Das Ende des Durchschnitts-(Radios): The Get Up von Spotify

Es gibt nur eine Sache, die noch flacher ist als die Witze von Morning-Show-Moderator:innen: Witze über Morning-Show-Moderator:innen! Es ist tatsächlich keine leichte Aufgabe, Schnüffelfurt oder Bummelfeld (hier wahlweise ein Sendegebiet einsetzen) wach zu kriegen. Und so wie der Humor sich dabei am kleinsten gemeinsamen Nenner orientiert, ist auch die Musik auf das zugeschnitten was die meisten Menschen am wenigsten nervt. Witze und Songs werden dann so lange als „Das Beste“ durchgenudelt, bis sie allen maximal auf die Nerven gehen. Das ist die Idee einer Durchschnittsbotschaft, die möglichst allen gefallen will.

Das 20. Jahrhundert war geprägt von dieser Idee, die selten so greif- und hörbar wird wie in der Idee von Mainstream-Radio (Symbolbild: Unsplash). Eine zentrale Veränderung der Digitalisierung besteht meiner Meinung nach in dem, was man den Wandel von der Lautsprecher zur Kopfhörer-Kultur nennen könnte: die Durchschnittsbotschaft, die allen gefallen will, wird ersetzt durch unzählige personalisierte Botschaften, die massenhafte Nische produzieren. Twitterbar auf den Punkt gebracht: Digitalisierung führt zum Ende des Durchschnitts. Damit ist kein Zielpunkt gemeint, sondern eine kontinuierlicher Prozess.

Der Dienst Spotify, der als einer der ersten verstanden hat, dass in dieser neuen Welt Kontext den Content überrragt, hat diese Woche angekündigt, unsere Vorstellung von Radio komplett auf den Kopf zu stellen. Sie nennen ihr Angebot einen Podcast, aber es ist die gegenwärtige Variante dessen, was im 21. Jahrhundert eine Mainstream-Morning-Show war: „We have your morning covered — with news, pop culture, and the music you love. The only way to wake up“, steht in der Beschreibung, die der Streaming-Dienst formuliert hat. The Get Up heißt die Sendung der Podcast, der voraufgezeichnete Inhalte mit personalisierter Musik kombiniert.

Ob das funktionieren kann? Vermutlich schon, denn der Test, Nachrichten von Radiostationen halbstündlich als Podcasts in Spotify zu laden hat die Radionachrichten von ihrer Sendezeit befreit – und gezeigt, dass das „Ende des Durchschnitts“-Prinzip nicht nur für Musik funktioniert. Aber vielleicht ist diese „Funktioniert das?“-Perspektive auch der falsche Blick auf die Veränderung, die sich hier gerade unter unseren Füssen vollzieht. Vielleicht könnte man eher fragen: „Was bedeutet das?“

Im Klappentext zu meinem Buch „Das Ende des Durchschnitts“ hat der Verlag Matthes&Seitz das hier geschrieben: „Die Welt des Durchschnittsangebots, das für alle gleich ist, wird erweitert um das digitale Prinzip der Personalisierung: Inhalte entstehen nicht mehr einzig beim Hersteller und Absender, sondern werden mittels Datensammlung und -auswertung auf den Konsumenten und Empfänger zugeschnitten. Entgegen der vorschnellen Verteufelung dieser Entwicklung als Entmündigung und Überwachung beleuchtet Dirk von Gehlen Chancen des Endes des Durchschnitts und zeigt sehr konkret, wie Personalisierung, Datennutzung und Digitalisierung die Arbeit von Medizinern, Marktforschern, Fußballern und Carsharing-Anbietern verändern.

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