Meine zehn besten Tocotronic-Songs

„Manche Dinge werden schwerer umso mehr wir uns bemühen“ mit dieser Zeile endet das „Kurze Lied um es auf einen Anrufbeantworter zu singen“. Irgendwann früher hat Dirk von Lowtzow es auf den Anrufbeantworter von Tom Liwa gesungen. Jedenfalls meine ich mich daran zu erinnern.

Und im Erinnern und in Nostalgie bin ich nicht so gut – mit Ausnahme von Tocotronic-Nostalgie. Ich gestehe eine Alte-Männer-Schwäche für den sehr guten ARD-Podcast (This Band is Tocotronic) über die Gruppe und eine ebensolche Alte-Männer-Schwäche für die Doppelfolge des Reflektor-Podcasts von Jan Müller, in dem Thees Uhlmann und Kolja Podkowik ihm (und uns) die zehn besten Tocotronic-Songs aller Zeiten erzählen.

Das ist sehr unterhaltsam und ich habe mich die ganzen zehn Songs lang darüber gefreut, dass Jan Müller dieses Spiel mitgemacht hat – und es nicht aus Eitelkeit oder einem missverstandenen Gegenteil davon abgesagt hat. Der Podcast ist nämlich auch deshalb so toll, weil da einer von Tocotronic mit am Tisch sitzt und sich die Lobeshymnen von Kolja und Thees anhört.

Da auch fürs Bloggen das Einstiegszitat gilt und da diese Doppelfolge in Wahrheit die kontinuierlich gestellte Frage ist: Was ist deine Top10? habe auch ich eine Playlist erstellt, die meine zehn besten Tocotronic-Lieder versammelt.

Denn genau dafür hat man doch ein Blog und außerdem sollten wir uns eh mehr Songs empfehlen (freue mich deshalb auch, dass ich bei einsongreicht.de mitmachen darf, wo ich allerdings keinen Tocotronic-Song empfehlen werde. Meine Folge kommt glaube ich am 26.3.).

In seinem „Nachruf“ aufs 20. Jahrhundert singt Hannes Wittmer

"Jedes Blinzeln ein Zwinkern, jeder Satz ein Zitat. Ein Fesselspiel aus Referenzen. Jede Flucht ein Verrat. Jedes Lied eine Sehnsucht."

Ich musste daran denken als ich meine Top10-Playlist zusammen gestellt und das erste Mal durchgehört hatte. Die Referenz-Metaphern, die Bilder und reininterpretierten Vergleiche sind es, die mich an dem Gesamtwerk faszinieren. Deshalb ist meine Hitparade auch sehr textlastig begründet:

Platz 10: Hoffnung

Das beste Lied über eine doofe Zeit: habe „Hoffnung“ während der Lockdowns gehört und fühle noch immer dieses Bild des Gefangenseins: „Ich hab den Boden schwarz gestrichen / Wie komm ich aus der Ecke raus?“

Platz 9: In dubbio per il dubbio (Crucchi-Gang)

Natürlich atmet der „Im Zweifel für den Zweifel“-Ratschlag den Geist der Jugendbewegung-Slogans, aber der Song gehört (in dieser Fassung) in die Top10, weil ich Dirks Italienisch in dieser Crucci-Gang-Version so wunderbar finde. Ich glaube man kann nicht besser deutsch-italienisch singen.

Platz 8: Neues vom Trickser

Nie ist die Bestimmtheit im Umgang mit der Unbestimmtheit besser auf den Punkt gebracht worden als in der Zeile: „Eines ist doch sicher. Eins-zu-eins ist jetzt vorbei.“

Platz 7: Gott sei dank haben wir beide uns gehabt

Nein, es ist nicht die berühmte Berlin-DJ-Zeile, sondern dieses frühvergreiste Genörgel über die Musik und die Bierpreise („Die Musik ist schlecht wie immer hier, sie sind nur teurer mit dem Weizenbier“), das sprachlich den Geschmack von Weizenbier einfängt.

Platz 6: Sie wollen uns erzählen

Die Mundharmonika! Die Enten auf dem Album-Cover! Und überhaupt die Optik im Video! Besser kann man nicht über Selbstmitleid singen. Glaube ich.

Platz 5: Drüben auf dem Hügel

Irgendwie spielen alle Bilder in Tocotronic-Texten drüben auf dem Hügel. Ich beobachte, was da drüben passiert und erkenne mich darin wieder oder möchte auch so sein. Und dann weht das Gefühl rüber, die Freude, das Glück und die Verlorenheit am letzten Sommerferientag – „weil ich dich mag.“

Platz 4: Jenseits des Kanals

Gustav Flaubert schrieb 1881: „Jenseits des Kanals, zwischen den von Speichern unterbrochenen Häuserzeilen, stand der weite, klare Himmel in Flächen von tiefem Blau, und im Rückprall der Sonnenstrahlen blendeten die weißen Fassaden, die Schieferdächer und die Kais aus Granit. Ein verworrenes Geräusch tönte von fern in die schwüle Luft; und alles schien erstarrt in sonntäglicher Untätigkeit und der Traurigkeit der Sommertage.“ Als ich bei der Recherche für das Lob der Kopie diese Referenzen entdeckte, durchströmte mich an jeder Stelle ein kleines Glücksgefühl, das immer noch anhält.

Platz 3: Der achte Ozean

Natürlich brauche ich einen Song, der nie auf Konzerten gespielt wird und den niemand sonst in die Top-Ten nehmen würde. Eine maritime Metaphorik mit toller Erinnerung.

Platz 2: Imitationen

Lob der Kopie. Was für ein Song!

Platz 1: Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk

Der beste von den Namens-Referenzsongs. Und überhaupt.

Was sind deine Lieblingssongs von Tocotronic? Wer drüber bloggen möchte, darf das hier als Blog-Stöckchen aufnehmen!