Teilen ist enorm

Vor einer Weile habe ich hier meine Verwunderung über einen eher einseitigen Artikel in der Wirtschafts-Zeitschrift brandeins Ausdruck verliehen (Felix Schwenzel hat seine Empörung an anderer Stelle sehr lesenswert ergänzt). Heute nun habe ich die aktuelle Ausgabe eines anderen Wirtschafts-Magazins in die Finger bekommen: enorm, das „Wirtschaft für den Menschen“ liefern möchte. Die Titel-Geschichte mit der etwas irreführenden Überschrift „Meins ist Deins 3.0“ (wieso 3.0?) überträgt die in dem brand eins-Text aufgeworfene Frage nach dem Respekt für immaterielle Güter auf die materielle Ebene. Es geht ums Tauschen und Leihen. Der Text fragt:

Wäre es nicht klug, gewisse Dinge zu teilen und zu verleihen, anstatt sie zu kaufen? Angetrieben durch mobile Technologien und soziale Netzwerke entfaltet sich eine neue Form der Miteinander-Wirtschaft. Isolation und Hyperkonsum war gestern, Ressourcen schonen und Vertrauen heißen die Ideen der Stunde.


Was folgt ist eine durchaus lesenswerte Geschichte über Tauschbörsen und P2P-Kultur im realen Leben. Leider wird der digitale Raum, in dem Tauschbörsen und P2P-Kultur ja ebenfalls “Ideen der Stunde” sind, nur in Form von Netzwerk-Webseiten erwähnt, die das Tauschen in echt organisieren. Dass die digitale Kopie Kultur zu einem tauschbaren Objekt gemacht hat, das ohne Qualitätseinbußen verbreitet werden kann, wäre ein sehr spannender Zusatzaspekt in der Geschichte gewesen. Denn wenn man die realen und die virtuellen Tauschbörsen miteinander in Verbindung setzt, stellt man fest, was im Rahmen des Digitalen Rechtemanagements gerade in Wahrheit zur Diskussion gestellt wird: die Frage nämlich, ob man mit dem Erwerb eines Gegenstands (in dem Text geht es um eine Bohrmaschine) tatsächlich das Recht erwirbt, diesen zu verleihen (probieren Sie das mal mit einem eBook).

Das mag absurd klingen, aber als ich von der französischen Idee namens Zilok las (bei der Menschen einander Gegenstände leihen, im Beispiel eben eine Bohrmaschine), stellte ich mir sofort die Frage: Und was sagt der Bohrmaschinen-Hersteller dazu? * Müsste dieser nicht alsbald eine Studie in Auftrag geben, in der er nachweist, wie Menschen sein Geschäftsmodell (Bohrmaschinen verkaufen) bedrohen, in dem sie statt neue Maschinen zu kaufen, gebrauchte Bohrer verleihen? Müsste er mit diesen Daten nicht ins Parlament maschieren und die dortigen Politiker von der arbeitsplatzvernichtenden Bedrohnung durch das Tauschen überzeugen?

Ich überspitze diese Fragen mit voller Absicht so, um die Perspektive zu öffnen: Natürlich würde die Antwort auf diese Fragen lauten, dass der Bohrmaschinen-Hersteller seine Kunden mit Produkt-Innovationen davon überzeugen müsse, die Maschine zu kaufen statt sie lediglich zu leihen und dass er keinesfalls in die Freiheit des einzelne eingreifen dürfe, und diesem den Tausch oder das Verleihen untersagen kann. Stattdessen müsse er den Vorteil des physischen Besitzes herausstellen, den man durchs bloße Leihen nicht erlangen kann oder er müsse versuchen, den Trend zum Tausch aufzunehmen und für sich zu nutzen versuchen.

Im Fall der Bohrmaschine erscheint das logisch. Im digitalen Raum (bei allem Hinken des Vergleichs*) ist es das nicht (wie der brand eins-Text beweist). Dabei gibt es durchaus Ansätze, die auch im Digitalen Vorteile des Erwerbs herausstellen könnten, es gibt Ideen, die helfen, die Innovation anzunehmen und positiv zu gestalten. Mindestens eine steht sogar in dem genannten enorm-Text. Dort wird die Marketingexpertin Rachel Botsman mit den Worten zitiert:

Consumers want to be part of a communtity

Schon vor einer Weile habe ich in einem anderen Zusammenhang die These aufgestellt, dass auch Leser von Zeitungen (schon immer) Teil einer Gemeinschaft sein wollen. Am Beispiel von Nike plus (darauf bezieht Botsman sich) aber auch am Beispiel einiger Bands kann man ablesen, was diese Form von Gemeinschaft bedeuten kann: Zugehörigkeit zu einer Gruppe, Teilnahme an nicht-kopierbaren Ereignissen. Und wenn es einem Sportartikel-Hersteller gelingt, eine solche Gruppe zu formen, müsste dies für die Hersteller von Kulturprodukten (mit Nick Bilton: den Storytellern) doch wohl auf jeden Fall gelingen.

Ob darin auch die Grundlage für ein neues, tauschfreundliches Geschäftsmodell steckt, kann ich nicht abschließend beurteilen. Aber ich würde gerne mehr darüber lesen – vielleicht in dem tatsächlich sehr guten enorm-Magazin?

* Mir ist bewusst, dass der Vergleich zwischen materiellen und immateriellen Gütern an dieser Stelle hinkt. Dies ist an unterschiedlicher Stelle in diesem Blog bereits unter dem Stichwort Diebstahl-Dilemma thematisiert worden, in dem obigen Kontext habe ich mir den Vergleich aber gestattet, weil er eine Veränderung deutlich macht, die ich beschreiben wollte.