Keine Kommentare auf stern.de: Interview mit Katarina Rathert

Community-Management entwickelt sich zu einem akzeptierten und wachsenden Bestandteil der Online-Publizistik. Und spätestens seit der Debatte über Klarnamen als Qualitätssicherung für Online-Debatten spielt auch Facebook hier eine immer wichtigere Rolle. Über die damit verbundenen Veränderungen habe ich mit Katarina Rathert gesprochen, die als Produktmanagerin bei stern.de arbeitet.

Das Interview erscheint im Rahmen einer kleinen unregelmäßigen Serie, in der ich bereits mit Dieter Kassel (Call-In im Radio), Markus Hofmann (Klarnamen in Diskussionen) und Christoph Dowe (Anforderung an einen Community-Manager) über die Herausforderung des aktiven Rezipienten gesprochen haben.

„Wir sind dabei, den Umgang mit Kommentaren neu zu konzipieren.“

Im Bereich „Community“ auf stern.de stellst du regelmäßig Fragen an die Nutzer der Website. Wer darauf antworten will, wird direkt auf Facebook geleitet. Warum ist das so?
Es handelt sich bei dem Video, das du ansprichst, um ein eigens für unseren Facebookauftritt konzipiertes Format. Als wir vor gut einem Jahr zusammen saßen und überlegt haben, wie wir stern.de auf Facebook präsentieren, war uns klar, dass wir die Redaktion anfassbar machen wollten. Daraus ist die Idee entstanden, dass unser Nachrichtenchef Dirk Benninghoff morgens einen Videobeitrag zu einem tagesaktuell wichtigen Thema macht. In meinen Videos nachmittags geht es dann meist um Themen, die im Netz diskutiert werden oder unsere Leser auf stern.de besonders interessieren. Häufig steht mir einer der Kollegen zum aktuellen Thema Rede und Antwort – auf diese Weise versuchen wir, der Redaktion auf Facebook ein Gesicht zu verleihen.

Stimmt mein Eindruck, dass man auf stern.de selber gar nicht mehr kommentieren kann?
Ja das stimmt, wir haben uns vor kurzem entschieden, die Kommentarfunktion auf stern.de vorerst nicht mehr anzubieten.

Warum?
Wir haben in den letzten Monaten vor allem im Vergleich zu den Diskussionen auf Facebook starke qualitative Unterschiede der Userbeiträge festgestellt. Anonym abgegebene Kommentare, die sich nicht an ein Mindestmaß der Regeln des menschlichen Miteinanders halten, haben uns die Arbeit zunehmend erschwert. Wir mussten Diskussionen ständig mit Ermahnungen unterbrechen, extreme Beiträge löschen und themenfremde Auseinandersetzungen über regelkonformes Verhalten führen. Viele Leser haben uns immer wieder gebeten, die Kommentare lieber ganz auszuschalten. Eine freie und lebendige Diskussion war kaum mehr möglich, und wir waren mit der Verwaltung von Usern beschäftigt, die bewusst darauf aus waren, zu stören. So eine Moderation ist sehr zeitintensiv, so dass wir uns zu Beginn der Urlaubszeit entschlossen haben, den Kommentaren bis auf Weiteres Ferien zu gönnen. Gleichzeitig haben wir darin eine Aufgabe entdeckt: Wir sind dabei, den Umgang mit Kommentaren auf stern.de neu zu konzipieren. Die Artikel, die wir sowieso jeden Tag auf Facebook platzieren, erhalten zudem einen Hinweis auf die Debatte in dem sozialen Netzwerk.

Welche Erfahrungen habt Ihr bisher damit gemacht?
Wir haben natürlich Nachfragen bekommen, treue User, die wissen wollten, was los ist, auch mal einige böse Mails, die uns der Zensur bezichtigt haben. Im Großen und Ganzen aber haben die User Verständnis gezeigt.

Du hast viel mit Nutzerkommentaren zu tun. Sind diese qualitativ tatsächlich auf Facebook besser?
Ja. Auf Facebook einer Seite zu sagen „gefällt mir“ und sich dort aktiv zu beteiligen ist ein Statement. Das gesamte eigene Netzwerk, welches zumeist aus Freunden, meist auch Arbeitskollegen oder Geschäftspartnern besteht, kann dies sehen und mitverfolgen. Da überlege ich mir sehr genau, was ich schreibe und wie ich es formuliere. Wenn wir doch mal Kommentare erhalten, die unter die Gürtellinie gehen, regulieren die User das sehr schnell untereinander, so dass auch kontroverse Debatten nicht abrutschen. Wir stellen immer wieder fest, dass unsere Facebook-User uns offen gegenüber stehen – was nicht heißt, dass wir nicht auch Kritik einstecken müssen. Aber wir haben die Möglichkeit, Entscheidungen transparent zu machen und darüber in den Dialog mit den Leuten zu treten, die das respektvoll bewerten.

