Wie macht man eigentlich eine gute Social-Media-Kommunikation? Die Antwort auf diese Frage ist äußerst schwierig, aber manchmal findet man eine Lösung wenn man es sich ein wenig leichter macht. Ich hatte darüber hier schon mal am Beispiel von Norbert Röttgen geschrieben und als ich heute früh eine aufgehende Sonnen-Blume in der Timeline sah, dachte ich mir: Dieses Beispiel lohnt es, festgehalten zu werden.
Neu ist wie diese halbe Sonnenblume als Schablone in neue Kontexte gestellt wird. Das ist an sich nicht sonderlich kompliziert, aber gerade deshalb bemerkenswert. Diese Form der Einbindung von Hand möchte ich als „Augmented Reality Handgemacht“ bezeichnen und als optische Übersetzung eines Hashtags beschreiben. Damit sind die Grünen sicher nicht die Ersten, aber sie zeigen auf politischer Bühne, wie eine gute Social-Media-Kampagne funktionieren kann – wenn man es sich etwas leichter macht.
Dass bald ein TV-Teams auf die Idee kommen wird, die aufgehende Sonnenblume über das Kanzleramt zu montieren und so die Berichterstattung über die Grünen im Fernsehen zu bebildern, ist sicher ein angenehmer Nebeneffekt.
Es gibt Menschen, die über sich selbst lachen können und es gibt die anderen. Die CDU sucht gerade einen Nachfolger von Annegret Kramp-Karrenbauer im Amt der Parteivorsitzenden. Es treten drei Kandidaten an und wenn man die genannte Unterscheidung anlegt, komme ich zu dem Schluss: Es gibt Norbert Röttgen und es gibt die beiden anderen.
Diese Einschätzung basiert einzig auf dem, was ich von Norbert Röttgen in so genannten sozialen Medien sehe. Ich bin kein Mitglied der CDU, ich habe wenig Ahnung davon, was die drei Kandidaten innerparteilich unterscheidet, aber ich sehe: Norbert Röttgen hat die erkennbar beste Social-Media-Strategie.
Beginnen wir mit den Koalas. Dass er die mag, twitterte er in dieser Woche und es war etwas anderes als der bekannte Politiker-Trick sich mit süßen Tieren zu umgeben. Denn der Koala-Tweet ist nur der jüngste Beleg für eine digitale Inszenierung, die darauf hindeutet: Der Mensch hinter diesen Accounts zählt offenbar zu denjenigen, die über sich selbst lachen können.
Dieser Eindruck entstand spätestens als im Oktober dieser Clip durch Twitter-Deutschland ging: Ein Mann versucht sich zu später Bürostunde allein im Ballspiel…
… das ist so rührend inszeniert, dass Röttgen für den kurzen Clip viel Zuspruch bekam. Interessanter als der Applaus ist die Haltung, die diesen Applaus möglich macht. Ein solcher Clip (übrigens aus dem eigenen Umfeld gestreut) deutet auf das Bild eines unsicheren, schwachen und fehlerhaften Politikers hin. So jedenfalls hätte man das Video in den 1990er Jahren interpretiert: Wenn jemand schon nicht Ball spielen kann, wie soll er denn dann eine Partei führen (oder gar Kanzler werden)? Heute ist der Clip Ausdruck einer gegenwärtigen, reflektierten Haltung zu sich selbst. Wer an einem solchen Clip teilnimmt, hat ein reflektiertes Verhältnis zu den eigenen Schwächen – und kann über sich selbst lachen. Ein weitere Beleg dafür findet sich in diesem Video, in dem der Kandidat sich über seine eigene Wurfungenauigkeit lustig macht.
Das ist nicht nur nahbar, sondern Teil einer Meta-Stratgie, deren bedeutsamtes Symbol das Ansteck-Ringlicht ist, das man auf zahlreichen Fotos des Kandidaten sieht. Das Ringlicht ist nicht nur der beleuchtete Beweis für Zugehörigkeit zur digitalen Sphäre, es ist vor allem nur in der Meta-Aufsicht auf den Kandidaten zu sehen. Wo immer die Follower das Ringlicht in der Röttgen-Inszenierung sehen, werden sie auf die Reflektions-Ebene geholt, auf der der Kandidat inhaltlich sein „über sich Lachen“ einsetzt: Diese Kandidatur ist nicht eins-zu-eins, diese Kandidatur lässt den Blick hinter die Kulissen zu.
Das ist im Fall von Norbert Röttgen nicht nur deshalb interessant, weil es die Form der digitalen Nähe durch Social-Media sehr gut umsetzt, es muss vor allem im Kontext der Außenseiter-Kandidatur gelesen werden. Zu Beginn des innerparteilichen Wahlkampfs galt Röttgen als drittes Rad am Laschet-Merz-Wagen. Man fragte sich, warum kandidiert der überhaupt? Und genau diese Meta-Perspektive wird durch die Social-Media-Kampagne des Kandidaten perfekt inszeniert. Er ist auch dabei, aber so reflektiert, dass Friedrich Merz noch verbissener wirkt als eh schon und man den Eindruck bekommt: Röttgen spielt gar nicht richtig mit.
Darin liegen zwei unschätzbare Vorteile: Erstens kann er aus dieser Haltung heraus quasi nicht verlieren (er war ja nur dabei, hat aber ja gar nicht richtig gekämpft) und zweitens schiebt er sich damit quasi unbemerkt ins Ziel – womöglich sogar als erster.