Netzwerk Recherche Interview

Der Kollege Thomas Mrazek hat mich (wie auch Lorenz Lorenz-Meyer u.a.) für die Neuauflage der netzwerk recherche-Werkstatt interviewt, die Ende November erscheint. Das Interview erscheint dort unter dem Titel „Wir müssen uns auf die Gegebenheiten des digitalen Raums einlassen“. Thomas hat mir gestattet, es hier vorab zu veröffentlichen.

In der Publikation „Digitale Mediapolis“ werden Sie wie folgt zitiert : „Das Internet ist – richtig eingesetzt – ein äußerst positives Instrument. Es macht aus dem reinen Publizieren echte Kommunikation, es eröffnet die Option zum Dialog und bindet den vormals passiven Leser als aktiven Nutzer mit ein. Die Chancen, die in dieser Entwicklung stecken, sind erstaunlich groß.“ Schön und gut. Aber wo werden denn im deutschen Online-Journalismus diese Chancen genutzt, außer vielleicht auch bei Jetzt.de?
Es stimmt, Jetzt.de bindet seine Leser ein und gibt ihnen die Möglichkeit, sich als Nutzer aktiv zu beteiligen. Aber auch bei den Angeboten, die dies nicht bewusst fördern, bleibt der Leser keineswegs stumm – er sucht sich nur andere Kanäle, um seine Meinung öffentlich zu äußern. Wer Blogs, Twitter und Facebook aufmerksam verfolgt, stellt fest, dass die vormals passiven Rezipienten sich dort zu Wort melden. Darauf reagieren leider noch viel zu wenig klassische Medien angemessen. Ich bin aber davon überzeugt, dass sich dies sehr bald ändern wird: Wer Beispiele dafür sucht, kann die zahlreich im angelsächsischen Raum finden.

Wie hat sich das Genre des Online-Journalismus in den letzten Jahren entwickelt, wohin könnte es gehen?
Ich bin unsicher, ob wir Online-Journalismus überhaupt noch als Genre verorten können. Spätestens seit Facebook erleben wir vielmehr eine Entwicklung, das Offline-Leben auch online abzubilden. Der Journalismus steht hier vermutlich am Anfang eines größeren gesellschaftlichen Trends. In jedem Fall führt dies zu einer Auflösung der klassischen Trennung von Online- und Offline-Journalismus. Das Netz wird vielmehr zu einer Bühne, die für Journalisten aller Gattungen an Bedeutung gewinnt bzw. unumgänglich sein wird. Insofern würde ich den aktuellen Zustand als Übergang beschreiben. Ich persönlich verbinde die Hoffnung damit, dass es ein Übergang zu einem Online-Publizieren wird, das sich durch die gleichen Werte auszeichnet, die herausragenden Journalismus etwa in Print ausmacht und diese um netzspezifische Eigenschaften wie zum Beispiel den Dialog ergänzt. Ganz konkret:Das wichtigste Gut, das klassische Medien im digitalen Raum haben, ist ihre Glaubwürdigkeit. Alle Entwicklungen, die diese gefährden, halte ich für problematisch.

Wie könnte sich der Journalismus im Netz in Zukunft finanzieren lassen — sowohl bei „größeren“ (etwa Focus Online) als auch bei „kleineren“ (lokaler Einmann-Blogger) Medien?
Ein Finanzierungsmodell, das wird in der Debatte um Paid-Content oft vergessen, ist das über Displaywerbung. Das gibt es bereits und nicht nur Google lebt ganz gut damit. Darüber hinaus stehen größere wie kleinere Medien vor der Herausforderung, die Vorgaben des digitalen Raumes zu interpretieren und daraus Schlüsse für neue Geschäftsmodelle zu ziehen. Zentral steht dabei für mich die Frage nach dem Leser und Nutzer: Wofür ist er oder sie bereit zu zahlen? Und damit meine ich nicht nur die Produktkategorie „Content“. Es gibt Entwicklungen im Bereich der Musik, an denen wir sehen können, dass Menschen nicht für die Datei zahlen, die ein Lied enthält, sondern für die Nähe auf Konzerten und im digitalen Raum.

Was halten Sie von der unter anderem vom ehemaligen Focus Online-Chefredakteur Jochen Wegner gerne lancierten Feststellung, dass Journalisten zu Unternehmern werden müssten; wie könnte dies im Online-Bereich aussehen?
Jochen Wegner hat sich das ja nicht ganz alleine ausgedacht. Im angelsächsischen Raum gibt es diese These schon länger und ich halte sie insofern für richtig, dass sich damit ein kultureller Wandel verbindet. Journalismus wird im Netz zu einem Dialog. Wir werfen unsere Inhalte nicht mehr einfach über den Lesern ab und fliegen dann einfach weiter, sondern werden als Dialogpartner greifbar. Wir sollten darauf reagieren und das Publizieren als Kommunikation verstehen. In der Frage, ob das journalistische Unternehmertum auch die Tatsache einschließt, dass man sich selber als Marke verstehen und vermarkten soll, bin ich unschlüssig. Diese Behauptung liest man aber auch immer häufiger.

