Call to action: über eine neue Form des Journalismus

tl;dr: Renommierte Journalisten verlassen klassische Verlage. Ihre neuen Arbeitgeber pflegen eine Kultur der Kundenzentrierung. Dadurch entsteht eine neue Form des Journalismus.

Die Medienbranche ist in der Krise. Das hören wir ständig. Meist geht es dabei um die zerstörerischen Folgen der Digitalisierung für Vertriebsmodelle. Wenn Glenn Greenwald von Krise redet, meint er nicht das Internet, sondern den Kern der Medien: den Journalismus. Dieser ist korrupt, erklärte der Anwalt und Investigativ-Reporter Gleen Greenwald den Zuhörern auf der Global Investigative Journalism Conference in Rio. Greenwald spricht von einer „fundamentalen Beschädigung“, die die westlichen Medien in den vergangenen Jahren erlitten haben. Die Tatsache, dass die New York Times die NSA-Enthüllungen, die im Sommer durch Greenwalds Veröffentlichtungen bekannt wurden, schon 2004 in Teilen kannte, nimmt der investigative Reporter zum Anlass für eine grunsätzliche Kritik am Zustand des Journalismus in der westlichen Welt. Dieser erfülle seine Aufgaben nicht richtig und folgerichtig stecke die Branche in der Krise:

Es ist ziemlich aufregend und auch ermutigend, dass nun immer mehr Medien scheitern und sterben. Das sollten wir feiern. Denn diese Institutionen müssen endlich darüber nachdenken, was sie besser machen können. Es gibt nun viele neue Medienunternehmen, die jungen Journalisten eine Chance geben. Dass Unternehmen scheitern ist also kein Beleg dafür, dass der Journalismus stirbt; ganz im Gegenteil er blüht auf und geht einfach woanders hin.

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Der Journalismus des Glenn Greenwald, das wurde kurz nach seiner Rede in Rio bekannt, wechselt vom britischen Guardian zu ebay-Milliardär Pierre Omidiyar. Der Mann, der sehr viel Geld mit der Auktionsplattform verdiente, stellt sich als Philantroph dar, der sich finanziell fürs öffentliche Interesse engagieren will: von 250 Millionen Dollar ist die Rede. Greenwald kommentierte seinen Wechsel – der ironischerweise geleaked wurdemit den Worten: „Ich habe eine einmalige Möglichkeit bekommen, die kein Journalist ablehnen würde.“

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Bisher ist wenig darüber bekannt, wie diese Möglichkeiten genau aussehen, die Omidyar Greenwald und seinen Kollegen Laura Poitras und Jeremy Scahill (und Dan Froomkin sowie Liliana Segura) bieten wird. Sowohl der genaue Name als auch die genau Ausgestaltung des neuen journalistischen Angebots sind unbekannt. (Bisher wird mit dem Hashtag #NewCoNews gearbeitet) Es soll rein digital sein, soviel ist klar, und investigativen Journalismus fördern. Allerdings sieht der Unternehmer Omidyar einzig darin noch kein Geschäftsmodell. Im Interview mit der New York Times erklärte er, dass er nicht daran glaube, dass sich ein solcher Journalismus allein finanzieren könnte.

Werbekunden wollen nicht im Umfeld von investigativen Geschichten stehen. Es ist extrem schwierig das hinzukriegen. Und nur wenige Menschen lesen solche seriösen Geschichten zur Zeit im Netz. Das Publikum für die wichtigsten Berichte kann ernüchternd klein sein. Es wird immer einen Kern an Lesern geben, die bereit sind, diese Arbeit zu unterstützen, aber das ist nur ein winzig winzig kleiner Teil der breiteren Öffentlichkeit. Deshalb wollen wir eine Website mit Themen von allgemeinerem Interesse schaffen und dann daran arbeiten, diese allgemeinere Öffentlichkeit zu engagierten Bürgern zu machen.

Ein Medium, das seine Leser zu engagierten Bürgern machen will: Diese Haltung taucht in zahlreichen Äußerungen Omidyars auf. In seiner Stellungnahme nach Bekanntwerden seiner Pläne schreibt er: „Ich suche nach Wegen, Mainstream-Leser zu engagierten Bürgern zu machen.“ Es geht also nicht nur darum, Informationen zu verbreiten, sondern darum, „User Engagement“ zu fördern. Ein Haltung, die auch seine Arbeit bei Ebay prägte und die er für den zentralen Antrieb im Silicion Valley hält: Menschen nicht nur dazu zu bringen, einen Text zu lesen, sondern danach mindestes noch einen. „Call to action“ heißt das in der Sprache des Marketings, das Menschen zum Beispiel animiert, bei Ebay Produkte zu kaufen oder weitere Bücher bei Amazon zu bestellen. Diese „Action“ kann sich auf Mausklicks beziehen, auf Einkäufe oder eben auf gesellschaftliches Engagement. Um letztes geht es Omidyar nach eigenen Angaben – und deshalb auch um einen anderen Journalismus. Dafür wollte er eigentlich die Washington Post kaufen, dabei hatte er allerdings das Nachsehen: Amazon-Chef Jeff Bezos setzte sich durch. Ein anderer Experte für „User Engagement“. Bezos beschrieb die drei Kernideen von Amazon einmal als den Willen etwas Neues einzuführen, den Blick fürs Langfristige und die Fixierung auf den Kunden. Was genau Bezos bei der Washington Post machen wird, ist noch unklar. Dass er sich von diesen Prinzipien verabschiedet, ist aber nicht anzunehmen.

