3. Erfolgreiche Zeitungen verkaufen nicht nur Nachrichten

Wenn man also analysiert: „Warum kaufen Menschen Zeitungen? Warum bezahlen sie Geld für bedrucktes Papier?“ muss man feststellen: Es geht nicht ausschließlich um die redaktionell aufbereitete Neuigkeit. Der Kauf einer Zeitung wird nicht unwesentlich von anderen Dingen bestimmt. Dazu zählen unter anderem ein Reputationsgewinn, die erwähnte Teilhabe und zugespitzt formuliert: Erst am Ende die reinen Nachrichten, im Netz häufig als Content bezeichnet.

Meine dritte These heißt deshalb: Menschen kaufen Zeitungen nicht nur wegen des Inhalts. Oder um es anders zu formulieren: Content ist nicht das einzige Gut, was Zeitungen anzubieten haben. Die Suche nach Modellen für Paid Content verkürzt den Blick: Zeitungen haben mehr zu bieten als ihren Inhalt.

Wer zum Beispiel mit einer Süddeutschen Zeitung in der U-Bahn gesehen wird oder wer eine Ausgabe von Wallpaper vor einer Party auf seinem Coffeetable ablegt, weiß: Mit dem Erwerb einer Zeitung kauft man Zugang zu einer – manchmal auch nur gefühlten – Gemeinschaft. Der Verleger Dirk Ippen spricht deshalb (im Interview mit dem Deutschlandfunk) auch vom ‚ÄúSolidarsystem Zeitung‚Äù. Dort heißt es:

Zeitungen sind mehr als nur gesammelte und gedruckte Nachrichten, Zeitungen sind Solidarsysteme. Das gelte für die lokalen Blätter genauso wie für die überregionalen Zeitungen. Wer beispielsweise die Süddeutsche lese, gehöre damit zu einer Gruppe, die man als eher linksliberales Bürgertum bezeichnen könnte, wer die FAZ abonniere, der wolle zu einer eher wirtschaftsliberalen Elite gehören, wer aber sein Heimatblatt lese, der identifiziere sich mit der Region, beziehungsweise der Stadt.

Wo diese Gemeinschaften im Analogen vor allem angenommen sind, werden sie im Digitalen abbildbar und zu einer großen (bisher ungenutzten) Chance für Zeitungen. Das scheint logisch, wird in der Debatte um Paid Content häufig übersehen: Die Alleinstellung einer Zeitung ist (nicht nur) ihr Inhalt, es ist ihre Leserschaft. Eine im übrigen nicht neue Erkenntnis. Professor Hömberg wies mich unlängst im Gespräch darauf hin, dass schon in Karl Kraus‘ Die Fackel auf der letzten Seite Termine notiert waren, an denen sich Fackel-Leser im Kaffeehaus trafen. Überträgt man dies auf das Zeitalter der Digitalisierung heißt dies: Zeitung generieren Wert auch aus dem, was man als soziales Wissen bezeichnen, aus den Informationen, die ihre Leserschaft erstellt.

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6 Kommentare

[…] Mal angenommen diese Beobachtungen würden stimmen: Warum nutzen Kegel und Staun ihre Erkenntnis nicht zur Basis einer Analyse? Der Frage könnte man doch nachgehen: Was für eine Elternschaft muss das sein, für die solche Magazine gemacht werden? Und damit meine ich nicht den implizierten Spießigkeits-Vorwurf oder die Einschätzung, wann Sex gut ist, sondern die Frage: Warum gibt es Menschen, die sich eine derartige (für FAZ-Autoren offenbar unvorstellbare) Elternschaft zumindest zeigen lassen wollen? In welchen Kontexten leben die, mit welchen veränderten Ansprüchen und Zielen sind sie ausgestattet? Für all das liefert Nido eine herausragende Vorlage zur Medienkritik. Dass dies nicht genutzt wird, sondern stattdessen ein besserer Buchtipp empfohlen und Spießigkeit kritisiert wird, lässt ahnen: Das Konzept eines auf eine durch ein Lebensgefühl verbundende Magazin-Leserschaft bleibt unverstanden. Dabei würde genau darin eine Menge dessen stecken, was Publikation auch im Netz erfolgreich macht (siehe dazu den Eintrag Erfolgreiche Zeitungen verkaufen nicht nur Nachrichten). […]

[…] Unter dem Titel The Importance Of Engagement wird auf paidcontent.org die Rede von Martin Nisenholtz (SVP for digital operations at The New York Times) dokumentiert, die dieser an der Wharton School of Business’ zum Thema “Future of Publishing” gehalten hat. Er schließt mit den oben zitierten Worten, die zwei hier beschriebene Entwicklungen zusammenfassen: Die des aktiven Rezipienten und jene der Leserschaft als Community. […]

[…] Guardian und Observer starten Extra. Sechs Tage pro Woche den Guardian, sonntags den Observer, so ein Abonnement kostet in Großbritannien etwa 300 Pfund. Jetzt bieten die beiden Blätter etwas an, was sich für eine Zeitung ungewöhnlich anhört: Mitgliedschaft. Extra, das Mitgliedsprogramm von Guardian und Observer, hat wenig mit taz-Genossenschaft gemein. Auch wenn sich die taz mit Prämien bedankt (einem fair gehandelten Mango-Paket zum Beispiel), geht es mehr ums GenossIn-Sein als ums Genießen. Extra ist dagegen eine Mischung aus Coupon-Heft (Preisnachlass auf Luxusbettwäsche) und Backstage-Pass (exklusive Lesungen und Vorträge). Abonnenten bekommen ihre Mitgliedskarte automatisch, alle anderen zahlen 25 Pfund im Jahr für dieses Gefühl der Zeitung als Gemeinschaft. […]

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