Lass Dir keine Angst machen (Digitale-November-Notizen)

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Dieser Text ist Teil die November-Folge meines monatlichen Newsletters „Digitale Notizen“, den man hier kostenlos abonnieren kann!
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Zum Ende des zweiten Teils der Faust-Tragödie lässt Goethe den Heinrich Faust mit der Sorge in Kontakt kommen. Zwar wehrt er sich, doch die personifizierte Sorge ergreift Besitz von ihm – und lässt ihn schließlich erblinden. Man muss nicht betonen, dass Faust selber von einem „garstigen Wirrwarr netzumstrickter Qualen“ spricht, um im Auftreten der Sorge eine Parallele zur „netzumstrickten“ Gegenwart zu erkennen.

Die Wirkung, die Goethe der Sorge zuschreibt, liest sich wie die Beschreibung eines angstgetriebenen Wählers im November 2016: „Er verliert sich immer tiefer, / Siehet alle Dinge schiefer, / Sich und andre lästig drückend; / Atemholend und erstickend; / Nicht erstickt und ohne Leben, / Nicht verzweiflend, nicht ergeben. / So ein unaufhaltsam Rollen, / Schmerzlich Lassen, widrig Sollen / Bald Befreien, bald Erdrücken / Halber Schlaf und schlecht Erquicken / Heftet ihn an seine Stelle / Und bereitet ihn zur Hölle.“.

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Selten ist so genau beschrieben worden, was passiert, wenn die Sorge Besitz ergreift von einem Menschen, ihn an seine Stelle heftet und ihm damit die Hölle bereitet. Ein Mensch, der so voll der Sorge ist, erkennt nicht mehr, was ihm die Sorge nehmen könnte. Er sieht nicht auf Fakten, die gegen seine Angst sprechen. Er ist blind vor Sorge. So jedenfalls beschreibt es Goethe im zweiten Teil des Faust.

Und es spricht nicht für dieses aufgeregte und angstvolle Jahr 2016, dass ich nun zum zweiten Mal auf den Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz und seinen Satz zu sprechen kommen muss: „Ein ängstlicher Mensch ist immer ein Untertan.“ Beim ersten Mal im Juli ging es um die akute Panik nach dem Attentat vom Olympia-Einkaufszentrum in München. Vier Monate später – im Wahlmonat Donald Trumps – geht es um die Frage, wie mit Angst Politik gemacht wird: Denn auch die Sorge vor dem Fremden, vor dem Unreinen, vor dem Bedeutungsverlust macht blind. Und diejenigen Politiker, die diese Ängste besonders gut bedienen, scheinen davon aktuell sehr stark zu profitieren. Denn Sorge ist – um es aufmerksamkeitsökonomisch salopp zu formulieren – zum neuen Sex geworden. Diese Zuspitzung trägt der Tatsache Rechnung, dass in einer Welt des ständig wachsenden Inhalts, der Kampf um Aufmerksamkeit immer härter wird. Wo früher Sex sells galt, müssen heute handfeste Ängste geschürrt werden, um die Aufmerksamkeit (als Voraussetzung für Wählerstimmen) zu erlangen.

Diese Form der Angst-Politik zeigt sich in zwei Ausprägungen: Einerseits in der akuten Panikmache gegen vermeintliche Bedrohungen. Und andererseits in der Art und Weise wie mit unbestreitbaren Fakten umgegangen wird. „Wir leben im kontrafaktischen Zeitalter“, zitiert Florian Klenk im Falter den Psychater Patrick Frottier und fährt fort: „Wir leugnen Tatsachen, weil sie uns unsicher machen, weil wir sie nicht mehr verstehen und einordnen können, weil sie unseren tradierten Bildern widersprechen. Wir basteln uns vor allem im Netz eine Welt zusammen, die unsere Meinung stützt.“