Bezos und Omidyar sind die bekanntesten Köpfe einer neuen Entwicklung in der amerikanischen Nachrichtenbranche: Digitale Investoren entdecken gerade die Medien. 120 Sekunden und auch die New York Times widmeten diesem Trend unlängst eine längere Geschichte, in der unter anderem beschrieben wird, wie Laurene Powell Jobs (die Witwe von Apple-Chef Steve Jobs) in das Nachrichten-Start-Up Ozy Media investiert und der Facebook-Mitgründer Chris Hughes The New Republic kauft und das Social-Media-Unternehmen Upworthy mitfinanziert. Man kann diese Entwicklung als Trend hin zu wertvollen Inhalten lesen, man kann darin aber auch den Anfang eines veränderten Journalismus erkennen, der nicht mehr nur von klassischen Medien geprägt wird, sondern von Digitalunternehmen: Dieser Tage wurde bekannt, dass der renommierte amerikanische Investigativreporter Mark Schoofs von ProPublica zu Buzzfeed wechseln wird und dass der bekannte Technikjournalist David Pogue künftig nicht mehr für die New York Times arbeiten will: er ist jetzt Journalist bei Yahoo.

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Als Omidyar gefragt wurde, warum er statt in die Washington Post nun in die Reporter Greenwald, Poitras und Scahill investiere, lobte er besonders deren transparenten Zugang zu ihrer Arbeit. „Sie sind bereit, sich da raus zu stellen und offen über ihre Arbeit zu reden. Sie blasen nicht bloß Meinungen raus ohne dass klar ist, wie sie selber dazu stehen. Sie sagen: „Schaut her, das ist was ich über das Thema weiß und ich erkläre euch, was ich darüber denken.““ Diese Haltung steht in einem gewissen Gegensatz zu der distanzierten journalistischen Perspektive, die sich in dem berühmten Zitat von Hanns-Joachim Friedrichs ausdrückt, der guten Journalismus daran erkennt, „dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“ Auf dieses Zitat angesprochen, antwortet der ausgebildete Anwalt Greenwald unlängst: „Menschen sind nicht distanziert. Alle Journalisten sind Aktivisten. Sie vertreten doch alle Interessen und Einschätzungen.“ Durch das gemeinsame Projekt mit Omidyar könnte Greenwald zum Vorbild für einen anderen, kundenzentrierten Journalismus werden. In Rio riet er den etablierten Medien jedenfalls, sich von einigen ihrer überlieferten Regeln zu verabschieden.

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Glenn Greenwald ist ein engagierter Bürger, der für engagierte Bürger schreibt. Durch die Zusammenarbeit mit Pierre Omidyar arbeitet er jetzt selber an einer Antwort auf die Frage, die seit den Enthüllungen von Edward Snowden im Raum steht: Welche Schlüsse zieht die Gesellschaft aus den Überwachungen durch staatliche Stellen? Es könnte eine andere Form von Journalismus sein, der aus den Entwicklungen der vergangenen Monaten entsteht. Einer, der mehr ist als der klassische Nachrichtentransport auf die Vernetzung des Web setzt, auf die Fixierung auf den Kunden und auf „User Engagement“. Dass dieser ausgerechnet mit Geld finanziert wird, das durch die Digitalisierung verdient wurde, ist eine besondere Ironie an der Entwicklung – wirft aber auch das zentrale Problem an dem Experiment auf: Wie ist es um das öffentliche Interesse bestellt, wenn die finanziellen Interessen der Geldgeber betroffen sind?

