Kulturtechniken aus dem Web ins TV bringen: Richard Gutjahr über die rundshow

In der kommenden Woche startet das Bayerische Fernsehen ein Experiment: die Rundshow. Die Macher beschreiben das Format als Plattform nicht als Sendung – auch wenn sie vier Wochen lang abends live im Fernsehen ausgestrahlt wird. Die Rundshow soll nicht nur sprachlich an die Haupt-Nachrichtensendung des BR erinnern, sie leiht sich von deren Nachtausgabe auch den Moderator aus. Richard Gutjahr präsentiert vier Wochen lang diese besondere Form der Spätnachrichten im Bayerischen Fernsehen – mit prominenter und eben bewusst nicht prominenter Unterstützung: Sascha Lobo macht mit, aber vor allem die Zuschauer.

Weil Richard Gutjahr (mit dem ich persönlich bekannt bin) die Kommunikation mit dem aktiven Rezipienten zum zentralen Punkt im Konzept der Sendung erhoben hat (und genau dies eines der zentralen Themen dieses Blogs ist), habe ich ihm ein paar Fragen zum Thema Community-Management und Dialog im Fernsehen gestellt.

Seit Jahren wird von Interaktivität in der Medienproduktion gesprochen. Für die Rundshow setzt Ihr das jetzt tatsächlich live um. Wie ist die technische Situation, die man vorfindet, wenn man Zuschauer in Echtzeit in eine Sendung einbinden will?
Man fängt quasi bei Null an. Wir beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind hervorragend aufgestellt, wenn es um das Produzieren von Inhalten und das Senden dieser Inhalte geht. Unsere Rückkanäle hingegen liegen noch weitestgehend brach. Außer dem Zuschauertelefon und der Möglichkeit, uns einen Brief oder eine Mail zu schicken, gibt es da nicht viel. Wir müssen da noch gewaltig nachlegen, denn unser Publikum heute ist ein anderes, als das Publikum vor noch zehn Jahren.

Warum gibt es da bisher kaum Systeme, die der viel beschworenen Interaktivität helfen?
Massenmedien waren bis Ende des 20. Jahrhunderts nur auf eine one-to-many-Kommunikation hin ausgerichtet. Das heißt, diejenigen, die die Druckerpressen, die Vertriebstrukturen und die Sendemasten respektive Sendefrequenzen kontrolliert haben, haben die Konversation bestimmt. Das Internet ändert die Spielregeln. Als wir die Idee zur rundshow hatten, haben wir festgestellt, dass das meiste, was für uns in Blogs und in Sozialen Netzwerken völlig normal ist, im Fernsehen noch nicht geht: spontanes „Liken“, Kommentieren, Teilen, Einbinden etc. Wir wollten einen Teil dieser Kulturtechniken aus dem Web ins Fernsehen bringen. Umgekehrt wollen wir unsere journalistische Kompetenz und Glaubwürdigkeit, die wir als Öffentlich-Rechtliche besitzen, zurück ins Web spiegeln.

Für die Rundshow habt Ihr eine App programmiert, um mit dem Zuschauer in Kontakt treten zu können. Welche Möglichkeiten nutzt Ihr darüberhinaus?
Der Plan ist, soviel Technik auszuprobieren, wie es innerhalb von vier Programmwochen Sinn macht. Sehr gespannt bin ich beispielsweise auch auf unser Second-Screen-Angebot, das man parallel zur Fernsehsendung nutzen kann. Dort lassen sich alle Unterhaltungen über die Show, sei es auf Twitter, Facebook oder eben alle Interaktionen über unsere App einsehen. Sprich: man hat nicht nur einen direkten Draht zu uns ins Studio sondern auch zu anderen Zuschauern. Ich bin gespannt, ob wir dadurch die eine oder andere zusätzliche Diskussion anstoßen können.


Moderator Richard Gutjahr gemeinsam mit dem comoderierenden Netzreporter Daniel Fiene.

Welche technische Hürden muss man überwinden, um Facebook- und Twitter-Kommentare tatsächlich in Echtzeit in eine Sendung im TV einzubinden?
Man muss viele, viele Hürden überwinden. Nimm zum Beispiel die Applaus-Funktion unserer App. Die Zeitverzögerung vom Drücken der Like-Taste bis zum Signal ins Studio hatte bis vor wenigen Wochen noch fünf Sekunden betragen. Fünf Sekunden! Das ist zu lange, um diese Funktion sinnvoll in der Liveshow zu nutzen. Stell Dir vor, Du machst einen Witz und erst 5 Sekunden später setzt der Applaus bei uns im Studio ein. Unbrauchbar. Unseren Programmierern ist es dann aber gelungen, die Reaktionszeit vom Tastendruck auf der App bis zum Signal im Studio auf durchschnittlich 1,5 Sekunden zu verkürzen. Damit lässt sich arbeiten.