Nun zählt es – wie gesagt – zu den weniger zielführenden Ratschlägen, einem Menschen in Sorge, ein „hab keine Angst“ vorzuschlagen. Deshalb trägt dieser Beitrag einen Titel, der versucht die Mechanismen der Sorge in den Blick zu nehmen: „Lass dir keine Angst machen“ soll der Versuch sein, zu erkennen, wie mit Hilfe der Sorge um Aufmerksamkeit gekämpft – und damit am Ende auch Politik gemacht wird. Als ich in der Januar-Folge der Digitalen Notizen für Social-Media-Gelassenheit warb, war mir nicht klar, wie häufig ich im Laufe des Jahres darauf zurückkommen würde. Denn natürlich basiert auch diese Form der Angstmache auf den Potenzialen des Katalysators „Social Media“. All die Tweets und Facebook-Posts der US-Wahlnacht beweisen dies.

Es gibt nämlich nicht wenige Menschen, die auf die Ergebnisse dieser Angst-Politik selber mit großer Sorge reagiert haben. Was berechtigt sein mag oder nicht, aber in jedem Fall anschaulich zeigt, was Angst mit Menschen macht. Vielleicht ist den Lesern dieses Newsletter diese Sorge vor Trump näher als jene (berechtigte oder künstlich erzeugte) Sorge, die Menschen dazu brachte Trump ihre Stimme zu geben. In beiden Fällen stellt sich aber die Frage: Kann die Sorge Besitz ergreifen?

Ich persönlich habe dabei große Sympathie für den Ansatz, den Carolin Emcke in ihrer aktuellen SZ-Kolumne formuliert hat: „Ich hatte es mir anders erhofft, aber überrascht hat mich die Wahl von Donald Trump nicht. Ich bin nur komplett ratlos, wie sie gedeutet werden soll“, schreibt sie – was mich sehr an die Ratlosigkeit erinnert, die ich im Shruggie erkenne. Das mag man albern finden oder dem Ernst der Lage nicht angemessen: für mich ist Ratlosigkeit aber der erste Schritt gegen die Angst. Wer sich zur Ratlosigkeit und Überforderung bekennt, tritt einen Schritt aus der Wirkmacht der Angst heraus. Denn wer keine (einfache) Antwort hat, kann auch keine Schuldigen benennen, keine Konsequenzen fordern. Gerade in Umbruchsituationen zeigt sich in der Ratlosigkeit der Mut, Antworten nicht in den Modellen von gestern (die man schon kennt) zu suchen, sondern in den Ansätzen von morgen (die noch fremd sind). Die Ratlosigkeit ist somit Bestandteil des Unreinen, Unbekannten, Vielfältigen, das Carolin Emcke in ihrem Buch „Gegen den Hass“ als Gegenentwurf gegen das dogmatischen Denken lobt, das keine Schattierungen berücksichtigt.

Oder um es mit Barack Obama zu sagen, der in dem großartigen #langstrecke-Text von David Remnick davor warnt, sich in das Narrativ vom Ende der Welt zu begeben: „Ich glaube nicht an die Apokalypse – bis die Apoklypse kommt. Ich denke, nichts ist das Ende der Welt bis zum Ende der Welt.“ Und bis dahin sollten man für eine freie, demokratische und im besten Sinne pluralistische Welt kämpfen, z.B. indem man die Mechnanismen der Angstpolitik aufdeckt!

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Dieser Text stammt aus dem monatlichen Newsletter Digitale Notizen

Dieses Jahr sind bereits erschienen: „Digitaler Heimat- und Brauchtumsverein“ (Oktober), „Ein Dutzend Ideen für die Journalistenausbildung“ (September) „Soll mein Buch auf Facebook?“ (August), „Der Grüffelo in Social Media“ (Juli) „Kulturpragmatismus“ (Juni) „Die Zukunft der Medien: Meine Handy-Nummer“ (Mai) „Alles, was ich über Social Media weiß“ (April) „Die Zeitung nach dem Papier“ (März) „Denke kleiner“ (Februar) und „Social-Media-Gelassenheit“ (Januar).

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