Das Netz als Weltlager

… man braucht die personale Konfrontation, man muss sich wechselseitig ein Versprechen abgeben können. Empathie stellt einen evolutionären Standardmechanismus der Wirksamkeit von Beziehungen dar. Ohne dass der andere anwesend ist, lässt sich gar keine Empathie entwickeln. Es bleibt also bei dem evolutionären Grundprinzip, dass man in der Lage sein muss, abzuschätzen, in welcher Form sich der andere einem gegenüber verhält, in wie weit man ihm vertrauen kann. Und das ist niemals übers Netz möglich.

In der FAZ gibt es ein Gespräch mit Bazon Brock, der darin (zur FAZ-Serie passend) seine Skepsis über das Internet äußert – weil dort eben Empathie nicht so möglich sei wie in der „personalen Konfrontation“. Mir steht es nicht an, das zu beurteilen. Richtig übel stößt mir jedoch auf, dass Brock unwidersprochen zur folgenden verharmlosenden Geschichtsstunde ausholen darf:

Wir waren vor Jahren viel weiter und haben gesagt, dass das, was die Lager der totalitär-faschistischen Regime, des stalinistischen oder des Hitler-Regimes waren, jetzt, als Weltlager, das Netz geworden ist. Und es ist extrem gefährlich geworden, dort überhaupt in die Akten zu kommen, auffindbar zu sein. Wir wissen, wie delikat der Datenmissbrauch ist, wie hoch die Erpressungsmöglichkeiten liegen, nicht nur von Kriminellen, sondern auch von den eigenen Regierungen und den eigenen Institutionen.

Die folgende Anschlussfrage der FAZ lautet übrigens nicht: Relativieren Sie damit nicht die systematische Vernichtung von Menschenleben? oder: Würden Sie diesen Quatsch auch einem Überlebenden von Auschwitz erzählen? sondern: „Was macht das Netz so gefährlich?“

Auf eine sehr indirekte Art dann sogar passend …

via

Update, 6. Mai: Mario Sixtus weist unter dem Titel Wenn Hitler plötzlich verschwindet auf eine Veränderung an dem Text hin

Update 6. Mai, später: In den Kommentaren verweist StephanJ auf ein interessantes Gespräch aus dem Deutschlandradio hin, das im vergangenen Sommer zum Thema Woodstock mit Bazon Brock geführt wurde.

Update 7. Mai: Mario schreibt Hitler ist wieder da.

4 Kommentare

Offensichtlich gilt das Godwinsche Gesetz auch außerhalb des Internets. Wie schön, dass das Netz neben der deskriptiven Dimension des Gesetzes auch eine moralisch-normative hervorgebracht hat, die uns gleich lehrt, was wir von derartigen Äußerungen zu halten haben: Sie stellen das Ende der Dikussion dar.

Ich finde, dass Herr von Gehlen die Strukturen des Internets damit wunderbar genutzt hat, seine Haltung als Erweiterung des Interviews direkt zu äußern und damit zur weiteren Diskussion zu stellen (siehe die Aufforderung zur Nachfrage). Das ist schließlich ganz im Sinne der Brockschen ‚Akademie der Empathie‘, in der man noch auf die Probleme des jeweils Anderen eingeht (und vor allem jede Zeile dessen liest, was der Andere schreibt, wie hier geschehen!). Jetzt gilt es nur noch Bazon Brock von diesem Vorteil des Internets zu überzeugen.

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