Alles persönlich nehmen und sofort persönlich werden – drei Schritte, um die Debatte zu versauen


Dieser Text ist wie viele digitale Texte eher ein Prozess als nur ein unveränderliches Produkt. Deshalb gibt es weiter unten drei Erkenntnisse, die ich aus dieser Debattenkatastrophe gezogen habe.


Upps. Ein Beitrag von mir hat virale Verbreitung erreicht. Es geht um diese Beobachtung auf Threads, die ich wertfrei auf einem Spielplatz in mein Handy tippte: „Fotograf:innen! Macht doch mal eine Bildserie zum Thema „Eltern am Handy am Spielplatz“„. (Illustration oben: Canva)

Ich finde, das könnte eine schöne Fotoserie sein, die ein typisches Zeitphänomen festhält. Ich habe den Beitrag ohne Wertung getippt. Und falls jemand, der/die mich kennt, eine Wertung reinlesen wollte, dann vermutlich eher jene des Digitalverteidigers, der Smartphones und Handys stets als relevantes Werkzeug beschreibt und vor einer Verteufelung warnt. Aber wie gesagt, der Beitrag ist völlig ohne Urteil geschrieben – das heißt allerdings nicht, dass man ihn nicht mit einem Urteil lesen kann.

Das lerne ich als ich die Reaktionen auf Threads beobachte, die sich mustergültig zu dem formen, was man eine typische Debatten-Katastrophe nennen kann: ein Shitstorm in drei Akten.

Ich dokumentiere die Reaktionen hier anonymisiert, weil sie sehr schön zeigen, wie Empörungswellen sich aufbauen. Dass der laute Widerspruch dabei den Algorithmus und damit auch die Reichweite anfeuert, wissen aufmerksame Leser:innen des Blogs natürlich schon.

1. Persönlich nehmen

Offenbar fühlen sich Menschen im Internet getroffen von meinem Beitrag – und zwar in einer bestimmenden Identitätsrolle: als Eltern. Offenbar lesen sie, dass ich geschrieben habe, sie seien schlechte Eltern, wenn sie auf dem Spielplatz das Handy nutzen. Dass ich das nicht geschrieben haben, fällt niemandem auf. Überwiegend Mütter reagieren auf meine Beobachtung als habe ich einen Vorwurf formuliert. Sie verteidigen – zum Teil sehr persönlich – warum sie als Eltern das Handy auf dem Spielplatz nutzen.

2. Persönlich werden

Es geht aber nicht nur um den Angriff, den Menschen in dem Beitrag lesen. Es geht auch um den Angreifer – also mich als Person. In der Rhetorik spricht man vom Ad Hominem-Argument, mit dessen Hilfe die Person des scheinbaren Streitgegners diffamiert werden soll. In diesem Fall daran zu sehen, dass sowas nur ein Mann schreiben kann und vermutlich einer, der keine Kinder hat und falls doch, mindestens ein schlechter Vater ist.

3. Beleidigen und Canceln

Am erstaunlichsten finde ich aber die dritte Stufe der Empörungstreppe. Dabei geht es nämlich nicht mehr nur um den vermeintlichen Angriff oder den Angreifer, dabei geht es ganz grundsätzlich darum, mir den Mund zu verbieten. In bemerkenswert konfrontativem Ton werde ich bemerkenswert häufig aufgefordert, mein Maul zu halten und den Beitrag zu löschen. Auch wird gefordert, ich solle mich gar nicht mehr äußern – auch zu völlig anderen Themen nicht.

Bemerkenswert finde ich all das, weil die Beiträge – soweit ich das überblicke – ausnahmslos von Eltern kommen. Von Menschen also, die in regelmäßigem Kontakt zu Kindern stehen und vermutlich wissen, dass ihr Verhalten Einfluss darauf haben könnte, wie die Kindern sich verhalten. Ich vermeide das Wort „Vorbild“ hier mit voller Absicht, denn ich hoffe nicht, dass sich irgendwer die grusslose Anrede „Halt die Fresse“ zum Vorbild nimmt – im Netz nicht und erst recht nicht auf dem Spielplatz!

Womit ich beim Kern meines Beitrags bin: Wenn wir über den Umgang mit digitalen Werkzeugen sprechen, sprechen wir erstaunlich oft darüber welche Regeln wir der kommenden Generation geben sollten. Wir sprechen erstaunlich selten darüber, was für schlechte Vorbilder wir selbst sind!

Zum Thema Debattenkultur hier im Blog:

UPDATE NACH ZWEI TAGEN

Mit etwas Abstand möchte ich noch drei Erkenntnisse teilen, die ich aus dieser Debatte persönlich gelernt habe – und die vielleicht bei zukünftigen Debattenkatastrophen hilfreich sein könnten.

  1. Danke für den Zuspruch
    Ich bin lang genug in Internetdiskussionen um mich von den Beleidigungen nicht persönlich angegriffen zu fühlen – zumal sie mich in einer Rolle als Technikfeind angesprochen haben, die mir wirklich fremd ist. Dennoch ist es ein gutes Gefühl, wenn Menschen unterstützend reagieren – in DMs oder auch in der Debatte.
  2. Schuldzuweisungen sind nicht hilfreich
    Was mir jedoch weniger gute Laune gemacht hat, sind Bemerkungen wie „was hast du denn erwartet?“. Sie sprechen es zwar nicht aus, deuten aber an, dass es an mir oder meiner Naivität liegen könnte, dass Leute angefangen haben, sich auf mich einzuschiessen. Selbst wenn das stimmen mag, mitten in einer Debattenkatastrophe ist das nicht hilfreich
  3. Es geht nicht um mich
    Die aber vielleicht wichtigste Erkenntnis lautet: Es geht hier nicht um mich. Zwar versuchen sehr viele Angriffe mich persönlich zu treffen, aber es geht dabei nicht wirklich um mich, sondern um die Rolle, die sie in mir zu erkennen glauben. Hier zwischen Person und Rolle trennen zu können, kann extrem hilfreich sei