicht alle ein wenig locker machen? Dass Eltern ihre Kinder nicht verstehen oder mit der Art und Weise hadern, wie diese ihr Leben gestalten wollen, ist ja nun nicht wirklich neu. Und gäbe es keine Smartphones, würde sich die Debatte womöglich an anderen Gepflogenheiten entzünden. Vielleicht liegt ein erster Ansatz einer Lösung also darin, sich locker zu machen – oder zumindest das Verteufeln und die Weglegen-Debatte zu beenden. Kevin Kelly schreibt in seinem lobens- wie lesenswerten „The Inevitable“: „Unser erster Impuls scheint es zu sein, auf die wogende Veränderung der digitalen Technologie zu reagieren, indem wir zurückrudern. Es zu bremsen, zu verbieten, zu leugnen oder mindestens den Zugang zu erschweren. Aber das rächt sich. Prohibition ist höchstens kurzfristig gut, langfristig ist sie kontraproduktiv.“
Etwas mehr Anregung und viel weniger Aufregung könnten dazu führen, dass wir ganz bald viel mehr Vorbilder haben, wie man denn ein Smartphone angemessen nutzt. Dazu zählt – keine Frage – auch die Tatsache, dass man es (wie schon Peter Lustig wusste) auch mal ausmacht. Dazu zählt aber vor allem, dass man anerkennt, dass das Smartphone in sehr vielen Fällen zunächst ein Instrument des sozialen Austauschs ist. Wer es oft und ausgiebig nutzt, tut das also selten allein wegen des Geräts, sondern recht häufig wegen der Personen, mit denen er und sie darüber verbunden ist. Auch deshalb gibt es hier übrigens keine einfache Lösung.


Mehr zum Thema unter dem Schlagwort Kulturpragmatismus!

Update: Aufgrund der meinungsstarken Debatte habe ich ein Interview zum Thema geführt

19 Kommentare

Hmtja. Der Vergleich mit dem Geigenspiel hinkt aber auch, finde ich.

Selten wache ich aus zwei Stunden Geigenspielübungstrance auf und frage mich, was ich gerade eben eigentlich gemacht habe. Smartphone-Nutzung hat, wie jede andere Mediennutzung auch, ganz andere Funktionen: Ablenkung, Tröstung, Zerstreuung.

Und es ist nicht ganz unvalide, zu überlegen, ob es für Kinder nicht kontraproduktiv ist, wenn eine starke Ablenkung (Videos, Spiele) über das Smartphone so leicht zugänglich ist. Den TV-Konsum reguliert man ja auch. Und wenn ein Kind in den Ferien nur im Bett liegt und liest (Lesen! Super!), kommen die Eltern auch mit Sportangeboten. Das ist alles nicht verwerflich und keine Ablehnung der Realität, das ist der normale Versuch, eine Ausgewogenheit im Alltag herzustellen.

Der Spiegelartikel ist kein wirkliches Ruhmesblatt, aber er enthält ein paar ganz interessante Anregungen. Jetzt gleich wieder mit der Technologiefeindlichkeit zu kommen, ist einen Tick viel.

Re: „Wir können diese in Wahrheit noch sehr neuen Geräte bedienen, aber umgehen können wir mit ihnen noch nicht. Wir müssen als Gesellschaft einen vernünftigen Umgang mit dem Smartphone erst lernen!“

Mich nerven solche Verallgemeinerungen („wir“). *Wir* müssen gar nichts lernen, der persönliche Umgang mit dem eigenen Handy ist eine rein individuelle Sache. Außerdem gibt es Smartphones seit Ende der 90er-Jahre. Sie sind allenfalls für diejenigen „neu“, die auch das World Wide Web noch zu den „Neuen Medien“ zählen. ;-)

Historisch sind das World Wide Web und vor allem Smartphones sehr junge Erfindungen. Dass es eine gesellschaftliche Debatte über deren Nutzung gibt, mag „nerven“, wenn aber der Spiegel dazu eine Titelgeschichte schreibt, zeigt es doch: Es ist keine rein private Frage…

Vergleiche hinken immer. Mir geht es darum, dass ich glaube, dass wir in der Nutzung nur dann besser werden, wenn der einzige Ratschlag nicht allein „Legs doch mal weg“ ist. Wobei weglegen sicher auch ein Ratschlag sein kann- aber doch bitte nicht der einzige!

Die Debatte nervt nicht, sondern nur die erwähnte Verallgemeinerung. Der Spiegel kann das ja debattieren, wie er lustig ist. Aber es hat keine Auswirkungen auf meine private Smartphone-Nutzung.

zu 4.: das smartphone ist doch nur ein tool von vielen. chatten, informationen suchen, navigationsgerät, spielen, mails, unternehmensanwendungen, wecker, videos, musik, lesen, shoppen, fotos machen….
vielfach wird das gerät also nicht um seiner selbst willen bzw. zum puren spielen genutzt. aber das ist vielen menschen wohl immer noch nicht klar.

