Aussteigen aus der Weltentdeckungsmühle: Ein Lesetipp für alle Daheimbleibenden

[white_box]

Aktueller Hinweis: am 2.4. um 21 Uhr treffen Harriet und ich uns zu einer Telebier-Lesung im Instagram-Account unseres Verlags @piperverlag. Schaut vorbei bei der Piper-Lesestunde!

[/white_box]

Harriet Köhler hat das Buch zur (abgesagten) Leipziger Buchmesse 2020 geschrieben: die Gebrauchsanweisung fürs Daheimbleiben eigenet sich aber auch für alle anderen, die unter den Absagen dieser Tage leiden (hier das Interview mit Gerd Leonhard zum Thema Online-Konferenzen lesen), denn es liefert einen Perspektivwechsel auf das Thema Reisen und Unterwegssein. Ich habe Harriet (die ich persönlich kenne) ein paar Fragen zum Thema Absagen und Nicht-Reisen gestellt.

Bist du persönlich traurig, dass die Buchmesse ausfällt?
Für die Cosplayer-Szene ist der Ausfall ihrer Jahreshauptversammlung natürlich ein Drama. Auch gecancelte Lesungen und Interviews sind für die Beteiligten doof. Und all die schönen Dinners und Partys: Ein Jammer. Doch davon abgesehen birgt die Absage auch eine Chance: nämlich die, mal zu hinterfragen, wie sinnvoll es im 21. Jahrhundert überhaupt noch ist, wenn zehntausende Menschen sich in Flugzeuge, Busse und Bahnen setzen, um durch eine überfüllte Halle außerhalb der Stadt zu stolpern und sich dieselben Bücher anzugucken, die es auch bei Hugendubel gibt.

Als Expertin fürs Daheimbleiben hast du vielleicht einen Tipp für alle, die jetzt nicht nach Leipzig fahren?
Eigentlich ist der Ausfall doch wie ein Lottogewinn: Aus heiterem Himmel hat der Literaturbetrieb vier Tage geschenkt bekommen! Ich finde: Man sollte diese Zeit, wenn irgendwie möglich, nicht zum Arbeiten nutzen, sondern dazu, endlich mal all die Dinge zu tun, für die man sonst immer seltener den Nerv hat: Sich mit alten Freunden treffen. In aller Ruhe kochen. Einen dicken Klassiker lesen. Nichtstun, ohne dabei ständig auf den Email-Eingang zu schielen. Ohne den Ernst der Lage kleinreden zu wollen: Aber insgeheim freue ich mich fast auf all die unfreiwilligen Corona-Auszeiten, die da auf uns warten. Klingt doof, aber aus China vernimmt man, dass viele Menschen in den Quarantäne-Gebieten nach anfänglicher Wut inzwischen durchaus die positiven Aspekte am Daheimblieben sehen. Sie haben endlich mal wieder Zeit für ihre Familie. Nachbarn unterstützen sich. Die Menschen rücken zusammen, und draußen vor der Tür bleibt die Zeit ja sowieso stehen. Ich stelle mir das ein bisschen so wie Weihnachtsferien vor, bloß ohne die daran geknüpften Erwartungen, ohne Geschenkestress und lästige Verwandschaftsbesuche.

Überall im Land fangen Menschen jetzt an, sich intensiver mit Home-Office und dem Daheimsein zu befassen. Trotz des gefährlichen Anlass‘ ist das doch in Deinem Sinn, oder?

Mein Buch übers Daheimbleiben handelt nicht von der Arbeit, sondern vom Urlaub zuhause – über Home-Office kann ich also nicht mehr sagen, als dass ich persönlich ganz schlecht darin bin (zum Schreiben gehe ich am liebsten in die Denkfabrik, also in die Stabi). Aber klar, wie für Messen und andere Großveranstaltungen gilt auch fürs Home-Office: Am Ende dieses Jahres werden wir definitiv mehr darüber wissen, wie gut das Konzept funktioniert, welche Anwesenheiten und Sitzungen wirklich wichtig sind, und was man, vielleicht sogar effizienter, auch auf anderen Kanälen besprechen könnte

Was ist gut am Daheimsein?
Die Möglichkeit, einmal die Perspektive zu wechseln. Wer statt zu verreisen daheim bleibt, gibt ja nicht nur weniger Geld aus und hat weniger Stress, sondern hat endlich auch die Gelegenheit, herauszufinden, was das Leben außerhalb des Alltags noch so für einen bereithält. Man kann das Fremde im scheinbar Vertrauten entdecken, den Wohnort mit den Augen eines Reisenden sehen, und die Abenteuer erleben, die direkt vor der eigenen Haustür liegen. Dinge tun, die er sonst nur im Urlaub machen würde – und dabei merken, dass man sein Leben vielleicht ja auch ganz anders führen könnte.

Wie bist du auf das Thema des Buches gekommen?
Eigentlich war’s eine Schnapsidee: Ein Buch über das Daheimblieben in einer Reisebuch-Reihe zu veröffentlichen. Entsprechend habe ich das Projekt dann auch jahrelang vor mir her geschoben. Aber im Laufe der Zeit wurde mir immer klarer, was für ein ökologischer Irrsinn die Reiserei tatsächlich ist: Acht Prozent des jährlichen Treibhausausstoßes gehen auf den Tourismus, auf unsere Flüge, Mietwagen, beheizten Pools und Kreuzfahrtschiffe. Und das alles nur, weil wir glauben, im Urlaub nicht daheim bleiben zu können! Ich bin also zur Aussteigerin geworden, also: zur Aussteigerin aus der Weltentdeckungsmühle – und habe endlich dieses Buch geschrieben.


Auf der Piper-Seite kann man Harriets Buch bestellen – und hier gibt es ein Interview mit dem Zukunfts-Forscher Gerd Leonhard, der sagt, dass wir dank der Corona-Absagen lernen werden, was eh kommt: „Wir werden uns in Zukunft viel mehr virtuell treffen“