Mehr aufs Handy starren!

Die Zeit des Jahreswechsels ist ein guter Anlass, um sich von Altem zu trennen und sich mit guten Vorsätzen dem Neuen zu widmen. Ich möchte dies nutzen, um mich von einer Formulierung zu trennen, auf die ich im kommenden Jahr gerne verzichten würde (im Sinne von: Ihr müsst sie nicht mehr schreiben oder behaupten!). Ich verbinde die Trennung von besagter Formulierung mit einer letzten Verwendung – und zwar in dem Vorsatz: Ich möchte 2019 mehr auf mein Handy starren!

Nicht mal Helene Fischer oder Thomas Gottschalk bringen die verbindende Strahlkraft auf, die die Formulierung „die Leute starren ja eh zuviel aufs Handy“ entwickelt: über Alters- und Einkommensschichten hinweg kann man damit auf allen Seiten des politischen Spektrum Einigkeit erzeugen. Denn: „Ist doch wahr! Dieses ständige Glotzen. Mensch!“

Abgesehen davon, dass es ratsam ist, gerade dort achtsam zu werden, wo sich viele viel zu leicht einig sind, habe ich hier auch einen inhaltlichen Zweifel. Und dabei geht es nicht – wie regelmäßige Leser*innen dieses Blogs vermuten könnten – um eine gesellschaftliche Ebene. Es ist ein schlicht persönlicher Antrieb, der mich den Vorsatz fassen ließ. Ich starre wirklich gerne auf mein Handy (Foto: Unsplash).

Aufgefallen ist mir dies als ich unlängst in einer kleinen Pause in einer Ecke saß und mich entspannte. Menschen mit Hang zum Meditativen würden vielleicht sagen: Als ich in einer Ecke saß und ganz bei war. Sie würden diese Formulierung allerdings nur so lange wählen, wie ich ihnen den Gegenstand verschweige, den ich in der Hand hielt. Es war ein kleines Fenster zur Welt. Vergleichbar mit dem, aus dem sich eher lokal veranlagte Menschen auf ein Kissen gestützt lehnen und rausgucken. Mein Rausgucken galt keiner kleinen Nachbarschaft oder Straße, sondern der Welt. Es war allerdings genau so wenig zielgeleitet wie das Gucken der Fensterrentner. Es war ein Treibenlassen, ein stummer Protest gegen die dauernde Anforderung, ständig präsent und aktiv sein zu müssen. Mein Rausgucken in die Welt war kein Funktionieren im kapitalistischen Sinn, es war ein Flanieren, ein Zappen, ein Surfen. Die Begriffe beschreiben in etwa die gleiche Tätigkeit – allerdings in klar absteigender Wertung: Beim Flanieren hat man das vergoldet-vergilbte Bild eines kosmopoliten Gentleman vor Augen, der mit Spazierstock und weltläufiger Gelassenheit die Nachbarschaft durchschreitet. Beim Zappen sieht man vielleicht das Testbild eines guten alten Röhrenfernsehers vor sich und beim Surfen schließlich ist man vollends in der Welt der verachtenswerten Gegenwart angelangt.

Flanieren zur Entspannung? Selbstredend!
Surfen zur Entspannung? Unmöglich!

Der Begriff für das virtuelle Treibenlassen stammt aus dem Jahr 1992 von der Autorin Jean Armour Polly (habs gerade für die Gebrauchsanweisung fürs Internet recherchiert), die damals einen Text „über das Internet verfassen sollte. Als sie einen Titel für den Text suchte, fiel ihr Blick zufällig auf ein Mauspad mit dem Bild eines Surfers, das sie zu der Überschrift »Information Surfer« inspirierte.“ In einer gar nicht fernen Zukunft wird dieses virtuelle Stöbern mal ebenso verklärt werden wie heute das Spazierstock-Flanieren.

Bis es soweit ist muss man sich aber beschimpfen lassen, wenn man ständig in sein Handy starrt. Wobei man das ständig sofort streichen kann, denn alles, was man ständig tut, ist sinnfrei. Ständig Vokabeln lernen macht am Ende genauso blöd in der Birne wie ständig aufs Handy starren.

Es geht also darum, dass man smarter mit seinem Phone umgeht und nicht ständig starrt. Dass man allerdings starrt, kann ich nicht falsch finden. Es ist entspannend, trainiert die Ambient Awareness und kann zu einer Verbesserung der sozialen Kontakte führen.

Ja, kann auch falsch sein. Aber allein die Möglichkeit, dass handystarrende Zeitgenossen gerade einen trauernden Menschen trösten oder ein Nobelpreis-Wälzer schmökern, sollte uns davon abhalten, ins wohlfeile Wehklagen über den kulturellen Niedergang durch Smartphonenutzung zu verfallen. Denn womöglich geht es dem handystarrenden Menschen gerade richtig gut, der Bildschirm ist ihm ein Fenster zur Welt und Möglichkeit zur flanierenden Entspannung. Warum sollte man jemandem diese Wohltat verwehren nur weil man selber nicht in der Lage ist, ein gesundes Verhältnis zum Smartphone zu entwickeln?

Im Sinne dieser Wohltat habe ich meinen obige Vorsatz gefasst – mit dem Ziel, ein gesundes Verhältnis zum Bildschirm zu festigen, das nicht auf Pathologisierung und schlechte Gewissen setzt.

Und für alle, dei auch 2019 weiter darüber klagen wollen, dass diese jungen Leute ständig auf auf ihr Handy starren, habe ich noch zwei Ideen: Vielleicht sollte man sich erstens fragen, von wem sie das wohl haben? Und zweitens kann man bei sich selber beginnen und sich einen besseren Umgang mit dem Bildschirm vornehmen: bewusster ins Handy starren, wäre dafür ein guter Anfang. Dafür muss man aber akzeptieren: ins Handy starren ist eine ziemlich gute Sache!