Zu 2: Wer auf die Idee mit dem Drogenvergleich gekommen ist, weiß ich nicht, aber es gibt einen sehr einleuchtenden Essay von Tristan Harris: »How Technology Hijacks People’s Minds« (dort ab Punkt 2: »Put a Slot Machine in a Billion Pockets«.), der recht überzeugend ist.

„heutige(n) Elterngeneration, die in Autos ohne Sicherheitsgurt aufgewachsen ist“. Der Sicherheitsgurt ist seit 1974 Pflicht. Trifft das nicht schon fast die Großelterngeneration?

Gurte musste ab 1974 ins Auto eingebaut werden, aber erst zehn Jahre später war es auch strafbewährt. Wikipedia so: „Erst als das Fahren ohne Gurt ab dem 1. August 1984 mit einem Bußgeld von 40 DM geahndet wurde, stieg die Anschnallquote von 60 auf 90 Prozent“

Gleichwohl: man kann über Eltern- oder Grosselterngeneration streiten…

Ja, war doof formuliert, Harris zieht keine Drogenvergleiche, sondern eher Abhängikeitsvergleiche. Hab ich verwechselt. Er beleuchtet es auch hauptsächlich hinsichtlich UI/UX, addictive Design. Spannend allemal.

Zu 1: Beim Radfahrenlernen gibt es ein Ziel: das sichere Fahrradfahren inklusive dem sicheren und rücksichtsvollen Verhalten im Strassenverkehr. Welches Ziel gibt es denn beim “Smartphonenlernen”? Gerade wenn man den Smombie jetzt mal im Strassenverkehr beobachtet, dann sehe ich da wenig, was sich ändern wird. Das Smartphone tut in erster Linie eines: vom Strassenverkehr ablenken. Und Bodenampeln sind da – meiner Meinung nach – auch keine Lösung.

Zu 2: Versteh’ ich nicht. Was tut es zur Sache, dass die Frau Mutter 2er Kinder ist? Bin ich auch, und ich bin ebenfalls der Meinung, dass bei einigen Benutzern eine Art Abhängigkeit von dem Gerät besteht.

Zu 3: Meine elterliche Angst über die Benutzung der “neuen Medien” durch meine Kinder besteht eher darin, dass sie an die falschen Leute geraten, oder in die Mobbingfalle laufen.

Zu 4: Mir ist egal, WAS man mit dem Smartphone macht. Das Problem ist doch eher, dass es ständig gemacht wird. Mir ist egal, ob derjenige, der mir gerade vor’s Auto gelaufen ist (weil er sich so extrem auf sein Smartphone konzentriert hat) “Der Mann ohne Eigenschaften” gelesen hat oder auf der Jagd nach einem Pokemon war. Er war unaufmerksam.

Zu 5: Ja, bei den Aktivitäten auf dem Smartphone geht es meistens um Interaktionen oder Austausch mit anderen. Aber ich bin auch froh über den Trend in meinem Bekanntenkreis, dass an Geburtstagen zumindest wieder angerufen wird, und nicht einfach ein profanes “Happy Birthday” auf meiner Pinnwand gepostet wird, weil Facebook dazu aufgefordert hat.

Nicht falsch verstehen, ich bin durchaus der Meinung, dass der Fortschritt nicht aufgehalten werden sollte, und in unserer Familie wird alles Neue interessiert betrachtet. Auch werden die Kinder an diese Dinge herangeführt, weil wir NICHT der Meinung sind, dass früher alles besser war und Holzspielzeug das einzig Wahre ist. Aber wenn ich mich umsehe, dann sehe ich Pärchen im Restaurant, die jeder für sich in ihr Smartphone schauen. Oder Schüler unterhalten sich in der S-Bahn auch nicht mehr miteinander … maximal zeigen sie sich gegenseitig irgendwelche Videos. Erwachsene sind ständig unter Strom und können nach der Arbeit nicht mehr abschalten, weil sie ständig erreichbar sind. Von daher: einfach mal weglegen, das Ding!

Zu 2: Es geht darum, dass die Meinung einer Mutter unkommentiert stehen gelassen wird, als sei es eine Expertenmeinung. Ist es nicht. Es ist eine unreflektierte, nicht durchdachte Individualmeinung, die in einem journalistischen Stück den Eindruck vermittelt, ihre Aussage sei valide. Welche Kompetenz hat sie, um Smartphones mit Heroin zu vergleichen? Keine.

Danke für die Erklärung! Nun bin ich aber schon leicht entsetzt, was jetzt da ihre Eigenschaft als Mutter dazu tut, dass ihre Aussage unreflektiert bzw. keine Expertenmeinung ist. Wäre ich auf dem Sektor sensibel, dann könnte ich mich als Mutter leicht angegriffen fühlen. Da kann man ja gerne die Profession aufführen, aber das Muttersein an sich hat damit ja wohl mal gar nichts zu tun.

da stimm ich zu. Ich nehme an, dass die Dame so im Artikel vorgestellt wurde, und dementsprechend auch hier so Erwähnung findet. Das ist aber nur Spekulation, weil ich den Spiegel-Artikel nicht gelesen habe.

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