Hat es jemals ein schlechteres Timing für eine Jan-Böhmermann-Sendung gegeben als jenes für die ohnehin inhaltlich flache Marathon-Episode vergangene Woche? Wenige Stunden nach der Sendung vom vergangenen Freitag gewann Amanal Petros in einem beeindruckenden Photofinish die Silbermedaille im Marathonlauf der Männer bei der Leichtathlektik-WM in Tokio – und auch die, die sich niemals für Laufsport interessieren, dachten sich: Wow, was für eine Leistung!
Mal abgesehen davon, dass das ZDF Magazin den wichtigsten Aspekt am Marathon-Wahn übersah (in Wahrheit ist ein Marathon erstaunlich ungesund*!), entging ihm all das, was Menschen am Sport fasziniert. Und damit meine ich sowohl die eigene sportliche Aktivität wie das Zuschauen wenn andere zum Beispiel in einem dramatischen Finale die Basketball-EM gewinnen. Dass die Nacht, in der Petros in Tokio lief, damit begann, dass Dennis Schröder und die deutsche Basketballmannschaft den Europameistertitel gewann, ist vielleicht nur Zufall – aber beides steht für den besonderen Zauber, den nur Sport in seiner faszinierenden Einfachheit erzeugen kann. Es gibt kein Abwägen, kein Vielleicht – es gibt nur Sieg oder Niederlage. Und entweder der Ball landet im Korb oder du wirfst daneben.
Noch bevor der zweite deutsche Starter Richard Ringer im Ziel war, zeigte Amanal Petros im Stadion in Tokio eine Referenz an Dennis Schröder und die Europameister. Er imitierte dessen Geste und setzte zu einem imaginären Sprungwurf an.
Die äußerliche Ruhe, mit der Dennis Schröder wenige Stunden zuvor in Riga die letzten Freiwürfe des Spiels versenkt hatte einerseits und seine Emotionen nach dem Spiel andererseits zeigen die Faszination für den Sport auf eine beeindruckende Art und Weise. Dass der verletzte Moritz Wagner im Anschluss das durch seine ehrliche und ansteckende Begeisterung noch steigerte, macht es besonders schön. Und ganz nebenbei persiflierte er z.B. durch seine ironisierte „Warum war es heute so schwer?“-Frage eine bestimmte Form des Sportjournalismus.
Aber was ist soll toll daran, dass da Leute mitten durch die Stadt rennen? Eben genau das: die Weltbesten einer Sportart tun dies genau dort, wo auch Amateure dem Sport nachgehen. Das führt nicht nur dazu, dass du sie einfach treffen kannst (der bereits erwähnte Richard Ringer lief wenige Wochen vor dem Weltmeisterschaftslauf bei einer kleinen Veranstaltung in München mit), sondern auch dazu, dass ihr Tempo und Können direkt sicht- und spürbar werden. Die Laufinfluencerin Lisa Migliorini zeigte das in Tokio, indem sie versuchte eine Weile neben dem Feld herzulaufen.
Was mich aber am allermeisten an Marathon-Übertragungen fasziniert, ist der andere Blick auf die Stadt. Ich bin in der Nacht auf Montag wachgeblieben, weil ich sehen wollte, wie Petros und Ringer durch Tokio laufen. Aus dem gleichen Grund hatte ich mir auch den Olympia-Marathon von Paris angeschaut (bei dem die Veranstalter übrigens die sehr tolle Idee hatten, die Strecke auch für amateur-Läufer:innen freizugeben, was auch bei der Europameisterschaft 2022 in München faszinierend toll war, wenige Stunden nach Richard Ringer über die Leopoldstraße zu laufen). Wenn die Straßen für die Autos gesperrt sind und die Läuferinnen und Läufer sich dort bewegen, gelingt ein neuer, besonderer Blick auf die Stadt. Allein deshalb lohnt es sich, für Marathon-Übertragungen wach zu bleiben.
Wenn dann dabei noch so spannende Entscheidungen zu bewundern sind, wie bei das Photofinish von Petros oder die besondere Geschichte der Bronze-Medaillen-Gewinnerin Julia Paternain aus Uruguay, die erst im Ziel verstand, dass sie in ihrem erst zweiten Marathon auf Platz drei gelaufen war, dann lohnt es sich besonders!

*wer sich für das Thema Marathon und Gesundheit interessiert: im Buch „Marathon-Fitness“ gehe ich darauf ein, dass der beste Ratschlag für Läufer:innen lautet: Trainiere für einen Marathon, aber laufe ihn nicht.