Weird Internet Career: Jochen Adler


Im Mai schrieb ich in meinen monatlichen Newsletter über das Konzept der „Weird Internet Career“. Den Fragenbogen, den ich mir dazu ausgedacht habe, hat Jochen Adler ausgefüllt.

Antworten von Jochen Adler

Was denkst du wenn du den Begriff „Weird Internet Career“ hörst?
“Was, weird, wieso?” Vielleicht würden andere das so über mich sagen. Weil mir schon wichtig ist, was Leute über mich denken, müsste ich mich kurz wundern über diese Zuschreibung. Dann würde ich interpretieren: Das muss wohl eher anerkennend gemeint sein. Ich kann gut mit Unsicherheiten umgehen, mit Brüchen, mit komplexen Wahrheiten. Bring it on!

Welche Rolle spielt das Internet für dein (berufliches) Leben?
Ich betrachte das Internet tatsächlich fast wie einen organischen Lebensraum. Schon Mitte der 1990er hab’ ich in Usenet-Foren mit Leuten hitzig diskutiert (also mit “random strangers on the internet”…), ob C/C++ oder Pascal die bessere Programmierumgebung ist. Und dabei natürlich unglaublich schnell unglaublich viel gelernt, auf allen Ebenen.

Ich wäre ohne Internet nicht mal ansatzweise der, der ich heute bin.

Bevor ich Kinder hatte, fand ich meinen Werdegang vielleicht selbst manchmal ein bisschen weird, zumindest im Vergleich dazu, wie andere Vertreter*innen meiner Generation ihre Vorstellung davon verfolgen, “etwas aus ihrem Leben zu machen”. Heute schau’ ich meine Kinder an, ich sehe, wie die aufwachsen, lernen, die Pandemie bewältigen, Freunde finden, Beziehungen pflegen, tiefe Bindungen eingehen. Ich sehe an anderen Stellen Generationenkonflikte aufbrechen, und zum ersten Mal gehöre ich zur Generation derer, die Ziel der Rebellion sind.

Und dann denke ich mir: Das passt schon alles. The kids are alright. Ich war einfach früh dran.

Welche Aspekte deines beruflichen Werdegangs würdest du als weird beschreiben?
Die Breite, die Mischung. Das ist schon ungewöhnlich.

Ich hab’ als Autodidakt und Self-Starter mit Software begonnen, bin als Berater sehr schnell sehr viel ‘rumgekommen, hab’ quasi 1x 360° die Perspektiven gewechselt (Software-Anbieter, Beratung, Konzern, Beratung, Software-Anbieter). All das aber – wichtig! – ohne ständig nur wegzulaufen und wie manisch die Jobs zu wechseln (ich hab’s immerhin 2x 7 Jahre an einem Ort gut ausgehalten).

Dann natürlich mein persönliches Naturell: Es gibt aus den 25 Jahren, die ich arbeite, viele persönliche oder virtuelle Begegnungen und Beziehungen, die zunächst vielleicht oberflächlich wirkten, die ich dann aber nie vergessen habe – und offenbar erinnern sich auch Leute sehr oft noch an mich. Manchmal rufe ich Menschen an, für die ich als Teil eines größeren Teams vor 20 Jahren ein Projekt gemacht habe. Ich sag’ zunächst vorsichtig: “Ich weiß nicht, ob Sie sich an mich erinnern können…,” und dann aber erzählen mir diese Leute plötzlich eine Anekdote, die sie mit mir erlebt haben, und die ich selbst fast vergessen hatte. Krass.

Und letztlich: Wieso kriege ich überhaupt diesen Fragebogen? Weil ich in der Deutschen Bank mal “irgendwas mit Innovation” gemacht habe. Das wiederum war dann irgendwie interessant genug für Dich als Digital- und Innovationschef, mich mal bei der SZ zu empfangen, während ich in München war. So genau weiß ich selbst nicht mehr, wie das zustande kam. Weil ich ins Blaue über Twitter angefragt hatte. Einfach so?

