Infraframing: Matthias Schamp über Gemeinsamkeit in Videokonferenzen

Matthias Schamp ist „Inhaber einer kleinen gutgehenden Sinnsucherei“ und hat als solcher schon einige tolle Kunstprojekte realisiert. Ich bin seit seiner „Schlechte Verstecke“-Serie Fan seiner Arbeit (mehr dazu im Unkreativ-Newsletter). Als ich diese Woche von seiner Idee „Infraframing“ las, habe ich ihm ein paar Fragen zu dem Projekt geschickt. (Die Infraframing-Screenshots hier im Blog zeigen Schamp im Verbund mit PAErsche-Performerinnen)

Wie genervt bist du auf einer Skala von 1 bis 10 von Videokonferenzen?
Maximal genervt. Obwohl – eigentlich sind es ja nicht die Videokonferenzen, die nerven. Sondern die Tatsache, dass anders Treffen nicht möglich sind. Sobald das aufhört, werde ich Videokonferenzen als zusätzliche Option vielleicht sogar zu würdigen wissen. Aber bis dahin: 10

Du hast ein Konzept entwickelt, um Videokonferenzen etwas sozialer und kollaborativer zu gestalten. Was verbirgt sich dahinter?
Ich nenne es Infraframing. Weil unterhalb der Frames gedanklich eine Ebene eingezogen wird, auf der Begegnung in einer neuartiger Weise stattfindet. An die Stelle der Zerplitterung der Subjekte in einzelne Frames tritt die Gemeinschaft, die sich zu einer Gesamtform zusammenschließt und aus vielen Einzel-Frames ein gemeinsames Bild bildet. So – aber nur so – machen dann sogar Zoomkonferenzen Freude.

Wie bist du auf die Idee gekommen?
Das Nachdenken über das Verhältnis von virtuellem und physischem Raum zieht sich als einer der Hauptstränge durch mein Werk. Da gibt es z. B. „Kontravirtuelle Programme“, „Videolecken“, ein „Nasenfettfilm-Abspielgerät“, die „Wir-sind das Bild“-Bewegung und einen Cyber-Westernroman namens „Hirntreiben.EEG“. Gerade habe ich eine neue Serie von Arbeiten gestartet mit dem Titel „Gelebte Photoshopeffekte“. Insofern war mein Denken bereits darauf geeicht, die Konventionen, die uns von solchen Programmen aufgedrängt werden, zu hinterfragen. Sie nicht einfach als gegeben hinzunehmen. Sondern Alternativen zu ersinnen.

Du hast das Konzept schon in einigen Runden getestet. Wie lief das Infraframing ab?
Ich habe Infraframing mit Seminaren von mehreren Universitäten und Hochschulen ausprobiert. Mit großem Erfolg bei den Studierenden. Anstatt nur zu glotzen, verrenkt man sich dabei, turnt, nimmt im physischen Raum alle möglichen Haltungen ein, um sich mit anderen, die in ähnlicher Weise körperlich agieren, zu einem bizarren Gebilde zusammenzuschließen. Es entsteht wirklich ganz stark dabei das Gefühl: Wir kommen jetzt zusammen.
Und ich habe drei Infraframing-Sessions im Rahmen meines AIM e.V.-Stipendiums des Kunstpavillons Burgbrohl gemeinsam mit Mitgliedern der Performance-Plattform PAErsche durchgeführt (Guadalupe Aldrete, Susanne Helmes, Irmgard Himstedt, Rolf Hinterecker, Christiane Obermayr, Karin Meiner, Elke Mark, Evamaria Schaller, Carola Willbrand). Im Zusammenspiel mit solchen professionellen KünstlerInnen ließ sich das Potenzial der Methode mal so richtig ausschöpfen. Das war toll. Die Ergebnisse haben mich selber geflasht.

Welche Pläne hast du jetzt mit dem Konzept?
Mit der Uni Siegen bin ich dabei, ein kurzes Lehrvideo zu dem Verfahren zu produzieren. Und gerade jetzt gibt es drei Tage lang Infraframing-Sessions, in denen sich Studierende der Uni Siegen mit Schülern aus zwei Klassen des Gymnasiums Netphen zusammenfinden. Sowie auch Bürgern aus Netphen. Dies steht in Zusammenhang mit einem Seminar von Prof. Johanna Schwarz und ihr Projekt „Wanderspace“, in das ich involviert bin. Was danach kommt weiß ich noch nicht. Das Jahr ist auch sonst schon sehr voll mit Aktivitäten. Aber ich hoffe es bleibt noch Zeit, für die eine und andere Infraframing-Session mit mit findigen, pfiffigen Leuten. Ein paar Ideen hab ich noch in petto und wäre auch selber gespannt, was da kommt.

Mehr über die Arbeit von Matthias Schamp auf seiner Website der-schamp.de

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Im vergangenen Jahr hab ich die durch Corona ausgelöste Digitalisierung von Kunst und Gesellschaft in einer kleinen Serie hier im Blog begleitet, die sich mit Streaming und Video-Konferenzen befasst. Dazu sind u.a. erschienen:

> Eine Betrachtung über Geisterspiele in der Bundesliga
> Richard Oehmann von der Band Cafe Unterzucker über Band-Musik im Stream
> Interview mit Jasmin Schreiber von Streamkultur
> Shruggie des Monats: Der Live-Stream
> Zehn Lehren aus der Coronakrise für Videokonferenzen und Live-Streams
> Performance-Künstler Marcus John Henry Brown über die Herausforderung, Menschen im Stream zu halten
> Social-Media-Experte Michael Praetorius über Workshops im Stream
> Pfarrerin Miriam Hechler über Gottesdienst im Stream
> Museums-Experte Maximilian Westphal über Führungen im geschlossenen Museum
> DJ Ivo Schweikhardt übers Auflegen im Stream
> Autor Pierre Jarawan über Workshops zum Kreativen Schreiben im Stream
> Musikerin Maria über Musikunterricht im Stream
> Denny Leo Kinder über Friseure im Stream
> Wolfgang Tischer über Lesungen im Stream
> Die Therapeuten Imke Herrmann und Lars Auszra über Therapie im Stream
> Lehrer Philippe Wampfler über Unterricht im Stream
> Autor Tom Hillenbrand über Krimis auf Twitch
> VHS-Chef Christof Schulz über Volkshochschule im Stream
> Zukunftsforscher Gerd Leonhard über die Zukunft von Live-Events und Live-Streams

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