Neben der technischen Herausforderung steckt ja auch eine kulturelle Frage in der Zuschauerbeteiligung. DIe Debatte um Trolle und schlechte Beiträge ist allgegenwärtig. Wie löst ihr dieses Thema?
Wir haben für jeden einzelnen Kanal, also Twitter, Facebook, App, Mail, Skype, Google Hangout und Telefon je einen Redakteur, der die eingehenden Kommentare, Bilder und Videos beobachtet. Es gibt auch ein paar technische Vorkehrungen, zum Beispiel bei der App, dass uns niemand mit Mehrfachabstimmungen die Umfrageergebnisse verfälscht oder gar mit Dauerapplaus unsere Server außer Gefecht setzt.

Das klingt – technisch – ein wenig nach Call-in-Sendung im Radio. Habt Ihr Euch dort Erfahrungen abschauen können?
Ich bin ein großer Fan von Call-in-Sendungen im Radio. Fernsehen ist das kontrollierteste Medium von allen. Überschminkte Moderatoren lesen Texte, die sie oft noch nicht mal selbst geschrieben haben, vom Prompter ab. Wenn es uns gelingen sollte, ein wenig mehr Authentizität und Spontanität vom Radio zurück ins Fernsehen zu bringen, denke ich, ist allein das schon den Versuch wert.



Blick hinter die Kulisse: das rundshow-Studio in Freimann während einer Probe

Braucht man für eine derartige Form der Zuschauerbeteiligung neue oder andere Journalisten? Worauf achtet Ihr bei der Mitarbeiterauswahl?
Da legst Du den Finger auf einen wunden Punkt. Wir hatten anfangs tatsächlich Probleme, unsere Social-Network-Positionen alle zu besetzen. Es gibt nicht viele Leute, die wissen, worauf es bei Twitter ankommt oder wie man einen Google Hangout moderiert. Das sind Fähigkeiten, die noch nicht besonders ausgeprägt sind in unseren Redaktionen.

Fakten zur Rundshow:

Am Montag 14. Mai läuft die erste Folge der Sendung. Vier Wochen lang von Montag bis Donnerstag um 23.15 Uhr wird Richard Gutjahr gemeinsam mit einem Co-Moderator (Sascha Lobo, Daniel Fiene, Sandra Rieß u.a.) und mit seinen Zuschauern das Tagesgeschehen aufarbeiten.
(Fotos: Mathias Vietmeier, weitere Bilder auf Facebook)

Peter Horrocks von der BBC hat vor einer Weile gesagt, Journalisten kämen nicht umhin, die Folgen Ihres Publizierens nachzuhalten und darauf zu reagieren. Gilt das in Zukunft auch für Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland? Also: Müssen wir jetzt alle twittern?
Ja, ich denke das müssen wir in der Tat. Wir Journalisten betonen ja gerne, dass es ohne uns nicht ginge, dass nur wir durch unsere Recherche Informationen zutage fördern, selektieren und einordnen können. Wie aber wollen wir das tun, wenn wir uns weiterhin so beharrlich weigern, die wechselseitigen Mechanismen des (Social) Webs zu lernen? Twitter ist für mich ein wichtiges Recherchetool, ein Kulturtechnik, ein Informationsnetzwerk, wertvoller als jede Nachrichtenagentur. Wer sich mit damit nicht ernsthaft befasst, wird das freilich nie begreifen.

Das nächste große Ding in Sachen Fernsehen scheint jetzt „Social TV“ zu sein. Wie stehst du zu diesem Schlagwort?
Gespalten. Ich habe den Verdacht, Buzz-Words wie Crossmedia, Social Media oder jetzt eben Social TV werden allein dazu erfunden, um wieder ein Thema für die nächste Medienkonferenz zu haben. Ich gehöre zu den Leuten, die Dinge lieber ausprobieren, als nur darüber zu reden. Ob unser Projekt die Antwort darauf ist, was das Fernsehen der Zukunft ausmacht, kann ich nicht sagen. Was ich sagen kann, ist, dass wir zumindest schon mal die richtigen Fragen kennen, um das Medium Fernsehen weiterzudenken. Welche digitale Sau dann nächstes Jahr durch das mediale Dorf getrieben wird, kann ich beim besten Willen nicht sagen.

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