Jonathan Jones war richtig in Fahrt. „Wir rasen zurück in die Welt des alten Ägypten“, schrieb er im Mai 2015 im Guardian und prognostizierte dieser rasenden Rückschritt-Reise keinen guten Fortgang: „Nächste Haltestelle ist die Steinzeit – mit großen gelben Grimassen in unseren Gesichtern.“
Wohl selten ist Wut so schlecht gealtert wie dieses Schimpfen auf die „hirnlosen kleinen Icons“. Denn nicht mal sechs Jahre nach diesem Text wirkt sogar dessen Kulturpessimismus irgendwie aus der Zeit gefallen. Emojis haben in dieser kurzen Zeitspanne so viele Wendungen durchlaufen, dass sie nicht mehr nur als digitale Dialekt gelesen werden können (wie ich es in der „Gebrauchsanweisung für das Internet“ vorschlug), sondern sogar in ihrer Nutzung selbst als Distinktionsmerkmal eingesetzt werden.
Auf den Punkt bringt dies die Emojipedia-Analyse, die seit ein paar Tagen im Netz geteilt und zum Beispiel in diesem Text im Netzfeuilleton referenziert wird. Chief Emoji Officer Jeremy Burge hat darin die Kommentare in Tiktok untersucht und erstaunliche Umdeutungen der ja angeblich so banal eindeutigen Emojis beobachtet.
Zwei Beispiele für die kreative Aneignung von Emojis habe ich im Titel dieses Blogeintrags eingesetzt. Einerseits die schreibende Hand, die manchmal auch ironisch ein Mitschreiben und Lernen symbolisieren soll. Wenn jemand also kommentieren möchte, dass eine Erkenntnis neu und notierenswert ist, kann dies durch die ✍️ schreibende Hand ✍️ ausgedrückt, aber eben auch ironisiert werden. Etwas weniger doppeldeutig ist das ✨Stern-Glitzer-Emoji✨, das eingesetzt wird, um bestimmte Begriffe zu betonen.
Dass Emojis eine zweite Ebene haben, ist Auberginen-Freunden sicher schon mal aufgefallen. Burge beobachtet aber eine viel weiter gehende sexuelle Doppeldeutigkeit in der Verwendung von Emojis, derer man sich vielleicht bewusst sein sollte, wenn man arglos Kirschen- oder Katzen-Symbole posten möchte. Eine Übersicht gibt es rechts im Bild und hier am Ende des Textes.
Besonders erstaunlich ist meiner Einschätzung nach aber die Beschreibung des tränen-lachenden Emojis, das Burge vor allem alten Menschen zuschreibt. Wer jünger ist und bei Tiktok kommentierend Emojis nutzt, wählt für das überschäumende Lachen den fröhlichen Totenkopf (siehe Beitragsbild ganz oben) – auch um sich damit in der Wahl des Emojis abzugrenzen.
Denn Sprache – gesprochen wie geschrieben – war schon immer Ausdruck von Distinktion, Abgrenzung und Verstandenwerden. Dass Ärzt:innen lateinische Fachbegriffe verwenden, hat zum Beispiel nicht ausschließlich inhaltlich-fachliche Gründe. Vergleichbar ist die Totenkopf-Wahl anstelle des Tränen-Lachers: es geht um Zugehörigkeit und Abgrenzung. Und damit werden diese beiden Emojis zum Ausdruck einer Entwicklung, die unlängst schon mal am Beispiel des glottalen Plosivs beschrieben habe: Egal, wie sehr man Sprache reglmentieren und vorgeben möchte, in ihrer konkreten Anwendung ist Sprache stets in Bewegung und wandelt sich beständig. Durch die Nutzung von Emojis hat sich diese Bewegung womöglich gar beschleunigt. Jedenfalls wird der eingangs zitierte Text aus dem Jahr 2015 heute deutlich älter.