Telebier – ein Interview mit Worterfinder Timo Hetzel

Treffen sich Freund*innen auf ein Bier obwohl sie nicht an einem Ort sind – was sich bis vor kurzem wie ein schlechter Witz anhörte, ist in Zeiten des Kontaktverbots wegen Corona-Gefahr zu einem neuen sozialen Erlebnis geworden. Die New York Times berichtet von Zoom-Partys und das Wall Street Journal vermeldet, dass die Happy Hour jetzt online stattfindet. (Unsplash-Symbolbild: Zwei Biere gemeinsam am Strand)

Timo Hetzel (den ich persönlich schon seit einer Weile kenne) hat für die digitale Verabredung auf einen Drink den Begriff „Telebier“ erfunden. In seinem Podcast Bitsundso (ab etwa Minute 18) hat er den Begriff vorgeschlagen, um Situationen zu beschreiben, in denen Menschen das tun, was offenbar gerade in neuer Trend wird: Sich in einem Videochat verabredet und gemeinsam etwas trinken – halt räumlich getrennt, aber sozial verbunden. Ich habe Timo ein paar Fragen zum Thema Telebier gemailt – er hat mir mit einem Teleprost seine Antworten geschickt.

Neue Situationen erfordern neue Begriffe. Erzähl mal, wie du auf den Begriff „Telebier“ gekommen bist?
Bei der aktuellen Diskussion um Home Office, Work from Home etc. hatte ich noch im Hinterkopf, dass diese Überlegungen schon recht alt sind, und tatsächlich bis in die 1980er Jahre zurückreichen. In den USA lag der Fokus auf der Vermeidung der langen Arbeitswege, daher war das Stichwort damals dort „telecommuting“, also Telependeln. Inzwischen habe ich das auch noch nachgelesen: In Deutschland war schon zu Telex-Zeiten die Rede von der Telearbeit, z.B. für Datenerfassung über ein Terminal. Tatsächlich ist daraus damals wenig geworden, aber der Begriff stand zumindest. Die heutigen Bezeichnungen für Videotelefonie, -Meetings oder -Chat treffen den Punkt für den Privatgebrauch nicht ganz. FaceTime von Apple betont zumindest im Namen den Kern: Sich auch über die Entfernung Gesicht zu Gesicht nahe zu sein.

Kennst du andere internationele Begriffe für „Gemeinsam im Video auf ein Getränk“-Treffen? bzw. welche Optionen hätte es noch gegeben?
Nicht speziell dafür, aber es gibt natürlich eine Unmenge an Tools, um Menschen auch mit Distanz gemeinsam Freizeitaktivitäten wahrnehmen zu lassen. Ein Beispiel: Netflix Party, um einen gemeinsamen Videoabend zu koordinieren.
Es gibt ja größere Videokonferenzsysteme, bei denen mehrere Bildschirme die vierte Wand eines Konferenzraums bilden und damit die Distanz überbrücken. Zu Hause lässt sich das mit einem Laptop, dem Fernseher und ein paar Funkkopfhörern auch leicht nachbilden. Binge-Skypen rollt auch nicht so schön von der Zunge wie ein Telebier.

Bist du selber regelmäßiger Telebier-Trinker?
Nur ab und an im Podcast, nachdem ich zur Zeit nicht einmal die Podcastkollegen aus der Region München persönlich im Studio treffen kann. Abgesehen davon leben ja zwei Kollegen sowieso in Wiesbaden und Helsinki, vielleicht sollten wir das auch außerhalb der Sendung mal machen.

Du nimmst regelmäßig einen sehr erfolgreichen Podcast auf – häufiger auch mit Telebier, oder? Habt Ihr den Begriff vorher schon mal genutzt?
Bei der Sprechkabine testen wir öfters ein ausgefallenes Bier oder zünden uns einen Friesengeist an, jetzt eben in getrennten Sprechkabinen.
Bei Bits und so (bitsundso.de) eher weniger, dort haben wir uns bisher aber immer wieder „Care“-Pakete mit mehr oder weniger leckeren Speisen und Getränken zukommen lassen, weil wir uns alle ansonsten nur ein- oder zweimal im Jahr sehen. Manchmal schicken uns auch unsere Hörer regionale Spezialitäten zu.

Der Begriff ist eine schöne Veränderung durch die Krise. Siehst du noch andere?
Wenn ich eine Chance in der Krise sehen soll, dann ist es die, dass in mehr Bereichen die Vorzüge der Digitalisierung in Betracht gezogen werden. Home Office oder Telearbeit würde vielen Arbeitnehmern größere Flexibilität verleihen, wir könnten den Verkehr reduzieren, Firmen könnten Kosten für Immobilien sparen, Menschen könnten auf dem Land leben und in der Stadt telearbeiten. Die Grundvoraussetzung dafür natürlich sind leistungsfähige Datennetze, und da steht Deutschland leider nach Jahrzehnten von Korruption und Misregulation ganz schlecht da. Es braucht ein Recht auf Internetzugang, bis zum letzten Kaff, und zwar ungedrosselt, symmetrisch und netzneutral. Vielleicht kommt das mit der Krise auch bei mehr Entscheidern an, dass das Internet nicht
nur ein Einwegrohr von Netflix bis zur Glotze ist, sondern in beiden Richtungen funktioniert.

Wird Telebier auch nach der Krise bleiben?
Edward Snowden rollt ab und an mit einem Telepresence-Roboter über irgendwelche Veranstaltungen, weil er das mit dem Social Distancing schon eine Weile praktizieren muss. Das ist sicherlich nicht das Ziel, aber wenn es die Umstände eben anders nicht erlauben, kann man sich auch auf die Entfernung mit Freunden treffen. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt: Telepizza, Telegrillen, Teleburger.

Abschlussfrage: Glaubst Du, dass Brauereien oder Kneipen von der Idee Telebier profitieren könnten?
Die wirtschaftlichen Auswirkungen werden wohl die wildesten Vorstellungen sprengen, und ich hoffe, dass sich gerade auch die lokalen Geschäfte, Kneipen und kleinen Brauereien durch die Krise retten können. Vor Kurzem habe ich die Landbierzentrale in Germering entdeckt, die schon lange ausdrücklich kleine Brauereien im Vertrieb unterstützt.
Ich habe auch gesehen, dass einige kleinere und größere Brauereien spontan Lieferdienste eingerichtet oder ausgebaut haben, z.B. das noch sehr junge Brauhaus Germering (brauhaus-germering.eu) oder Schremser in Wien.

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Das Thema Home-Office und ?Corona-Krise hat sich zu einem kleinen Schwerpunkt im Blog in diesem Monat entwickelt – unter dem a href=“/Tag/corona/“>?Schlagwort gibt es noch mehr Artikel
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