Ende der Anonymität: Interview mit Markus Hofmann

Wie erreicht man mehr Qualität in Online-Debatten? Seit Ende Februar versucht die Badische Zeitung auf ihrer Webseite den Wert der Kommentaren durch Klarnamen zu erhöhen. Markus Hofmann, der Chef von badische-zeitung.de (und dem jungen Projekt fudder.de ) erklärt im Interview, was die Beweggründe für diesen Schritt waren und welche Schlüsse er aus den ersten Wochen zieht.

Das Interview erscheint im Rahmen einer kleinen Serie, in der ich bereits mit Dieter Kassel (Call-In im Radio) und Christoph Dowe (Anforderung an einen Community-Manager) über die Herausforderung des aktiven Rezipienten gesprochen haben.

„Verlage werden an dem Thema Community-Management nicht vorbei kommen“

Ein Gespräch über Umgangsformen, Sorge um die Marke und die Randzeiten des aktuellen Geschäfts

Seit kurzem können Nutzer auf badische-zeitung.de nur noch unter
Klarnamen kommentieren. Wie läuft es seit dem?

Erstmal gab es sehr emotionale und heftige Reaktionen unserer Nutzer.
Wir hatten die User schon einige Wochen vor der Umstellung eingeladen,
grundsätzlich über das Thema Moderation von Kommentaren mit uns zu diskutieren. Dabei hatten wir – mehr oder weniger unverklausuliert – angekündigt, dass wir diesen Schritt gehen wollen. Bei einigen Powerusern haben wir daraufhin eine deutliche Ablehnung festgestellt. Die wichtigsten Gegenargumente waren der Datenschutz und der Schutz der Privatsphäre: Wir wollen nicht mit unseren richtigen Namen über Google gefunden werden.

Und bei der Umstellung?
Der Text, in dem wir den Regimewechsel bekannt gegeben haben, erhielt eine Flut von Kommentaren. Es waren mehr als 500 Kommentare, in schätzungsweise 75 Prozent der Beiträge wurde unser Schritt negativ oder skeptisch bewertet. Das haben wir aber auch erwartet.

Trotzdem habt Ihr den Schritt vollzogen. Eine richtige Entscheidung?
Wir haben jetzt erste Zahlen und die zeigen, dass das Kommentarvolumen im Vergleich zum Vormonat um 20 bis 25 Prozent zurückgegangen ist. Ich persönlich hatte mit einem deutlich stärkeren Rückgang gerechnet. Es ist so, dass es unmittelbar nach der Einführung etwa 100 User gegeben hat, die ihren Account gelöscht haben …

… was macht das prozentual aus?
Das ist ein sehr kleiner Anteil aller Nutzer. Und: Viele haben sich auch wieder angemeldet. Wir haben quantitativ also einen vergleichsweise moderaten Rückgang zu verzeichnen.

Und in Bezug auf die Qualität der Kommentare?
Die Qualität der Kommentare hatte sich bereits vor der Umstellung peu à peu verbessert. Da sind wir durch die Umstellung nochmal einen Schritt vorwärts gekommen, aber es ist trotzdem noch nicht so, dass ich sagen würde: Wir haben das Optimum erreicht.

Sind die Kommentare denn besser geworden?
Die Umstellung hat durchaus den Effekt gehabt – verbunden mit einer strengeren Moderation der Redaktion – dass der Ton zivilisierter geworden ist …

… weil die Leute sich etwas mehr zurückhalten, weil sie sich nicht hinter der Anonymität verstecken können?
In der Theorie sollte es so funktionieren. Wir kontrollieren in der Praxis aber nicht, wer sich hinter einem Klarnamen verbirgt. Ich halte es technisch nicht für machbar, wirklich zu überprüfen, ob Klaus Müller auch tatsächlich Klaus Müller ist – und eigentlich auch für nicht wünschenswert, das so stark zu reglementieren. Deshalb ist es so, dass diejenigen, die als Trolle unterwegs sein wollen, das auch weiterhin tun können. Der Schritt war aber dennoch wichtig und richtig, weil er eine ganz deutliche Signalwirkung hatte für all die User, die ernsthaft diskutieren wollen. Diese User sollen nicht durch Pöbler und anonyme Heckenschützen abgeschreckt werden. Es ist uns ein sehr wichtiges Anliegen, eine sachliche, fundierte Diskussion auf badische-zeitung.de zu ermöglichen.

