Kontext ist alles: Für sein Currency-Experiment zerstört Damien Hirst seine Kunstwerke

Die Referenz vorweg.

Wenn der britische Künstler Damien Hirst im September Kunstwerke seines Projekts „The Currency“ in seiner Galerie in London zerstören wird, wird in jedem Fall ein Hauch von The KLF in der verrauchten Luft hängen. Am 23. August 1994 wurden nämlich schon mal Werte im Sinne der Kunst zerstört: Bill Drummond und Jimmy Cauty verbrannten eine Million Pfund, die Einnahmen, die sie mit ihrer Band The KLF erwirtschaftet hatten – im Rahmen einer Kunstaktion, die bis heute einmalig ist.

Hirst lehnt sich nun an die unerreichten Pop-Prankster Cauty und Drummond an, indem er sich der Kunst als Währung nähert. Vor einem Jahr hat er ein Experiment angekündigt, das mit realen Kunstwerken und deren digitalen Beipackzetteln spielt. The Currency ist ein Kunst-NFT-Test: Hirst hatte im Jahr 2016 10.000 einzigartig gepunktete Ölgemäde erstellt und diese mit NFTs verbunden. Hirst gab seinem Publikum die Möglichkeit, für je 2000 Dollar ein NFT zu jedem Kunstwerk zu erwerben. Anschließend hatten sie die Gelegenheit, dieses NFT gegen das reale Gemälde zu tauschen. Die Herausforderung: Hirst verlangt eine entweder-oder-Entscheidung.

Die Käufer:innen können also entweder das NFT behalten oder das reale Kunstwerk – denn Hirst wird das jeweilige Gegenstück im September zerstören. Heute ist die Tauschfirst abgelaufen, wie man auf der Website der Firma Henni sehen kann, für die das Projekt nebenbei auch Werbung macht:

CHOOSE YOUR CURRENCY
DECIDE BETWEEN THE DIGITAL NFT OR THE PHYSICAL ARTWORK

Each of the 10,000 unique NFTs corresponds to an original work on paper by Damien Hirst. The collector has to decide between the digital NFT or the physical artwork, but can not keep both. This exchange is a one-way process, so choose carefully.

You have until 3pm British Summer Time, 27th July 2022 to decide to keep either the digital NFT or the physical artwork. If you have not exchanged your NFT in that period, then the physical artwork will be destroyed. Similarly, if you have exchanged it in that period, the NFT will have been burned.

Vor einem Jahr hatte Hirst in diesem Interview seine Neugier beschrieben, die ihn zu dem Experiment brachte: Was wird das Publikum bevorzugen? Die NFTs oder die Gemälde?

Jetzt ist das Ergebnis da (das reale Kunstwerk hat knapp vor dem NFT gewonnen: 5,149 Gemälde zu 4,851 NFT) – und man kann daran illustrieren wie Wertzuschreibung (nicht nur) in der Kunst funktioniert: über Kontext. Dass Menschen vor die Mona Lisa im Louvre treten, liegt weniger an dem Gemälde in Paris als an der Tatsache, dass Menschen vor die Mona Lisa treten. Wertzuschreibung ist soziale Konstruktion. Ich habe das hier schon mal am Beispiel von Paolo Veronese und seiner Hochzeit von Kanaa illustriert. NFTs legen offen, was ich im Lob der Kopie beschrieben habe: Original und Kopie sind keine objektiven Kriterien, sondern Zuschreibungen und soziale Konstruktion.

Das aktuelle Hirst-Experiment illustriert darüber hinaus aber einen Aspekt, der in den Debatten um die so genannten Cancel Culture häufiger aufkommt: die Verknappung des Zugangs als Aufmerksamkeitstreiber. Bei der angeblichen Cancel Culture funktioniert dieses Prinzip über das Muster „etwas soll (vermeintlich) verboten werden und bekommt deshalb extra viel Aufmerksamkeit“, bei Hirst entsteht der Wertzuwachs genau dadurch, dass er Teile der Kunst tatsächlich zerstört.

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Ich interessiere mich seit vielen Jahren fürs Kopieren als Kulturtechnik – und habe deshalb 2011 das Buch „Mashup – Lob der Kopie“ zum Thema geschrieben.

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