Freundschaft im Tal der vertrauten Fremden

Wenn stimmt, dass die Weisheit im Netz bei den Vielen liegt, dann stelle ich diese Frage nicht Dr. Dr. Erlinger, sondern Dir und Dir und vor allem hier. Es geht um die Mail eines Bekannten, der für einen von ihm betreuten Kunden eine Ausstellung (mit) vorbereiten muss. Dabei soll oder will dieser Kunde ein Produkt oder ein Programm präsentieren, das mit einem Facebook-Account verbunden ist. Selbiger Account existiert noch nicht und hat entsprechend noch nicht sonderlich viele Freunde. Ohne solche ist Facebook aber der langweiligste Ort der Welt.

Deshalb kam der Bekannte auf die Idee zu fragen, ob man sich nicht für die Dauer der Ausstellung mit dem Account anfreunden möge. So würde die Timeline des Präsentations-Accounts gefüllt. Die Frage erreichte auch mich – und weil ich keine Antwort weiß, gebe ich sie hier mal weiter:

Was macht man da?

Nimmt man den Begriff Freund ernst, ist natürlich klar, dass man eine solche Freundschaft nicht annehmen kann. Versteht man Facebook wie einen Raum, könnte umgekehrt man sagen: Hier fragt einfach jemand, ob man während einer Messe an seinem Stand vorbeischaut, damit es dort nicht so leer ist. Das kann man durchaus tun, selbst wenn man seinen Kunden nicht kennt.

Anders als bei einem Messestand ist die digitale Präsenz allerdings von längerer Dauer als ein kurzer Besuch. Wer weiß, wer mich dort auf dem Schirm als Account-Freund sieht? Umgekehrt könnte man neue Beiträge für den vermeintlich neuen Freund ausblenden, so dass man formal befreundet ist, in der Timeline aber nicht auftaucht.

Es handelt sich – wie so oft in diesen modernen Dialog-Medien – um eine Grenzgeschichte zwischen Privatheit und Öffentlichkeit – um das Tal der Vertrauten Fremden.

Das interessiert mich. Deshalb kam mir die Idee, diese kleine private Frage mal öffentlich zu machen:

Soll ich diese Freundschaft eingehen oder nicht?

9 Kommentare

Es reicht, den Begriff „Freund“ bzw „Freundschaft“ für sich selbst zu definieren sowie sich zu fragen, wie man Facebook nutzt oder nutzen möchte. Ist das geschehen, ergeben sich weitere Fragen idR nicht. Wenn Du auf Facebook ausschliesslich Freunde als Freunde hast, darfst Du dem Bekannten diesen Gefallen nicht tun. Aber bei Deiner Anzahl an Freunden (> 500) kann ich es mir nicht vorstellen, dass das der Fall ist. Also harmoniefolgend annehmen und, falls doch mal eine Phase der Ordnung auftritt, aussortieren/kündigen.

Ebenso kannst du die Frage nach der Bedeutung von sozial in „soziales Netzwerk“ stellen. Soziales Verhalten könnte ja auch bedeuten, den Wunsch zu erfüllen. Trotzdem finde ich die Methode fragwürdig, weil für mich die dauerhafte Pflege von Kontakten ein wichtiger Aspekt ist, der eigentliche Sinn also konterkariert würde.

„Nimmt man den Begriff Freund ernst, ist natürlich klar, dass man eine solche Freundschaft nicht annehmen kann.“

Für mich gehören zu einer „echten“ Freundschaft zwingend zwei Menschen. Du schreibst von einem Facebook-Account, der mit einem Produkt oder Programm verbunden ist. Um es mit deinen eigenen Worten zu sagen:
Nimmt man den Begriff Freund ernst, ist natürlich klar, dass es eine solche Freundschaft nicht geben kann.

Ich halte den Begriff Freundschaft im Umfeld von Facebook ohnehin für fehl am Platz; zumindest, wenn wir die Maßstäbe anlegen, die wir im analogen Leben an eine Freundschaft haben. Ich kenne kaum jemand, der alle seine Facebook-Freunde auch als „echte“ Freunde bezeichnen würde.