Was war schlussendlich der Hauptgrund, der Euch bewogen hat, diesen Schritt zu gehen?
Ein wichtiger Aspekt war die Marke. Es ist so, dass wir bei fudder und bei der BZ zwei unterschiedliche Strategien verfolgen. Bei fudder möchten wir keine Klarnamen einführen. Dort ist das Diskussionsklima recht gut, die Community reguliert sich bei Konflikten selber, wir müssen sehr selten eingreifen. Es hat bei fudder aber auch mehr als zwei Jahre gedauert, bis wir solch einen Zustand der Selbstregulierung erreicht hatten. Was die Außenwahrnehmung angeht, ist bei fudder vielleicht auch eher mal eine verbale Entgleisung möglich als bei der Website einer Qualitätszeitung. Fudder ist das junge Labor, wo man frech sein darf und auch mal Sachen schief gehen können. Die Zeitungswebsite dagegen ist das
glaubwürdige, seriöse Qualitätsprodukt. Und da war schon die Befürchtung – redaktions- und verlagsübergreifend und die teile ich auch – dass die Marke durch eine schlechte Diskussionskultur beschädigt werden könnte.

Und das wolltet Ihr vermeiden?
Wir sind der Meinung, dass ein Klima, in dem gepöbelt wird, in dem man sich beleidigt, einfach nicht zu einer Tageszeitung und zu dem Online-Auftritt einer Tageszeitung passt. Deshalb haben wir uns die Frage gestellt: Welche Maßnahmen können wir ergreifen, um einerseits weiterhin ein möglichst liberales System zu haben und trotzdem das Klima zu verbessern? Denn natürlich wünschen wir uns ein offenes Debattenportal.

Deshalb werden die Nutzer jetzt gebeten, einen Klarnamen zu verwenden, Ihr kontrolliert das aber nicht. Habt Ihr langfristig vor, das mit Angeboten zu verbinden, die Namen tatsächlich verifizieren?
Wenn ich die amerikanischen Blogs verfolge, wird genau das ja gerade diskutiert: eine Anbindung an Social Identity Provider, also Anbieter, die die Namen verifizieren. Wir beobachten das mit Interesse, aber es ist nicht konkret geplant. Wir glauben aber, dass es kein Patentrezept gibt, um ein gutes Kommentarklima zu schaffen. Wie überall im Internet ist es wichtig, Sachen auszuprobieren und gegebenenfalls eine falsche Entscheidung auch rückgängig zu machen.

Der Schritt hin zu Klarnamen war aber keine falsche Entscheidung?
Nein, unter dem Strich, sind wir zufrieden damit, wie es sich entwickelt. Richtig ist aber auch: Klarnamen sind nur eine von mehrere Stellschrauben, die positiv auf das Debattenklima einwirken können. Der wichtigste Erfolgsfaktor ist meiner Meinung nach, dass die Redaktion kontinuierlich mit eigenen Kommentaren in den Online-Debatten präsent ist und damit zeigt: Wir kümmern uns um unser Gärtchen.