Die allermeisten Nutzer sind auf Facebook unter Klarnamen aktiv. Ist das der Grund für die höhere Qualität der Kommentare?
Auf jeden Fall und die damit einhergehende soziale Kontrolle: jeder kann sehen, was und wie ich es geschrieben habe, zu welchen Themen ich was sage. Da will ich mir sicher sein, dazu auch stehen zu können und mich nicht zu blamieren oder dem Spott meiner Freunde auszusetzen.

Würdest du Forenbetreibern und Anbietern, die Nutzer auf ihrer Website kommentieren lassen, raten, dies auf Facebook oder andere externe Dienstleister auszulagern?
Nicht immer. Man muss sich überlegen, ob man sich auf externe Anbieter, ihre technischen Möglichkeiten und Regeln allein beschränken oder individuelle Zusatzangebote schaffen möchte.

Was spricht dafür? Was spricht dagegen?
Dafür spricht ganz eindeutig der technische Aufwand: Facebook etwa kann man zur Diskussion mit seiner Zielgruppe auch dann nutzen, wenn keine eigene technische Infrastruktur vorhanden ist. Dagegen spricht sicher die potenzielle Abhängigkeit von einem Anbieter, seinen Regeln und natürlich damit auch dessen Firmenpolitik.

Ein Argument dagegen, Kommentare auf Facebook auszulagern, lautet: Man verliert so den Einfluß. Teilst Du diese Befürchtung?
In gewisser Weise ja. Man macht sich, wie oben beschrieben, natürlich auch abhängig von einem Global Player, dessen Regeln und Kommunikationskultur User verstehen und auch akzeptieren müssen. Man muss Facebook und seine Regeln kennen, um damit arbeiten zu können.

Ein Ausblick in die Zukunft: Wie glaubst du, werden sich Nutzerkommentare in den kommenden Jahren entwickeln?
Nachdem wir in den letzten Jahren darüber diskutiert haben, ob Kommentare sein müssen, haben sich diese nun endlich etabliert. Entscheider sehen zunehmend den Wert der Meinung ihrer Kunden. Kommentare als Feedback- und Ideentool haben sich etabliert und entwickelt. Das Miteinander ist diskutiert und ausgehandelt worden. Kommentare in Blogs haben es vorgemacht: freiwillige Klarnamennennung oder der Login per vorhandener Webidentität führen zu Diskussionen, die allen Beteiligten nicht nur Spaß machen, sondern auch inhaltlich weiterbringen.

15 Kommentare

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Wie gut, dass ich weder Stern.de-Leserin noch Kommentatorin bin: Ich bin beileibe nicht der einzige Mensch, der Facebook aus durchaus nachvollziehbaren Gründen ablehnt.

So besehen sucht sich Stern.de seine Kommentierklientel also selbst aus.

Ein demokratischer Querschnitt erfordert wohl tatsächlich Hingabe, Mühe, Arbeit und Disziplin(ierung) c´est la vie, c´est le peuple.

L´état c´est moi war übervorgestern.

Eine Menge beeindruckender Zuschriften auf dieser Seite für und gegen facebook – eigentlich mehr für ( gefühlt ).

Ein Magazin macht seine Onlinekommentarfunktion dicht, da Trolle mehr und mehr die Site gestört haben.

Darf man das glauben ? Nein, denn dann sollte SPON schon lange geschlossen sein.

Wie dort schon nach 3-4 Seiten die Diskussion ausufern kann und allein das Lesen unerfreulich macht, ist bemerkenswert. Dennoch hält Spon das Angebot aufrecht.
Nun weiß ich außer STON keine Zeitung inclusive dem SHZ Verlag in meiner Heimat, welcher keine Kommentarfunktion erlaubt oder sie entfernt hat.
Wer weiß mehr ??

was bezweckt Stern mit dieser Sperre? Einen Zwang zu facebook ? Für mich niemals.
Lasse mich von dem Magazin doch nicht nötigen, wohin meine Sympathien oder Antipathien gehen, das ist glücklicherweise noch nicht öffentlich, aber bald vielleicht wieder dank STON und seinen merkwürdigen Verbindungen.

Stern online hatte es vorgezogen, seine Leser und Schreiber einfach kurzfristig auf den Sessel zu setzen.

OK, ist das eines großen deutschen Magazins würdig ?

Alleine auf Facebook zu setzen ist letztlich ein Eingeständnis, dass das Community-Management offenbar nicht funktioniert hat (was ja passieren kann).
Oder einfach ein Zeichen dafür, dass G + J sich die Kosten für einen Großteil der Moderation sparen will. Wie auch immer: Ein solches Outsourcing ist bei der gegenwärtigen Lage der Medienhäuser nur folgerichtig, aber letztlich das falsche Signal an die eigenen Nutzer.

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