Im Fluss: Alkohol für den Journalismus

Im Rahmen des World Editors Forum erklärte Giovanni di Lorenzo:

„Die Zeitung der Zukunft zeigt nicht den Informationsfluss, sondern die Ufer.“

Er hat dort wohl auch über „Ideologie des Internet“ gesprochen, aber mich interessiert hier die Metaphorik des Flusses sehr viel mehr. Denn die Berkman- und Microsoft-Wissenschaftlerin Danah Boyd hat ebenfalls in dieser Woche einen erstaunlichen Text zur gleichen Metaphorik unter dem Titel Flow of Information through Social Media veröffentlicht. Darin geht sie genau auf das Fluss-Bild ein:

The metaphor implied by „streams“ is powerful. The idea is that we are living inside the stream: adding to it, consuming it, redirecting it. The stream metaphor is about being in flow. It’s also about restructuring the ways in which information flows in modern society. Those who are most enamored with social media services like Twitter talk passionately about feeling as though they are living and breathing with the world around them, peripherally aware and in tune, adding content to the stream and grabbing content when appropriate. But this state is delicate, plagued by information overload and weighed down by frustrating tools.

Sie erläutert, worin die grundlegende Unterscheidung zwischen Broadcast-Medien auf der einen Seite und vernetzten Medien auf der anderen Seite besteht und beschreibt, wie mittels der Techniken des sozialen Web Information von einer Destination zu einem sich verflüssigende Gegenstand wurde. Das alles, schreibt sie weiter, scheint nicht neu, gelangt nun aber in den Mainstream:

But now that Web 2.0 is going mainstream, we’re seeing all sorts of folks get into the game. (…) If people are going to try to get in flow with information, we must understand how information flows differently today.

Darauf aufbauend entwickelt sie anhand von vier Schlagworten Thesen darüber, wie sich das vom „model of distribution to a model of attention“ verschiebende Nachrichtengeschäft verändern wird (ja, sie geht später auch aufs Geschäftsmodell ein, bitte weiterlesen!). Die Thesen lauten …

democratization; stimulation; homophily and power.

… und gehen indirekt sogar auf die unlängst hier besprochene Auseinandersetzung zwischen Malcolm Gladwell und Clay Shirky um die gesellschaftsverändernde Kraft von Twitter ein. Mit Hilfe der Thesen leitet Boyd Anforderungen an sozial versierte Journalisten ab (die die Techniken des Dialog-Web zu nutzen verstehen) und stellt Fragen an das Geschäftsmodell, das sich ebenfalls ändern muss:

Finally, we need to rethink our business plans. Frankly, I doubt the cultural shift we’re witnessing will be paid for by better advertising models. Advertising is based on capturing attention, typically by interrupting the broadcast message or by being inserted into the content itself. Being in flow with information is not about being interrupted. Advertising does work when it’s part of the flow itself.

Doch anders als Giovanni di Lorenzo spricht Boyd dann nicht von Paid Content, sie wählt stattdessen eine neue Metapher um herzuleiten, wo die Herausforderung für vernetzes Publizieren liegt. Sie vergleicht Medien hier mit den Betreiber von Bars und Restaurants, die ebenfalls soziale Räume zur Verfügung stellen ohne direkt für deren Nutzung bezahlt zu werden:

Think about how we monetize sociality in physical spaces. The most common model involves second-order consumption of calories. Venues provide a space for social interaction to occur, and we are expected to consume to pay rent. Restaurants, bars, cafes—they all survive on this model. But we have yet to find the digital equivalent of alcohol.

Eine spannende Aufgabe, diesen Alkohol für den Journalismus von morgen heute zu finden. Und wenn man sie mittels dieser Metapher beschreibt, wird sie vielleicht sogar sehr attraktiv – auch für jene, die dem Netz noch skeptisch gegenüber stehen.

2 Kommentare

Etwas ähnlich ‚Beflügelndes‘ wie Alkohol zu finden, dürfte schwer werden. Aber die Möglichkeit, über soziale Netzwerke – und nicht nur über das Blog, den Beitrag – bereits vor Veröffentlichung erfahren zu können, was dem Leser wichtig ist oder ihn gar selbst als Mitverfasser einzubinden, ist unglaublich attraktiv. Mal wieder das eigentlich alte Lied: Zuhören.

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