Du hattest angedeutet, dass die Chefredaktion und auch die Geschäftsführung Befürchtungen hatten, dass die Kommentarkultur sich negativ auf die Marke auswirken könnte. Seid Ihr dann auch entsprechend ausgestattet worden, um darauf zu reagieren? Oftmals wird Community-Management ja quasi als Nebenbei-Tätigkeit verstanden, die jemand zusätzlich auch noch erledigen kann, neben seinen anderen Aufgaben …
Uns stand in den vergangenen Monaten eine zusätzliche Mitarbeiterin für das Community-Management zu Verfügung und wir können auch weiterhin Aushilfen als Verstärkung disponieren, wenn es notwendig ist. Die Unterstützung ist also da. Und wenn wir wirklich grundsätzlich über das Thema Ressourcen im Bereich Community-Management sprechen, stelle ich eine große Offenheit im Verlag und in der Chefredaktion fest, neue Wege zu gehen. Denn: Wenn Community-Management ein wesentlicher Teil des Tagesgeschäfts der Online-Redaktion ist, kann man ohne diese notwendigen Ressourcen kein seriöses Qualitätsversprechen abgeben. In Breaking-News-Situationen oder zu Randzeiten können wir einfach nicht beide Sachen parallel erledigen. Das Nachrichten-Geschäft hat in solchen Situationen immer Vorrang. Und in solchen Momenten kracht es gerne im Kommentar-Bereich. Deshalb braucht es Personen, die die Qualifikation und die Zeit haben, sich
kontinuierlich mit dem Thema zu beschäftigen. Ich glaube, dass die Verlage kurz- bis mittelfristig nicht an dem Thema Community-Management vorbei kommen. Es braucht einfach jemanden, der sich konsequent um die vielen Schnittstellen kümmert – sei es in den eigenen Kommentaren, bei Facebook und Twitter oder sonst wo im Internet.

13 Kommentare

„…wirklich zu überprüfen, ob Klaus Müller auch tatsächlich Klaus Müller ist – “

Könnse ruhich. Ich bin’s. Tatsächlich.
Im Ernst: auf meinem Weblog „Jeeves“ geht’s auch nur mit anmelden und der Ton ist (deshalb) recht gesittet.

Der Schwabbelbegriff „Qualität“ jetzt also auch noch in den Kommentarspalten von Zeitungen. Warum nicht, wenn man schon am rumexperimentieren ist, mal probehalber das Kommentieren unter Klarnamen verbieten? Persönlich ist mir eine Person bekannt, die nachweisbar persönliche Nachteile erfahren hat, weil ein Namensvetter doch ziemlich heftig und ausdauernd ein Zeitungsportal mit Schrott zugetextet hat. Man könnte auch ausnahmsweise mal die Frage in den Raum stellen, ob es nicht allenfalls ein Recht auf Nichtkommentieren und keine Identität im Netz gibt?

Wirklich lustig ist das die Verlage im Jahr 2010 auf die Idee kommen das sie Community Management brauchen könnten. Das fällt euch früh auf. Wirklich. Knapp 20 Jahre nach Uset und Netiquette.

Habt ihr eigentümlich auch ähnlich seriöse (von wegen wieviele sich wieder angemeldet haben :-) Studie wieviete sich mit ihrem echten Namen angemeldet haben?

Also die Kommentare werden schärfer moderiert … aber weil die Pseudonyme jetzt zweiteilig sein müssen, hat sich die Qualität verbessert. Klar doch!

Das „Niveau“ der Kommentare ist nur vorgeschoben, um die De-Anonymisierung der Zielgruppe besser verkaufen zu können. Der „Qualitätsjournalismus“ hat in Wirklichkeit einfach erkannt, daß Datensätze mit Namen sich besser verkaufen lassen.

Wenn Klaus Müller im Blog der badischen Zeitung einen Kommentar zu Benzinpreisen abgegeben hat, dann bekommt Klaus Müller, Bahnhofstraße 13, 12345 Baden-Baden eben demnächst verstärkt Autowerbung. Rein zufällig, versteht sich. Es geht ja nur um die Gesprächskultur.

Das Interview geht doch von völlig falschen Voraussetzungen aus. Bei der BZ Online herrscht, wie Hofmann sogar zugibt und worauf der Interviewer überhaupt nicht eingeht, eben KEINE Klarnamenspflicht, lediglich das Spektrum der erlaubten Pseudonyme hat sich verändert: Jetzt braucht man halt eine Kombination aus einem für den Moderator bei BZ-O plausibel klingenden „Vornamen“ und einem ebensolchen „Nachnamen“. Und das Problem dass Leute unter falscher Flagge segeln, also unter dem Namen einer anderen lebenden Person posten, wird noch zu Ärger führen, da bin ich mir sicher.

Ich komme erst heute dazu, auf die Kommentare zu antworten und möchte vor allem sagen: Es geht nicht darum, dass ich die Entscheidung der Badischen Zeitung bewerten will. Es geht darum, zu verstehen, was Markus und sein Team dazu bewogen hat und welche Schlüsse sie daraus ziehen.

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