„Entscheidend ist, jemanden in einem Stream zu halten und zu einem Fan zu verwandeln“ – Kunst im Stream

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Was ist online möglich, wenn der direkte Austausch nicht mehr klappt? Mit dieser Frage befasst sich eine kleine Serie, die ich im Rahmen der Corona-Ausnahmesituation gestartet und mit zehn Lehren beschrieben habe. Folge 9: Kunst im Stream (Foto: unsplash)[/white_box]


Marcus John Henry Brown ist Performance Künstler. Seit der Corona-Krise kann er live nur noch im Stream auftreten.

Was war die größte Hürde, die Du überwinden musstest?
Ich habe die Möglichkeiten von Online-Videos bereits seit einiger Zeit auf YouTube erkundet. Auch Livestreaming ist mir nicht fremd. Ich entwickle seit einigen Jahren Livestream-Formate für Corporate-Kunden, die die Kosten und den CO2-Fußabdruck ihrer internen Veranstaltungen senken möchten. In Bezug auf die Denkweise, Formate, Hard- und Software war ich also startbereit. Die größte Herausforderung war und ist, dass das Live-Publikum fehlt. Als Performancekünstler brauche ich ein Live-Publikum. Ich brauche diese Energie. Meiner Meinung nach, brauchen Livestreams ein Live-Studio-Publikum, da sie in dem gleichen kulturellen Raum leben, der normalerweise mit einer Live-Fernsehsendung verbunden ist. Du hast vielleicht bemerkt, wie seltsam ein Format wie WWEs Wrestlemania oder ein ProSieben.Sat.1-Format wie „Wer Schläft Verliert“ oder RTLs „Let’s Dance“ ohne Live-Publikum ist. Als Fernsehpublikum haben wir gelernt, ein klatschendes, lachendes Live-Publikum im Studio zu sehen.

Gibt es etwas, das jetzt besser ist als vorher?
Für Leute wie mich oder Michael Praetorius, ein Livestream-Pioneer, der mir viel über die technischen Herausforderungen beim Livestreaming beigebracht hat, ist es lustig und interessant zu beobachten, wie Leute das Live-Streaming für sich entdecken. Als wäre es die Lösungen für alle unsere derzeitigen Kommunikations-Probleme. Jetzt haben wir Karl-Heinz von HR, alleine in seinem Homeoffice, mit einem halbstündigen Livestream zum Thema “WFH – Effektiv und Gemütlich!”
Es wäre verlockend zu behaupten, dass man mit Live-Streaming mehr Menschen erreichen kann, dass man sie schneller erreichen kann und dass es insgesamt kostengünstiger ist. Es ist aber nicht so. Livestreaming ist vieles, aber einfach und billig ist es nicht. Nicht, wenn man es richtig machen möchte. Sagen wir es so: Du kannst Dich jetzt schneller, billiger und vor einem breiteren Publikum zum Narren machen – und zwar live and direct aus Deinem Homeoffice.


Im direkten Austausch gibt es stets irgendeine Form von Rückmeldung, eine Stimmung im Raum. Wie löst du das Problem, dass das online nur sehr viel schwieriger wahrzunehmen ist?

I’m not going to lie: Ich kämpfe echt hart damit und ich denke, dass das mit Nachhaltigkeit und Engagement zu tun hat. Du musst ein Format entwickeln, ein Produkt erstellen und ein loyales Online-Publikum aufbauen, das bereit ist, Zeit in diesen Livestream-Unsinn zu investieren. Es ist relativ einfach, Stream-Views zu generieren, aber entscheidend ist es, jemanden in einem Stream zu halten und ihn zu einem Fan zu verwandeln. Nur so bekommt man dauerhaft Feedback. Es ist kein technisches Problem, das zu lösen ist, sondern ein Loyalitätsproblem. Man muss nur einen Nachmittag auf Twitch mit Leuten wie Dr. Dispect, Tim The Tatman, Nadeshot und all den anderen Online-Gamern verbringen, um zu sehen, dass es mehr als möglich ist, eine Rückkopplungsschleife vom Publikum zu erhalten. Da ist Stimmung im Chat! Aber das Publikum muss erstmal da sein. Und so eine Community aufzubaunen und zu halten braucht Zeit. Sehr viel Zeit.

Welchen Ratschlag würdest du jemandem geben, die/der jetzt auch ins Online-Streaming einsteigt?
Zunächst einmal: Frag Dich, ob der Livestream nur eine E-Mail sein könnte. Muss es wirklich ein Livestream sein? „Ja wirklich?“ OKAY. Dann zweitens: DO THE RESEARCH. Recherchiere bis Deine Augen blutig werden. Denke an den Kontext des Streams. Denke in Formaten. Talent imitates – genius steals: Stehle vom Live-Fernsehen. WWE Pay-per-Views, Frühstücksfernsehen, Tele-Shopping, Nachrichten oder alte MTV-Formaten, wie „MTV’s Most Wanted“ mit Ray Cokes. Verbringe Tage in TWITCH, YouTube oder MIXER. Denke daran: Das, was Du da planst, ist „Internet-Fernsehen”.

Zum Abschluss: Kannst du noch kurz erklären, wie (also mit welcher Soft-/Hardware) du jetzt online gehst?
Ich habe die letzten 18 Monate damit verbracht, meine Ausrüstung aufzubauen, und das meiste davon wurde gekauft, um YouTube-Videos sowie Filmmaterial für meine Auftritte zu erstellen. Die LUMIX GH5 und die Canon EOS R sind jetzt meine Hauptkameras für Livestreams. Ich könnte Tage über Objektiven reden, tu ich hier aber nicht. Beleuchtung ist unglaublich wichtig und etwas, das fast jeder falsch macht oder gar nicht auf dem Schirm hat. Ich habe einen Lichtring (Du kennst sie ja, Influencer-rings. Den mag ich aber nicht, weil ich eine Brille trage und kein Influencer bin), LED-Lichtpaneele (die gut sind) und ein paar Aputure Amaran-Spots, die ich für Highlights verwende. Ich habe mir rund tausend Euro gespart, indem ich aus einer Backform und einem LED-Streifen eine Light-Box gebaut habe – und der Lichteffekt ist großartig. Ich verbinde die Kameras mit dem Elgato Cam Link 4K mit meinem iMac. Ich verwende OBS Studio zum Streamen, Adobe After Effects für die Segmentanimationen und Adobe Premiere Pro zum Bearbeiten und Colour-Grading des zusätzlichen Filmmaterials, das ich in meinen Streams verwende. Das Wichtigste ist der Ton. Wie ich das mache bleibt jedoch mein Geheimnis.

Aber nichts davon ist wichtig. Du könntest ein Broadcast-Grade-Studio haben und trotzdem wird Dein Stream scheiße werden, wenn Du kein Format, keine Idee, nichts wirklich Interessantes zu erzählen hast oder kein Publikum, das bereit ist, Dich dauerhaft zu sehen.

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Dieser Fragebogen ist Teil einer kleinen Serie hier im Blog, die sich mit Streaming und Video-Konferenzen befasst. Wenn du wegen der Corona-Krise auch auf Streaming umgestellt hast und darüber sprechen möchtest: melde dich bei mir!

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