9 Kommentare

Spannend. Und der letzte Absatz ist für mich der entscheidende: Es geht um ein Experiment. Wie das so ist, mit ungewissen Ausgang. Ein weiterer Versuch, den Pudding Journalismus an die Wand der Zukunft zu nageln. Häufig frage ich mich, warum die Debatte um den Digitalen Medienwandel eine breite Öffentlichkeit so erschreckend wenig interessiert. An der Bedeutung der Fragestellung kann es nicht liegen. Eine wesentliche Ursache dafür sehe ich schlicht in der hemmungslosen Übetreibung durch die Diskutanten. Irgendwann nimmt das keiner mehr den disruptiven Daueralarm mehr ernst. Vermutlich ist das eine Folge des allgegenwärtigen Selbstvermarktungs-Drucks. Die Masche stets gleich: Zunächst muss der gegenwärtige Zustand vollständig in die Tonne: „Der Journalismus ist korrupt“. Im zweiten Schritt wird die eigene Auffassung verabsolutiert: „Alle Journalisten sind Aktivisten“. Und schon haben wir eine „andere Form des Journalismus“. Mindestens. Mag sein, aber ganz so neu ist die Sache dann doch nicht. Geldgelber kaufen Journalisten ein, um ein inhaltliches Angebot herzustellen. Dort werden dann vermutlich Texte, Fotos, Audios und Videos auf einer der vielen Plattform-Optionen erscheinen. Wenn die Plots geeignet sind, werden sie die Welt bewegen, aber sicher nicht den Journalismus retten. Denn demokratische Öffentlichkeit ergibt sich nicht automatisch aus einer Digitalisierung mit anschließender User-Aktivierung. Auch nicht aus einer Rolle rückwärts im Berufsverständnis. Anwaltschafltichen Journalismus gab es übrigens schon immer. Wenn sich jetzt internationale Top-Leute auf Top-Themen stürzen, wird das bestimmt hochinteressant. Das sollte man aufgeschlossen abwarten. Sehr aufschlussreich finde ich dagegen bereits jetzt, dass die maßgeblichen technischen, ökonomischen und inhaltlichen Prinzipien im Digitalen Medienwandel ausschließlich aus den Vereinigten Staaten zu kommen scheinen. Ob das der richtige Schluss aus dem Überwachungshandeln der NSA ist?

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sorry, aber wenn bezoz ein neues Zeitalter des investigativen Journalismus einläutet, dann gute Nacht! War es nicht Amazon, die als erste im vorauseilenden Gehorsam gegenüber der paranoiden US-Meute die wiki-leaks server abgeschaltet haben?

Ich finde die Antwort von Greenwald auf das Friedrichs-Zitat sehr gut. Arrivierter Journalismus versteckt sich gerne hinter einer Maske von Neutralität – das verleiht Glaubwürdigkeit und verschleiert, dass sehr wohl eine bestimmte Weltsicht vertreten wird. Natürlich bemüht sich guter Journalismus ehrlich um ausgewogene Berichterstattung, das bestreitet wohl niemand. Das heißt aber nicht, dass alle so tun sollten, als hätten sie die Fähigkeit, ganz unberührt über den Dingen zu schweben.

Dass auch ein investigativer Journalist nicht die Hand beißt, die ihn füttert, ist zu erwarten. Aber wer weß, was dieser investigative corporate journalism noch so bringen wird. Ein Schreiber vom Team Red Bull wird wohl nie die Produktionsbedingungen und Inhaltsstoffe von Red Bull kritisch durchleuchten. Aber vielleicht macht das dann ja jemand vom Team Coca Cola :)

Diese Thesen werden so oft rumgereicht, dass ich sie kaum mehr glauben kann. Unbestritten: Medienwandel, Rezeptionsverhaltnesänderungen etc. Ebenso unbestritten: Die grossen Internetunternehmen haben kräftig Geld gemacht. Und zwar auf Kosten der traditionellen Medienunternehmen. Diese haben gespart. Folge: Leserverlust. Wie viele der Leser verloren gegangen wären, wenn die Medienunternehmen nicht gespart hätten, kann niemand sagen. Zudem: Die Methoden, mit welchen vor allem bei Printmedien Leserzahlen erhoben wurden, waren mehr als zweifelhaft (ich habe selbst solche Interviews geführt). Zwischenfazit: Das Lied vom Tod des tradtitionellen Journalismus ist mehr als disharmonisch. Dazu kommt, dass gerade die Medien, die kräftig investiert haben ihre Leserzahlen halten konnten (Economist, NYT, Guardian, deutsche Qualitätszeitungen teilweise). Klar, nur wenn man Digitalkanäle dazurechnet. Aber auf denen haben diese Zeitungen auch nicht viel mehr gemacht als klassischen Journalismus. Vielleicht punktuell (der Guardian eher mehr) offenen Bürgerjournalismus gefördert, aber der Grossteil der konsumierten Artikel ist Journalismus der alten Schule. Diese Thesen, die nicht wirklich belegt werden, öden mich an. Klar bestelle ich eine Zeitung ab, wenn sie ihren Umfang kräftig reduziert. Aber das heisst doch nicht, dass ich ihre einstigen Qualitäten nicht geschätzt habe. Und dann frage ich mich natürlich schon auch, wie naiv man sein kann, wenn man glaubt das Internetunternehmer Medienhäuser aus philantropischen Gründen übernehmen, beziehungsweise neu gründen. Sie sind diejenigen, die als erste begriffen haben, dass das Internet gefüttert werden muss. Sie haben nämlich ursprünglich davon profitiert, dass irgendjeman anders Inhalte produzier hat, die die Menschen im Internet bei ihren Shoppingtripps mal kurz unterhalten haben – oder ihnen kurz das Gefühl gaben, doch nebenbei auch noch etwas sinnvolles zu tun. Jetzt, wo die Inhaltslieferanten zu zerbrechen drohen, springen sie ein, um den Kreislauf aufrecht zu erhalten. Das ist nur logisch. Anzeichen für eine grosse Revolution sehen ich bei der grossen Mehrheit der Medienkonsumenten überhaupt nicht.

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