#aufschrei – die journalistische Ebene

Der Satz, den alle lesen sollten, die sich für Journalismus in diesem Land interessieren, wurde heute Vormittag auf bild.de veröffentlicht. Er trägt einen Zeitstempel und entstammt einem „Protokoll“ genannten sehr eigenwilligen Text, der versucht aus einem Pressegespräch im Jakob-Kaiser-Haus ein Event zu machen („Bild.de war live vor Ort“).

10.39 Uhr: Himmelreich ist da, mit einem Kollegen! Sie trägt einen dunkelblauen Mantel, rotes Oberteil, grauer knielanger Rock, rote Wildlederstiefel.

Die Beschreibung bezieht sich auf Laura Himmelreich, Autorin des Porträts über Rainer Brüderle, das eine noch andauernde Debatte über Sexismus in Deutschland auslöste. Ich lag falsch als ich ihren Text vergangene Woche zum Beispiel für die Tatsache nahm, dass Journalistinnen und Journalisten die Rolle des Beobachters verlassen und zu Akteuren werden. Laura Himmelreich erlebt gerade die Steigerung dessen: Sie ist nun selber zum Gegenstand der Berichterstattung geworden. Sie sah sich diese Woche auf dem Cover der Bild-Zeitung abgebildet – neben Rainer Brüderle. Und das Land diskutiert plötzlich, ob der FDP-Spitzenkandidat sich bei ihr entschuldigen soll.

Natürlich geht es nicht nur darum: Die Diskussion um #aufschrei (hier ein paar Daten dazu) zeigt, dass der Text mehr ausgelöst hat. Ich glaube aber, dass er auch eine journalistische Ebene hat, die über die inhaltliche Debatte hinaus geht. Journalistinnen und Journalisten müssen sich überlegen, wie sich ihre Rolle, ihre Auftreten und ihr Anforderungsprofil ändert, wenn Geschichten wie die genannte häufiger werden (in der gleichen Woche war übrigens auf dem Cover der Zeit ein Journalist mit einem Kinderbild zu sehen – weil er seine eigene Geschichte erzählte).

Wie bereitet man sich auf die Folgen solcher Veröffentlichungen vor? Natürlich wird nicht jede und jeder erleben, dass ihr oder sein Text am Sonntag abend Thema der vermeintlich politischen Talkshow in der ARD wird. Aber die Frage: Muss ich meinen Text später erklären? scheint wichtiger zu werden. Muss die Journalistenausbildung darauf reagieren? Müssen Journalisten lernen, ihre Texte, Filme, Bilder zu erläutern? Welche Anforderungen ergeben sich daraus für Redaktionen? Wie müssen sie ihre Autorinnen und Autoren vorbereiten und vielleicht auch schützen?

Wenn der merkwürdige wie sinnlose Graben der #aufschrei-Debatte überwunden wurde (Lektüre-Tipp: Kia Vahland in der SZ), wenn man mit Abstand auf diese Tage zurückblicken wird, wird man an den merkwürdigen Live-Ticker denken – und sich vielleicht daran machen, ein paar der genannten Fragen zu beantworten.

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