Die Moral von der digitalen Kopie

Hey, da läuft ja gerade tatsächlich eine äußerst interessante und lebhafte Debatte über die Frage von Filesharing und Moral. Ausgelöst von der scheinbar nur begrifflichen Wortspalterei um die Bezeichnung „Contentdiebstahlhilfe“ haben Sascha und Marcel ein paar schöne Ballwechsel gespielt. Da will ich mich gar nicht weiter einmischen, weil Marcels wirtschaftliche Argumente von Sascha nur schwer zu retounieren sind – und selbst wenn: die Debatte über Sinn oder Schaden von Filesharing und den angenommenen Umsatzverlust, der in so genannten Brennerstudien dokumentiert wird, hat bereits gezeigt, dass am Ende Marcel den Punkt machen wird.

Ich würde aber gerne einen Aspekt ergänzen, den mspro bereits treffend getwittert hat: Sascha klammert die digitale Kopie und ihre Folgen aus. Das sehe ich genauso und würde die Frage gerne von dem etwas verkürzenden Begriff des Filesharings (der ja vor allem auf die Nutzung von Tauschbörsen angewendet wird) auf die allgemeinere Ebene der digitalen Kopie heben. Denn natürlich geht es nicht nur darum, ob der „metaphorische 15-Jährige“ (wie Sascha ihn nennt) Musik in P2P-Netzwerken tauscht (mal abgesehen davon, dass die Debatte sich ja offenbar auf den Bereich der One-Click-Hoster zu verschieben scheint). Denn diese Netzwerke gibt es ja auch ganz analog auf Schulhöfen, in Uni-Seminaren und vermutlich sogar Betriebskantinen, wo externe Festplatten getauscht werden. Menschen tun dort etwas, was unfassbar einfach geworden ist: Sie erstellen digitale Kopien. Und diese sind (das Blumenbeispiel zeigt es) eine geschichtliche Unverschämtheit, sie erstellen identische Duplikate. Sie schaden dem Original nicht und sind als Vervielfältigungsstück (wie das UrhG Kopien nennt) nicht mehr zu unterscheiden.

Aus dieser historisch neuen Situation erwächst mein Wunsch, die Begriffe sauber auseinander zu halten. Denn mit der Bezeichnung Diebstahl für diesen Vorgang wird eine moralische Komponente in die Debatte gebracht, die juristisch nicht haltbar ist – und die zudem unsere Vorstellung von sozialem Austausch auf den Kopf stellt.

Nehmen wir an, Sascha und Marcel treffen sich im echten Leben und Marcel würde Sascha dessen Bitte, ihm einen Zeitungsartikel per Mail weiterzuleiten, mit dem Verweis abschlagen, dies sei Diebstahl. Sascha würde Marcel für wunderlich halten. Eine Leistung, die für Marcel ohne Kosten und Aufwand möglich ist, zu verweigern, erscheint uns als unsozial. Das wäre so, als würde Marcel den Sitzplatz in der U-Bahn erst dann für Sascha freiräumen, wenn er auch sicher ist, dass dieser einen gültigen Fahrschein besitzt. (Wer weitere Beispiele von zufällig mitgehörter Musik oder unerlaubt gelesener Schlagzeilen sucht, soll bitte bei David Weinberger nachlesen). Es mag Menschen geben, die so agieren. Deren Prinzipien zum Maßstab gesellschaftlichen Handelns zu machen, erscheint mir allerdings absurd.

Genau das tun wir aber, wenn wir von Diebstahl sprechen. Wir übertragen Begriffe und Metaphern, die wir aus der analogen Welt kennen, auf den digitalen Raum. Und blenden dabei aus, dass dort andere Gegebenheiten herrschen – nämlich die digitale Kopie. Um deren Folgen für die Gesellschaft, den freien Meinungsaustausch und die Kulturproduktion einschätzen zu können, müssen wir sie aber verstehen. Wir müssen verstehen, dass die Kriterien der Verknappung nicht gelten, wenn eine Datei, ein Song, ein Film ohne Kosten vervielfältigt werden kann – und zwar identisch, so dass Vorlage und Kopie nicht mehr zu unterscheiden sind.

Der Jurist Urs Gasser hat im Interview, das ich mit ihm für jetzt.de führte, darauf hingewiesen, dass sich dadurch ein nicht unproblematischer moralischer Graben auftut:

Das Internet hat in der Art, wie es genutzt wird, eine Norm des Teilens entfacht, die gesellschaftlich auch sanktioniert ist. Wir lehren unseren Kindern ja auch, dass sie teilen sollen. Denn das Teilen gilt als etwas Gutes. Und im Internet ist es technisch sogar noch sehr viel einfacher. Wenn ich einem Freund einen Song kopiere, hat er ihn und ich habe ihn auch. Das stärkt also die Form des Teilens und das ist zunächst erstmal etwas Gutes.

Wenn man jetzt dieses Teilen von urheberrechtlich geschützten Werken pauschal (und juristisch falsch) als Diebstahl bezeichnet, erweist man dem ja richtigen Ziel, ein Modell gegen vergütungsfreie Nutzung zu finden, einen Bärendienst. Denn zum einen befördert man damit eine Legitimationskrise des Urheberrechts und zum anderen hilft man dabei, den digitalen Graben in der Gesellschaft weiter auszuheben. Denn diejenigen, die im digitalen Raum leben, wundern sich über die, die die Rede vom Diebstahl führen – und nehmen sie langfristig nicht mehr ernst.

Man könnte darüberhinaus noch jede Menge mehr über das Konzept des geistigen Eigentums sagen, dazu sei aber an dieser Stelle auf Thomas Stadler verwiesen, der interessante Anmerkungen notiert hat. Und wie so oft gilt auch hier: am besten lässt sich der Verlauf der Debatte über Rivva verfolgen.

5 Kommentare

Das erinnert mich an meinen Bruder, als der noch sehr klein war, 4 oder 5 oder so. Zum Frühstück hatten wir da mal Aufback-Blätterteig-Brötchen und mein Bruder kam auf den Trichter, dass man die Blätterteigschichten auseinanderziehen und einzelen essen kann. Und weil sie so unglaublich dünn waren hatte er den Eindruck, dass er unendlich viele davon hatte und fing mit allergrößter Freude an die Blätterteig-Blättchen mit uns zu teilen. Wie unglaublich glücklich er da war.

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