Das trifft uns dann morgen: das Internet in West Wing

Ich schaue gerade mit einige Verspätung die Präsidentschaftsserie West Wing. Das bringt mir neben Spott (zu spät) und Neid (nochmal alles vor sich haben) meiner Vorne-dran-Peer-Group vor allem einen interessanten Einblick auf die Welt des Internet zu Zeiten von West Wing (die Serie startete 1999). Gerade habe ich beispielsweise die Folgen gesehen, in denen Leo McGarrys Alkohol- und Tablettenabhängigkeit thematisiert wird. Über einen langen Zeitraum wird das Öffentlichwerden dieser Meldung über den Stabschef des Präsidenten thematisiert. Die bösen Reaktionen der Öffentlichkeit werden (zumindest bis zu dem Punkt, den ich jetzt gesehen habe) nicht gezeigt. Einzig das Aufziehen dieses vermeintlichen Gewitters wird thematisiert. Regen, Donner oder gar Blitze sieht man nicht.

Noch erstaunlicher ist aber dies: An einem Nachmittag verbreitet sich die Meldung im Westflügel des Weißen Hauses, dass die Geschichte morgen medienöffentlich werde – die Amerikaner verwenden den Ausdruck „it is breaking“ dafür, dass die Medien die Meldung aufgreifen und verbreiten werden. Auslöser für dieses Wissen im West Wing ist die Erkenntnis: „It is in the internet.“
Man sieht die engsten Mitarbeiter des Präsidenten, seine Presseabteilung, seine Berater und seinen Stab wie sie alle die Beobachtung debattieren, dass etwas im Netz sei. Niemand geht an einen Computer um diese Behauptung zu überprüfen oder gar darauf zu reagieren. Alle sind sich einig: Das trifft uns dann morgen. So wie ein Gewitter, das nach Osten zieht, von Menschen weitergemeldet wird, die viel weiter im Westen wohnen: Es wird uns treffen, aber noch nicht jetzt.

Am nächsten Tag gibt Leo eine Pressekonferenz, gesteht seine Sucht ein und der Erzählstrang wird weitergereicht an einen Konflikt an der indisch-pakistanischen Grenze. Man sieht Leo wie er in der freundlich beleuchteten Ruhe seines Büros (hat er tatsächlich keinen Computer auf dem Tisch!?) einen Blick auf den stummen Fernseher wirft, der sein Bild aus dem Presseraum des Weißen Hauses zeigt. Er greift zur Fernbedienung und schaltet das Gerät aus.

Vielleicht muss man diese Serie gesehen haben um zu verstehen, wie Menschen das Internet sehen die nicht mit der selbstverständlichen Echtzeit-Systematik des Always-On sozialisiert wurden. Man muss verstehen, dass es eine Zeit gab – und die ist noch gar nicht so lange vorbei – in der die Ankündigung eines Gewitters nicht gleichbedeutend war mit plötzlichem Regen und Donner.

Vom ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff ist die zeithistorisch bedeutsame Beobachtung überliefert, dass das Netz ihm die Möglichkeit zum „Gegenarbeiten“ geraubt habe. Im Sommer 2010 – weit vor den Meldungen, die schließlich seinen Rücktritt erzwangen – sagte er in einem Radiointerview:

Früher war es so, da erfuhren sie nachmittags, dass morgen irgendwas in der Zeitung steht. Da konnten Sie schon richtig stellen, da konnten Sie schon gegenarbeiten. Heute erfahren Sie, dass etwas im Internet steht und Millionen anderer haben gleichen Zugriff auf die gleiche Information. Man hat damit keinen Vorlauf mehr, um Dinge richtigzustellen.

Früher ist heute eine sehr spannende Fernsehserie.

2 Kommentare

Überhaupt sind solche Serien und Filme, in denen es (zumindest auch) um das Zusammenspiel von Politik und Medien geht, unter dem genannten Gesichtspunkt besonders interessant.

Das fällt mir u.a. jedes Mal auf, wenn ich „Wag the Dog“ sehe: Während ich mir schon vorstellen kann, dass ein ähnlicher Coup mal funktioniert haben könnte, bin ich mir nicht sicher, ob das heute, im Zeitalter von Smartphones, Youtube und Twitter, länger als wenige Stunden möglich wäre!?

(West Wing ist also wirklich so gut, wie alle sagen? Dann sollte ich es mir auch mal anschauen…)

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