Wenn du deinem Bekannten einen Gefallen tun willst, spricht doch nichts dagegen, dich temporär mit dem Facebook-Account anzufreunden. Dank der Privatsphäre-Einstellungen musst du ja nichts mit ihm teilen; und wo du einem Messestand einfach den Rücken kehren kannst, lässt sich diese Freundschaft mit einem einzigen Mausklick beenden – das Argument der längeren Dauer zählt für mich eigentlich nicht.

Für mich sind zwei Dinge entscheidend:

1. Wie gehst du normalerweise mit Facebook-Freunden um? Eher xx echte Freunde oder xxx Bekanntschaften?
2. Würdest du dem Bekannten im echten Leben einen Gefallen tun?

Ich würde das pragmatisch sehen:
Wenn Du den Bekannten magst – und Dir vielleicht obendrein auch noch die Ausstellung gefällt, für die er Werbung macht – mach’s. Wenn Du das Gefühl hast, er ist sowieso nur mit Dir bekannt, weil er sich dadurch solche „Freund“schaftsdienste erbetteln kann, lass es.
Andererseits hatte ich so ein ähnliches Problem als ich Taufpate werden sollte: als aus der kath. Kirche Ausgetretener kann man – rein kirchenrechtlich – kein Taufpate werden. Darum habe ich im Rahmen des Tauf-Gottesdienstes nur einen allgemein philosophischen Text als Fürbitte gelesen und erfülle jetzt meine Patenaufgaben atheistisch, mit großer Freude. Meinen Plan, für die Taufe wieder in die Kirche ein und danach gleich wieder auszutreten, habe ich nach 2 Min Nachdenken wieder verworfen.

Wie ist das eigentlich in anderen Ländern? Mich beschleicht nämlich das Gefühl, dass diese Frage eine ziemlich Deutsche ist. Im Mutterland von facebook hätte diese Vermischung von privat und öffentlich vermutlich niemanden auch nur im Ansatz stutzen lassen. Das Angebot wäre als Mosaik-Steinchen in der täglichen Arbeit an der öffentlichen Selbstdarstellung dankbar angenommen worden.

Ist facebook also tatsächlich der Raum in dem ich mich mit meinen echten Freunden vernetze oder nicht doch vor allem ein idealer Ort sich selbst darzustellen – so eine Art digitaler Schulhof wo alle zusammenstehen und sich große Geschichten erzählen, mal lauter und mal leiser. Es ist ja nichts Ehrenrühriges dabei, aber in Deinem Fall müsste man ja eigentlich davon ausgehen können das Du zumindest aus semi-professionellen Gründen an diesem Netzwerk teilnimmst, oder?

Gruß, Lucas ;-)

Ein Journalist sollte keine Werbung machen! Gerade wenn man das Argument des semi-professionellen Raums zuende denkt, das Lucas benennt, darfst Du es nicht machen. Denn: wie verwehrst Du anderen Freunden künftig ähnliche Anfragen? Oder willst Du bald allen digitalen Freunden solche Gefallen tun? Besser nicht!!!

Oha. Ist das schon Werbung. Für wen denn dann: für DVG oder für den Kunden? Sollte DVG tatsächlich keine Werbung für sich machen? Das riecht nach ergebnisloser Grundsatzdebatte …

Mal anders gefragt: Da ist ein Kunde der würde gern Inhalte von DVG remixen. Quasi in ein Mashup verschiedener Contents verweben. Und statt das einfach nur zu tun, fragt er DVG vorher. Wahrscheinlich sogar nur deshalb weil die hier verwendete Technik (=facebook) das notwendig macht. Wäre es dann immernoch „Werbung“ oder ist das irgendetwas anderes, das längst zu unserer Realität gehört aber noch nicht so klar geregelt ist.

(Ja, ich gebe zu: Hier leigt ein kleines rotes Buch vor mir …)

Vielen Dank für die rege Debatte (es gab eine zum Teil verspätete Freischaltung, weil der Spam-Filter übereifrig war, sorry). Ich finde beide Argumente nachvollziehbar, tendiere eher zum Nein. In diesem einen Fall werde ich es aber ausprobieren – und euch berichten, wenn es was zu berichten gibt ;-)

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