Inszenierungen publizisitischer Meisterdenker

Das aktuelle Getöse gegen das Böse, das aus dem Internet kommt, ist verlogen. Die Lautsprecher dieses Feldzugs (…) träumen öffentlich davon, dass ihre Blätter den Menschen wieder verbindlich sagen, was in der Welt geschehen ist und was sie davon zu halten haben. Sie wollen nicht wahrhaben, dass ein immer noch wachsender Teil des Publikums keine Lust mehr hat auf die Inszenierungen publizistischer Meisterdenker. Sie werden sich daran gewöhnen müssen, dass mit dem Internet die Grenzen der Öffentlichkeit neu gezogen worden sind und dass mehr Menschen Zutritt dazu haben, darunter auch solche, die manchmal mit ungewaschenem Maul reden. Um damit fertig zu werden, reichen die bestehenden Gesetze und die selbstkritische Aufmerksamkeit in den neuen Kommunikationsgemeinschaften schon aus. Anmaßende Vormünder dagegen, die von „Qualität“ reden, aber eigene Macht meinen, sind überflüssig.

All das, was sie an Unerfreulichem, Abstoßendem und auch Kriminellem erwähnen, gibt es im weltweiten Netz, in Nischen und oft auch erschreckend einfach zu finden. Aber ist das wirklich schon ein Angriff auf die Grundlagen abendländischer Kultur und Gesittung, wie es kürzlich in einem renommierten Feuilleton hieß? Liegen nicht auch in jedem Bahnhofskiosk Blätter nebeneinander, die sich in ihrer kulturellen und moralischen Qualität fundamental unterscheiden? Verletzt Deutschlands größtes Massenblatt nicht mit Kalkül immer wieder nicht bloß die professionellen Standards, sondern auch elementare Regeln des Anstands?

Das Deutschlandradio Kultur lässt Heribert Seifert in Die inszenierte Meinung die Debatte um den Wert des Internets kommentieren – sachlich, ruhig und gegen den Lärm der emotionalen Debatte der vergangenen Wochen. (via medienlese.com)

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