Krautreporter und der „Almost Famous“-Moment

William Miller ist 15 Jahre alt, er muss die Stimme verstellen als der Rolling Stone ihn anruft. Die Szene stammt aus dem Film „Almost famous“ und sie beschreibt wie Popularität in der Welt vor dem Netz funktionierte. Cameron Crowes Film aus dem Jahr 2000 erzählt die Geschichte von Pop und Journalismus im vergangenen Jahrhundert.

Im aktuellen, dem digitaleren Jahrhundert würde ein Filmemacher den jungen William natürlich nicht am Telefon zeigen. Die Popstars der Gegenwart sitzen vor Computerbildschirmen und beobachten, wie Werte hochgezählt werden: Reichweite, Zugriffe, Bestellungen – die Werte wachsend minütlich.


Genau einen solchen „Almost Famous“-Moment erleben die Macher der heute gestarteten Plattform Krautreporter gerade. Während ich das hier schreibe, haben sie mit ihrem Angebot die Grenze von 100.000-Euro überschritten. 1667 Unterstützer haben für ihre Idee eines werbefreien Webmagazins durchschnittlich 60 Euro vorausgezahlt. Das ist beeindruckend! Und ich an ihrer Stelle würde spästestens jetzt so ein Gesicht machen wie William Miller in Almost Famous.

kraut

Neun der kommenden dreißig Tage müssten so laufen wie der heutige 13. Mai – an dem das Projekt von Der Zeit und Der Welt, über die taz und Netzpolitik bis zum Standard verlinkt war und die Timelines zahlreicher Was-mit-Medien-Menschen dominierte. 900.000 Euro rufen die Macher auf – ohne genau zu sagen wofür sie das Geld im Detail ausgeben werden. Das macht den Start doppelt beeindruckend. Denn in Wahrheit gibt die Seite (bisher) auch keine sonderlich konkrete Antwort auf die Frage, was sie mit dem Geld dann machen wollen. Umso genauer sagen sie, was sie nicht machen wollen: das, was die anderen machen. Sie halten gar den ganzen Online-Journalismus für kaputt.

Ich kann mir viele Kontexte vorstellen, in denen ein solcher Satz für großen Protest gesorgt hätte. Dass die Krautreporter („aus den besten Redaktionen Deutschlands“) so etwas pauschal behaupten können, ohne dass sie auf die zahlreichen bemerkenswerten Projekte des Online-Journalismus hingewiesen werden (schaut euch mal den diesjährigen Springer-Preis-Gewinner an), zeigt dass sie – völlig zurecht – auf eine hohe Reputation bauen können.

Es sind (Disclosure: ich habe mich persönlich davon überzeugt) großartige Leute in dem Team, das hier mit hohen Ambitionen und großem Pathos ans Werk geht. Allein weil ich spätestens seit Andrew Sullivan denke, dass das jemand in Deutschland probieren sollte, hoffe ich, dass sie sich nicht übernehmen – mit Pathos und Ambition. Ich wünsche dem Projekt, dass es nicht Almost Famous bleibt und bin gespannt auf das, was noch kommen kann und wird – in Sachen Inhalt und Konkretisierung, aber auch in Sachen Transparenz. Dass lediglich die letzten 60 Unterstützer anzeigt werden, finde ich merkwürdig – denn einer der besondere Momente beim Crowdfunding ist doch nachzuschauen: Wer ist noch dabei?

Mehr zum Krautreporter-Start bei Stefan Niggemeier, don alphonso, Lorenz Matzat und in einem Text, in dem Karsten Wenzlaff mich (glaube ich) eine Rampensau nennt.

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