Okay, na gut. Ist vielleicht doch schon alles bisschen weird ;)

Würdest du all das als Karriere beschreiben?
Unbedingt. Ich bin sehr US-amerikanisch sozialisiert, auch im beruflichen Sinne. Dort ist das Prinzip der beruflichen Laufbahn, was auch fürs gesamte Leben gilt (war das Kierkegaard?): “Die Karriere wird vorwärts gelebt, aber nur rückwärts verstanden.”

Wie geht es weiter? Magst du über deine Pläne sprechen?
Seit ich mein Startup kompreno gegründet habe – ein “career pivot” mit Mitte 40 – hab‘ ich jeden Morgen wieder unglaublichen Spaß daran, meinen Laptop aufzuklappen.

Ich kann endlich die Interdisziplinarität in meiner eigenen Person ausleben: von Marketing und Vertrieb über redaktionelle Prozesse, bis hin zu Content-Partnerverträgen, Software-Architektur und DevOps.

Ich kann mir aussuchen, mit wem ich arbeiten möchte, und bin infolgedessen von fantastischen Leuten umgeben, die fachlich viel besser Bescheid wissen als ich.

Weil ich von Anfang an nicht nur in Partnerschaften und fundamentalen Werten wie Fairness und Vertrauen, sondern auch in Internet-Kategorien wie Technik, Prozesse und Skalierung gedacht habe, könnten wir unseren Abonnent*innen bald eine Million Texte anbieten, persönlich thematisch zugeschnitten auf den jeweiligen Bedarf, statt “nur” Zehntausende. Wir könnten auch Dreihundert oder Dreitausend hochwertige europäische Quellen bündeln, statt “nur” Dreißig, wie im Moment. Das wäre toll.

Vor allem aber kann ich als Unternehmer – solange der Laden gut läuft – frei agieren und denken. Unsere Technologie könnte eines Tages Open Source werden, und unsere Verlagspartner sich an unserer Firma auch direkt beteiligen, aus Gründen der Transparenz und für eine föderierte, dezentrale Content Governance. Das fände ich total faszinierend, das wäre eine echte Veränderung.

Ich denke gerne ganzheitlich. Und langfristig.

Ich mag trotzdem gerne konkrete, pragmatische, Schritte. Ich mache überschaubare Fortschritte; wir feiern gemeinsam schon bescheidene, kleine Erfolge.

Und ich merke erst jetzt, wie viel mir das bedeutet: all das endlich unter einen Hut zu kriegen.

Welchen Ratschlag gibst du Menschen, die sich für eine „Weird Internet Career“ interessieren bzw. in einer stecken?
Es ist nur weird, wenn Du das selbst so empfindest.

Wenn das so ist: schnell raus da. Ich bin meiner Frau sehr dankbar, weil sie nicht nur meine Gründung mit Mitte 40 unterstützt, sondern mir auch zuvor schon mal sehr klar die “gelbe Karte” gezeigt hat, als mein Job nicht mehr zu mir passte, und der Stress sich auf meine Persönlichkeit auszuwirken begann (nicht zu meinem Vorteil).

Wenn das aber nicht so ist, wenn also nur *andere* finden, dass das weird ist, was Du machst oder wie Du’s machst: unbedingt weitermachen. Die ganzen billigen Kalendersprüche – folge Deinem Herzen, mach Dein Ding, Du weißt, was Du kannst, Du kannst es schaffen – die sind alle total wahr!!!

Wessen “Weird Internet Career” findest du so interessant, dass du sie für diesen Fragebogen vorschlagen willst?
Meine ehemalige Deutsche-Bank-Kollegin Anne-Marie Imafidon hat stemettes.org gegründet und unterstützt Mädchen, junge Frauen und nicht-binäre Jugendliche dabei, sich in Wissenschaft, Technologie, Ingenieurwesen, Kunst und Mathematik zu entwickeln.

Und im deutschsprachigen Raum? Teresa Grotendorst, deren Startup fobizz Lehrer*innen hilft, digitale Kompetenz zu stärken: mit Online-Fortbildungen, KI und Tools.


Mehr Antworten unter dem Schlagwort Weird Internet Career hier im Blog. Du hast auch eine seltsame Internet-Karriere? Dann schreib mir deine Antworten!