Meine ungebetene Laudatio auf den Troll des Jahres

Ich glaube ich habe Christopher Lauer noch nie persönlich getroffen. Und doch bilde ich mir ein, ihn besser zu kennen als viele Menschen, die mir regelmäßig über den Weg laufen. Christopher Lauer ist am Wochenende als Troll des Jahres ausgezeichnet worden, ich nehme das zum Anlass, eine ungebetene Laudatio auf ihn zu halten (und ein klein wenig über Trolle zu sagen)!

Die Jury zeichnet Christopher Lauer aus „weil er wie kein zweiter die Werkzeuge eines Trolls aus dem ef-ef beherrscht.“ Das ist als Lob gemeint, wie man in der Begründung nachlesen kann. Trollen wird darin nämlich durchaus als positive Tätigkeit interpretiert. Man lobt Lauer dafür …

dass er nicht nur in der Lage ist, die positive Kunst des Trollens gegenüber Dritten anzuwenden; Er zeigt auch, dass er selbst über eine solide Trolleranzgrenze verfügt und offenbart so noch größere Erfahrung als Troll.

heise berichtet über andere Trolle, mit denen sich die Jury ebenfalls befasst habe:

Auf die Plätze verwiesen hatte er die ebenfalls nominierte Redaktion der Satire-Zeitschrift Titanic, Kim Dotcom alias Kim Schmitz und die FDP. Diese hätten durch ihre positiven Trollereien anderen einen Spiegel vorgehalten und die gesellschaftliche Diskussion so schneller vorangebracht als es mit traditionellen Diskurstechniken möglich wäre.

Vor dem Hintergrund der Meldungen über Trolle aus dem angelsächsichen Raum aus den vergangenen Tagen kann man durchaus die Frage stellen, ob die Bezeichnung des Trollens hier angemessen verwendet wird. Darum soll es hier aber nicht gehen, sondern um die Troll-Erfahrung von CommodoreSchmidtlepp, die dieser wie kein zweiter beherrsche. Als ich das las, kam in mir zuerst die Frage auf: Warum erhält er den Preis erst jetzt? Und warum nicht fürs Lebenswerk? Und dann bekam ich kurz Angst, denn ich befürchte zu wissen, wo er die genannten Fähigkeiten vermutlich auch erlernt hat: in Debatten mit jetzt.de-Kollegen und womöglich auch mit mir.

„Heul nicht, so ist das Game Nutte“, hat Christopher Lauer auf seine Profilseite CommodoreSchmidtlepp auf jetzt.de geschrieben. Diese hat er im Oktober 2003 angelegt und nach meinem Gefühl hat er seit dem zahlreiche sehr intensive Debatten mit anderen Nutzern aus dem jetzt-Kosmos, aber vor allem auch mit der Redaktion (Transparenz-Hinweis, die ich leite) geführt. „CommodoreSchmidtlepp war einer der hartnäckigeren Trolle der jetzt.de-Redaktion“, sagte ich Kollegen, die nach der historischen Anne-Will-Sendung (die mit dem fortan twitternden Peter Altmaier und der Internet-einschaltenden Bärbel Höhn) voll des Lobes für den jungen Mann waren, der dort so wort- und mimikreich diskutierte. Übrigens einer, der im Jahr 2009 in einem Gastbeitrag schrieb:

Es ist sogar möglich, dass ich im Zusammenhang legaler Downloads zum ersten Mal bei jetzt.de von den Piraten erfahren habe, damals hielt ich sie für eine Spaßpartei mit unausgegorenen Zielen.

Ich will dieses Lob nicht schmälern, ich kriege nur diesen Satz mit der Nutte nicht aus meinem Kopf, wenn ich Christopher Lauer sehe. Klar, ist die Identität des CommodoreSchmidtlepp nicht Christopher Lauer, aber er hat – und dafür ist er ja offenbar auch ausgezeichnet worden – Teile davon fortgeführt (wie zum Beispiel der verifizierte Twitter-Account Schmidtlepp nahelegt). Und natürlich wirkt dieser Satz mit der Nutte anders, wenn man sich ihn im Berliner Abgeordnetenhaus oder auf großer TV-Bühne denkt. In diesen Kontexten, für die die Jury ihn ausdrücklich lobt, steckt in ihm vermutlich genau das, was die Jury „die positive Kunst des Trollens“ nennt. Es ist eine Form netzaffiner Satire möchte man meinen (vor allem vor dem Hintergrund der anderen Trolle, mit denen die Jury sich befasste). Der Satz und die Haltung bekommt jedoch einen ganz anderen Kontext, wenn man ihn sich im tägliche Kleinklein von Foren-Debatten vorstellt. Oder noch eher vor schwächeren Menschen, die auf derlei Konfrontation nicht vorbereitet sind, weil sie einfach nur privat im Netz surfen (womit natürlich nicht die Redaktion gemeint ist). Hier besteht das floskelhafte Spiegelvorhalten, von dem die Jury spricht, aus einem Spiegel, auf den boshafte Beleidigungen gemalt sind, die sich auf denjenigen beziehen, der sich dort anschauen soll.

Wer über das Trollen spricht und in ihm offenbar positive Seiten erkennt, darf diese zweite Ebene nicht ausblenden, oder wie map es auf Twitter nannte:

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Christopher Lauer in dieser Form getrollt hätte. Es war eher ein Aufbegehren gegen eine vermeintliche höhere Macht, gegen die Redaktion, die Zeitung, das gesamte Medienwesen. Es war anstrengend und in manchen Fällen demotivierend, aber vielleicht war es tatsächlich für etwas gut. Die Hitze, die man in Internet-Gefechten verspürt, kühlt ab und man kann irgendwann sagen, den Troll des Jahres zu kennen. Diese in Wahrheit nur halb tolle Aussicht gilt sicher nicht für alle, die gerade in mühevoller Kleinarbeit ihre Trolle in Foren und Communitys pflegen. Für alle (die im übirgen auch mal einen Preis verdient hätten) gilt aber der Teil mit dem Abkühlen.

Deshalb verstehe ich den Preis, zu dem ich Christopher Lauer auf beiden Ebenen gratuliere, als Ansporn für das, was Sascha Lobo mal eine vernünftige Beleidigungskultur im Netz genannt hat! Dafür bist du jetzt ein wichtiges Vorbild, Commodore Schmidtlepp. Ich hätte es auch nicht gedacht, aber so ist das Game!

P.S.: Aktuell trollt Christopher Lauer (im Sinne des Preises) übrigens den SPD-Kanzlerkandidaten: steinbrueckseinkuenfte.de


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2 Kommentare

Interessant ist, dass jungen Leuten nicht zugestanden wird ihre Meinung zu ändern.
Der Mann war 2003 neunzehn Jahre alt.
Seit ich 17 bin, hat sich meine Meinung auch hin und her verschoben. Die Beurteilung eines ganzen Menschen, dafür taugt das Internet nicht.
Und nein, Du kennst ihn nicht besser. Du glaubst es nur.

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