Fünf Dinge, die ich durch die neuen NY-Times-Kampagne über den Journalismus von morgen gelernt habe

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Dieser Text ist Teil der März-Folge meines monatlichen Newsletters „Digitale Notizen“, den man hier kostenlos abonnieren kann.
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Ich mag den Gedanken, Digitalisierung nicht allein als technologische, sondern vor allem als kulturelle Veränderung zu verstehen. Wer so denkt, erkennt im „Wandel von der Lautsprecher zur Kopfhörer-Kultur“ nicht nur Das Ende des Durchschnitts, sondern auch eine Verschiebung zum Interesse der Nutzer:innen. Im so genannten User-Centred-Design hat dieser Gedanke eine ganze Denkschule geprägt, die publizistische Prozesse stets auf der Seite des Publikums und nicht der Publizierenden zu denken beginnt. Was diese Veränderung für Folgen hat, kann man in der aktuellen Kampagne der Tageszeitung des Medienhauses New York Times beobachten: „Independent Journalism for an independent life“ heisst die neue Werbekampagne der Agentur Droga5 für die New York Times.

Ich interessiere mich für Werbekampagnen aus vielen Gründen. Im Journalismus belegen sie meiner Ansicht nach, dass die alte Weisheit „eine gute Geschichte findet ihre Leser“ so nicht mehr stimmt. Sie legen aber vor allem offen, wie die Werbenden gesehen werden wollen, welche Botschaften sie in den Mittelpunkt stellen und welche Assoziationen sie erwecken möchten.

Im Falle der New York Times ist das auch deshalb besonders interessant, weil das Medium während der Ära-Trump deutlich auf die Idee „Truth“ als Leitmotiv gesetzt und diese Ausrichtung nun verändert hat: „Independent Journalism for an independent life“ heisst es jetzt und ich finde, man kann daraus Ableitungen für das Selbstbild der New York Times und vielleicht sogar für den Journalismus von morgen ziehen. Ich sehe jedenfalls diese fünf:

1. Leser:innen stehen im Mittelpunkt
Fünf Abonennt:innen der New York Times stehen im Mittelpunkt der neuen Kampagne. „Wir haben die Story der Clips rund um die Überschriften der Beiträge gebaut, die sie gelesen haben und der Themen, die sie interessieren“, erklärt Toby Treyer-Evans von der Agentur Droga5. „Wir wollten einfache Momente einfangen, die einen in das Leben der Leser eintauchen lassen und zeigen, wie die Times dazu beiträgt, sie auf sehr persönliche Weise zu inspirieren.“ Die Aufzählungen, die dabei entstanden sind, sind nicht nur eine schöne Beschreibung dessen, was ich hier Inspirierenden Journalismus nannte, sie erinnern mich auf erstaunliche Weise an die Lebenswert-Liste, die das jetzt-Magazin vor mehr als zwanzig Jahren druckte. Es sind aber nicht nur inspirierende Momente, sondern konkrete Inhalte aus der Times – und deren Folgen für ihre Leser:innen.

2. Unabhängiger Journalismus ist nicht nur abstrakter Wert
Wenn über Journalismus und seinen Wert für die Gesellschaft gesprochen wird, fallen oft abstrakte Begriffe, nicht selten wird gar von der vierten Gewalt im Staate gesprochen. So wie die neue New-York-Times-Kamnpagne unabhängigen Journalismus positioniert, ist er nicht entfernte Referenz in präsidialen Ansprachen, sondern konkreter Mehrwert im Leben seiner Leserinnen und Leser. Ein in den Clips zitierter Text ist z.B. der Ratschlag zur Dankbarkeit aus einer Sonntagsausgabe aus dem Jahr 2015: Choose to be grateful ist auch unabhängiger Journalismus.

3. Das Themenspektrum wird erweitert
Die Kampagne stellt Leser:innen in den Mittelpunkt – und zeigt deren Interaktion mit konkreten Inhalten der New York Times. Daran erkennt man nicht nur wie klug und inspirierend die Headlines der Times sind, man stellt auch fest: Das Themenspektrum einer politischen Tageszeitung ist sehr viel breiter als man gemeinhin annimmt. Es geht nicht nur um die tagesaktuellen News. Wie hier schon vor einem Jahr beschrieben: die New York Times definiert sich mittlerweile als viel breiteres Angebot.

4. Service und Unabhängigkeit sind kein Widerspruch – im Gegenteil
In dem früheren, engeren Bild einer klassischen politischen Tageszeitung gab es die Unterscheidung zwischen harten und weichen Themen. Diese Kampagne zeigt: die Unterscheidung ist zumindest mit Blick auf den zentralen Wert der Unabhängigkeit unbedeutsam. Auch lebensnahe Service-Themen leben von der Unabhängigkeit der New York Times, dieser Wert drückt sich also nicht nur in der tagesaktuellen politischen Kommentierung aus. Diese Botschaft der Kampagne geht sicher über deren werblichen Charakter hinaus.

5. Eine gute Zeitung erkennt man an ihren Leser:innen
Die Menschen, die sich für ein Abo der New York Times entschieden haben, werben für die Zeitung. Dieser Satz ist nicht nur die Beschreibung der Kamapagne oder eine Annäherung an die Word-of-mouth genannte Mund-zu-Mund-Propaganda des Social-Media-Zeitalters. Der Satz liefert die Zusammenfassung dessen, was man Community nennt. „Das Ziel unserer gesamten Image-Werbung ist das gleiche: die Zahl der Leser zu erhöhen, die glauben, dass der Journalismus der Times es wert ist, dafür zu bezahlen“, erklärt Laurie Howell, executive creative director bei Droga5. „Hier haben wir einen einzigartigen Weg gefunden, die Unabhängigkeit und Neugier unserer Community zu zeigen, und wie sich diese Werte in dem widerspiegeln, was sie lesen.“ Dass dabei die Leser:innen im Mittelpunkt stehen, ist im doppelten Sinn zukunftsweisend.

UPDATE: Ein Einblick der Agentur in ihre Arbeit mit/für die New York Times

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Dieser Text stammt aus dem monatlichen Newsletter Digitale Notizen, in dem ich öffentlich über Themen nachdenken, die mich beschäftigen. Vor einem Jahr habe ich dabei schon mal über die New York Times geschrieben. Wer sich intensiver für die zum Medienhaus gewandelte Zeitung interessiert, sollte diese Analyse von Konrad Weber lesen.

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