Lösung für das KI-Problem: die seltsame berufliche Internet-Laufbahn


Dieser Text ist Teil der Juni-Folge meines monatlichen Newsletters „Digitale Notizen“, den man hier kostenlos abonnieren kann. Mehr über KI und Inhalte gibt es hier.


Vielleicht lag es am 30sten Geburtstag des Jugendmagazins jetzt in diesem Monat (Learning: die beste Zeit des Lebens ist nie nie niemals gestern), vielleicht an der allgegenwärtigen Rede von der berufsverändernden Kraft der Künstlichen Intelligenz: in jedem Fall denke ich seit einer Weile häufiger darüber nach, wie sich meine Arbeit verändert hat und wie sie sich verändern wird. Hat sie noch etwas mit dem zu tun, was ich mir damals beim Berufeinstieg unter der Job-Bezeichnung „Journalismus“ vorgestellt habe?

Ja, klar“ und natürlich in ganz vielen Bereichen auch „Nein“. Der Beruf hat sich grundlegend verändert und dabei sind auch einzelne Aufgaben hinzugekommen und weggefallen, die ich mir zum Einstieg niemals hätte vorstellen können.

(Noch immer einer der schöneren Songs über das Delta zwischen Vorstellung und Realität in Bezug auf eigene Rollen ist das Lied „Vergangenheit“ von Judith Holofernes und Die Höchste Eisenbahn. Im Zeit für Zeit-Podcast erzählt Francesco Wilking, dass das Lied von der Lektüre der Ingeborg Bachmann-Erzählung Das dreißigste Jahr beeinflusst ist.)

Die Debatte über die kreative Kraft der Künstlichen Intelligenz hat jedenfalls die allgegenwärtige Frage aufgeworfen: Wird KI unsere Jobs rauben?

Kevin Kelly, dessen aktuelles Buch „Excellent Advice for Living“ ich unbedingt empfehlen möchte, hat dazu eine deutliche Antwort. Sie lautet: Nein! Im vergangenen Jahr hat er in einem ausführlichen Wired-Essay diesen Schluss gezogen:

I have spent the past six months using AIs to create thousands of striking images, often losing a night’s sleep in the unending quest to find just one more beauty hidden in the code. And after interviewing the creators, power users, and other early adopters of these generators, I can make a very clear prediction: Generative AI will alter how we design just about everything. Oh, and not a single human artist will lose their job because of this new technology.

Im Gespräch mit Tim Ferris (etwa ab Minute 55) hat er diese These genauer erläutert. Die neuen Techniken werden keine ganze Berufe ersetzen, aber einzelne Aufgaben verändern. Diese Unterscheidung zwischen Job und Task ist bedeutsam – und s.o. auch nicht neu.

Kellys These (die er auch in diesem wiederholt empfohlenen SXSW-Talk erläutert hat) geht vereinfacht gesagt so: Durch KI werden wir alle in die Lage versetzt, mit einer dauerhaften Assistenz zu arbeiten, die Vorlagen erstellt, erste Entwürfe präsentiert und vor allem auf Musterverarbeitung basierende Tasks übernimmt. Diese Assistenz ist dabei nicht perfekt, aber erstaunlich gut, Kelly spricht von „dumbsmart“.

Wenn dieser Ansatz stimmt, wird eine der entscheidenden Zukunftsfähigkeiten (nicht nur) im Umgang mit KI darin liegen, den eigenen Job zu reflektieren, ein eigene Position zu finden (und zu hinterfragen) und schließlich zwischen Job und Task zu unterscheiden lernen. Es ist eines meiner Lieblingshobbys, mich in der Lektüre von Prognosen zu verlieren, die Future Skills auf Basis der technischen Veränderungen zu beschreiben versuchen. Von der Beratung McKinsey gibt es hier z.B. eine interessante Analyse, die Design-Thinking-Erfinder bei IDEO haben hier zwölf erstaunliche Zukunftsfähigkeiten notiert (meine Favoriten: Cultivating Joy & Small-Scale Experimentation) und das World-Economic-Forum hat eine Top10-Liste an Future-Skills erstellt, die man früher vermutlich als „Soft-Skills“ bezeichnet hätte – die in Zukunft aber an Bedeutung gewinnen werden.

Wie lernt man all das?