Besteht nicht gerade im Online-Bereich mittlerweile die Gefahr, dass das Primat der Ökonomie den gutrecherchierten Journalismus verdrängt?
Ich glaube nicht, dass Verleger in der reinen Offline-Welt von früher aus bloßer Menschlichkeit Publikationen herausgegeben haben. Auch vor dem Internet mussten privatwirtschaftliche Medien sich tragen, soll heißen: Das Primat der Ökonomie ist nicht wirklich neu. Durch die Digitalisierung haben sich aber die Bedingungen verändert. Nicht nur zum Besseren, das stimmt. Ich bin davon überzeugt, dass hier noch einiges getan werden kann, um sie auch aus klassischer journalistischer Perspektive zum Besseren zu wenden. Dafür müssen wir uns auf die Gegebenheiten des digitalen Raums einlassen und mehr Mut als bisher beweisen.

Welche Rolle spielt die Nutzerbeteiligung im Online-Journalismus jetzt und in Zukunft?
Gegenfrage: Wodurch unterscheiden sich die großen Nachrichtenportale (nicht nur) in Deutschland? Alle setzen auf Geschwindigkeit und News. Einige mit mehr Bildern, andere mit mehr Hintergrund. Ein wirkliches Unterscheidungskriterium sucht man aber vergebens. Am Ende wird dies auch darin liegen, welche Leser auf der jeweiligen Seite sind. Das Internet hilft uns, die unausgesprochene Verbindung zwischen den Lesern und Autoren einer Publikation abzubilden. Durch das Internet werden Medien zu Räumen, vergleichbar mit einem Club oder einer Bar: Da geht man hin, weil es dort Speisen und Getränke gibt, klar. Aber man geht auch deshalb dorthin, weil man dort bestimmte Leute trifft und andere eben nicht. Diesen Aspekt haben viele Medien überhaupt noch nicht in den Blick genommen.

Wird die Arbeit als Onlinejournalist nicht immer schwieriger, unüberschaubarer etwa durch Angebote wie Wikileaks, die sozialen Netzwerke, die wachsende PR-Industrie?
Natürlich. Deshalb müssen wir immer besser werden. Aber ohne diese Herausforderung würde der Beruf doch keinen Spaß machen.

Und welche Rolle spielt Google: Was halten Sie davon, dass Journalisten ihre Texte suchmaschinenoptimiert schreiben; bis zu einem gewissen Maß mag das ja sinnvoll sein, aber wo wird es Ihrer Meinung nach gefährlich? Und immer noch nicht geklärt ist die Frage: Ist Google Freund oder Feind der Journalisten?
Google bietet Instrumente, die für uns als Journalisten sehr hilfreich sein können – auch in der Vermarktung und Verbreitung unserer Inhalte im Netz. Wie bei allen Instrumenten, sollten wir jedoch die Kosten und Nutzen sehr genau abwägen. Nur weil das Angebot von Google ohne direkte Bezahlung angeboten wird, ist es ja nicht kostenlos. Darüber sollten wir Journalisten uns bewusst werden – auch bei der Ausrichtung auf Suchmaschinen. Darüber hinaus sollten wir vor lauter Konzentration auf Google nicht vergessen, dass wir gerade erleben, wie dem Suchen nach Inhalten ein zweiter Kanal beigefügt wird, über den Menschen an Nachrichten kommen: über Hinweise von Freunden und Bekannten in sozialen Medien. Dabei geht es nicht mehr darum, dass jemand bewusst nach einer Meldung oder einem Thema sucht, sondern sich durch Hinweise leiten lässt. Die Bedeutung dessen haben wir – glaube ich – noch nicht annähernd eingeordnet.

Welche Qualifikationen sollte ein Onlinejournalist angesichts des rasanten Medienwandels mitbringen, muss er in allen möglichen sozialen Netzwerken aktiv sein, welche multimedialen Techniken sollte er beherrschen? Wird in der journalistischen Aus- und Weiterbildung dafür gut genug ausgebildet?
Wir erleben derzeit einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel, der nicht nur unseren Beruf verändert. Ich würde mir wünschen, dass mehr Journalisten aktiv mithelfen, diese Veränderungen zu gestalten. Das gilt auch für die Aus- und Weiterbildungseinrichtungen. Man muss aber auch sagen: Züge, in denen man sitzt, kann man schlecht beim Fahren beobachten. Soll heißen: In manchen Fällen wissen wir noch gar nicht, was richtig und was falsch sein wird. Gerade deshalb ist aber eine erhöhte Wachsamkeit für den Wandel notwendig.

Inwieweit berühren neue Ausspielkanäle wie Tablets den Online-Journalismus – zeichnen sich da neue ökonomische Perspektiven ab, werden neue multimediale journalistische Erzählweisen entstehen?
Darauf hoffe ich. Die Pläne von Amazon, für den Kindle eine spezielle Länge für Texte zuzulassen, ist ein Schritt in diese Richtung. Multimediale Erzählformen werden hinzukommen. Wir sollten darüber aber nicht den Blick dafür verlieren, was die Basis für herausragenden Journalismus ist, egal über welche Kanäle er verbreitet wird: sauber recherchierte, verlässliche Inhalte. In Zeiten der Digitalisierung wird dies wichtiger denn je.

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