Ich bin mir nicht sicher. Ich weiß aber, wie ich gelernt habe, was mich hierhin gebracht hat: Ich habe Dinge gemacht, um die mich niemand gebeten hat. Ich habe veröffentlicht, was man früher „unverlangt eingesandt“ genannt hätte und ich habe immer wieder ausprobiert! Kevin Kelly nennt dieses Prinzip: Prototype your life. Try stuff instead of making grand plans!

Ich glaube, dass in dieser Haltung eine gute Voraussetzung für die Form von Reflektion steckt, die ich oben in Bezug auf KI beschrieben habe. Deshalb werde ich dem Ratschlag folgend gemeinsam mit Lina Timm, Björn Staschen und Martin Oswald etwas ausprobieren, was mich selbst einen guten Schritt nach vorne gebracht hat, in Fragen der beruflichen Reflektion: Wir dürfen in der Schnitzmühle im Bayerischen Wald einen 24-stündigen Workshop für reflektierte Führungskräfte anbieten (Programm-PDF), den wir für uns selbst bereits sehr ähnlich getestet haben und auf den ich mich deshalb sehr freue (falls Du Dich dafür interessierst: schreibe mir gerne – oder an 24stunden@the-greenroom.de)

Besonders passend scheint mir der Workshop für Menschen, deren beruflicher Lebenslauf sich unter einem Schlagwort zusammenfassen lässt, das ich von Gretchen McCulloch gelernt habe:

Weird Internet Career: die seltsame berufliche Internet-Laufbahn

Als Weird-Internet-Career (Symbolbild: unsplash) beschreibt sie jene Form von Werdegang, der etwas seltsam wirkt, mit der Digitalisierung und dem Internet zusammenhängt und nicht selten der Regel folgt, die Wolfgang Blau mal als Karrieretipp formuliert hat: do the jobs that barely have any job titles yet. Gretchen McCulloch selbst beschreibt das Phänomen so:

Seltsame Internetkarrieren sind Berufe, die man seinen Eltern nicht erklären kann, Menschen, die irgendwie ihren Lebensunterhalt mit dem Internet verdienen und in der Regel eine wechselnde Mischung von Einnahmequellen mit sich bringen. „Weird Internet Career“ ist ein Begriff, den ich mir ausgedacht habe (bevor ich anfing, ihn zu verwenden, gab es keine Google-Ergebnisse in Anführungszeichen), aber wenn man sie erst einmal bemerkt, sieht man sie überall.

Gretchen McCulloch

Bei Jason Kottke findet sich diese schöne Beschreibung, die sich zuträgt, wenn man Weird-Internet-Jobs erklären soll: „it’s still a struggle to explain. Usually someone will ask me what I do and I tell them. Them, wide-eyed: „That’s your job?!““

Deshalb möchte ich mehr Menschen mit Weird-Internet-Karrieren kennen lernen – und habe einen kleinen Fragebogen entwickelt, den ich ihnen gerne schicken würde.

Falls Du Dich also in der Beschreibung wiederfindest, würde ich mich sehr freuen, wenn Du Dich meldest und mir diese Fragen beantwortest:

Was denkst du wenn du den Begriff „Weird Internet Career“ hörst?

Welche Rolle spielt das Internet für dein (berufliches) Leben?

Welche Aspekte deines beruflichen Werdegangs würdest du als weird beschreiben?

Würdest du all das als Karriere beschreiben?

Wie geht es weiter? Magst du über deine Pläne sprechen?

Welchen Ratschlag gibst du Menschen, die sich für eine „Weird Internet Career“ interessieren bzw. in einer stecken?

Wessen “Weird Internet Career” findest du so interessant, dass du sie für diesen Fragebogen vorschlagen willst?

Die letzte Frage kannst Du natürlich auch beantworten, wenn Du selbst wenig weird und wenig digital unterwegs bist. Über Hinweise und Tipps freue ich mich! Die Befragung von ChatGPT zum Thema war übrigens nicht sehr ergiebig ;-)


Dieser Text stammt aus dem monatlichen Newsletter Digitale Notizen, in dem ich mich seit Jahren mit der Zukunft von Inhalte im digitalen Umfeld befasse. Zu dem Thema habe ich auch mehrere Bücher geschrieben.