Twitter, Hitler und die Transparenz

Die so genannte Frühkritik der FAZ im Netz mit dem Titel Ein Stück in vier Akten wurde heute selber zu einer Art Schauspiel zum Thema Kommunikation in Zeiten digitaler Transparenz – und das kam so:



Johannes Ponader, seit einer Woche politischer Geschäftsführer der Piraten, der es am Sonntag als barfüßiger Gast in der Rolle des bunten Vogels in der Jauch-Runde zu einiger Berühmtheit brachte, hat mit seinem Auftritt offenbar auch FAZ-Autor Frank Lübberding verwirrt. Jedenfalls hielt dieser es für angemessen, den „Gesellschaftskünstler“ Ponader mit einem anderen „Gesellschaftskünstler“ zu vergleichen, der aus einem Wiener Männer-Asyl den Weg in die Politik suchte.

Da der Vergleich im FAZ-Text nicht mehr enthalten ist, hier ein Tweet, der die Parallele dokumentiert:

Ponader war damit aus nachvollziehbaren Gründen nicht einverstanden. Er wandte sich fragend an FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher , der seit ein paar Wochen auf Twitter aktiv ist …

… und dann bewies, wozu die von den Piraten gepriesene Transparenz gut ist: zum Beispiel um Fehler einzugestehen. Er schrieb:

Der so angesprochene Ponader akzeptierte die Entschuldigung für die „unangemessene historische Anspielung“ wie die Online-Redaktion der FAZ den nach dem Schirrmacher-Tweet gelöschten Hitler-Vergleich nannte. Er ging sogar noch weiter und lobte Schirrmachers schnelle Reaktion als Beispiel für andere Politiker, die lernen wollen wie man mit Hilfe von Twitter kommuniziert.

Der Autor selber ging etwas anders mit der kurzen Debatte um. Er schrieb:

Auch die Leser der Frühkritik auf faz.net lies man vergleichweise ratlos zurück. Sie erfuhren lediglich von einer„unangemessenen historischen Anspielung“, die aber nicht näher ausgeführt wurde. Um sie im Original zu lesen, müssen sie auf Pastebin.com gehen, wo jemand den Text in seiner ursprünglichen Versionen veröffentlcht hat.

Aktualisierung In den Kommentaren wird darauf hingewiesen, dass der Autor der Frühkritik sehr wohl zum Thema diskutiert – allerdings nicht bei der FAZ, sondern auf wiesaussieht.de; und auch hier in den Kommentaren.

19 Kommentare

Lieber Dirk, die Lübberding-Reaktion stellst Du etwas verkürzt da. Er ist ja Teil des Autorenteams von Wiesaussieht und diskutiert da über seinen Text.
http://www.wiesaussieht.de/2012/05/07/wiedergangerei/

Ich denke, er hat das, was er seiner Aussage nach ausdrücken wollte, nicht rübergebracht, zudem ist die Denkfigur etwas schief. Dennoch halte ich Frank Lübberding für einen absolut integren Menschen, der keiner Debatte aus dem Weg geht (wohl aber blöden Shitstorms, die darin gipfeln, dass ein Twitter-Nutzer alle Läden, für die FL schreibt, antwittert und fragt, wie lange die ihn noch beschäftigen wollen).
Und ich bin im schon im Netz begegnet, da hat Schirrmacher es noch in seinem grünen Payback-Buch verteufelt.

Natürlich ist es für einen politischen Redakteur auf groteske Weise beschämend wenn ihm zur Kritik nichts anderes einfällt als eine völlig willkürliche, unmotivierte Hitler-Analogie. Aber das hat seinen Grund. Im Grunde hat der Pirat nicht viel mehr gesagt als dass der politische Streit zugunsten einer nationalen einheitsfront beigelegt werden soll. Probleme lösen für Deutschland usw. Worin unterscheidet sich das noch von den anderen Parteien oder auch der Blattlinie der „Zeitung für Deutschland“?
Gar nicht.
Deswegen ballert man jetzt mit solchen grotesken Dingern auf die „neuen“ bis man merkt, die sagen gar nichts neues und dann reiht man sie eben ein in die nationale Einheitsfront der hegemonialen Ideologie.

Ich will nicht wiederholen, was ich heute schon geschrieben hatte. Nein: Ich war nicht verwirrt … . Es ging um den Begriff des „Gesellschaftskünstlers“ im Kontext der Parteipolitik. Den halte ich für bemerkenswert – und eben nicht nur für eine Floskel. Nur darum ging es, um nichts anderes. Kann man für richtig oder falsch halten. Das ist halt Gegenstand der Debatte. Zum Zweiten ging es in dem Text um Inszenierung. Ponader ist ja nicht auf der Strasse als „bunter Vogel“ angesprochen worden, ob er gerade einmal Zeit hat. Er hat sich natürlich sehr gut überlegt, wie er dort auftreten will – und er weiß nach welchen Mechanismen solche Sendungen funktionieren. Er kommt vom Theater. Ihm muss man nicht erzählen, was eine Inszenierung ist. Nur sollte seine Botschaft natürlich eine andere sein: Authentizität versus die Inszenierungen der Berufspolitik, garniert mit flotten Sprüchen über einen „konstruktiven Dialog“, den man natürlich keinem Politiker sonst durchgehen ließe. Authentizität ist übrigens auch so ein schillernder Begriff.

Auf diese beiden Punkte wollte ich nur noch einmal hinweisen.

Vielen Dank für die Hinweise, die Debatte auf wiesaussieht.de war mir nicht bekannt. Ich habe sie oben ergänzt.

Ich bekenne aber: Schlauer macht sie mich nicht. Dort steht u.a. „natürlich war Hitler ein begnadeter Politiker, der Politik als Kunstform verstand, wo es eben nicht um den Inhalt ging.“ Mir ist und bleibt schleierhaft, mit welcher Intention man den Inhalt von Hitlers Politik ausblenden will und kann. Und ebenso schleierhaft ist mir, wie man das mit jemanden in einen Topf wirft, der sich barfuss in eine Talkshow setzt. Inszenierung hin oder her.

Das Problem mit Hitler ist doch bitteschön nicht die Inszenierung gewesen.

Wer blendet Hitlers Politik aus? Niemand. Muss man die noch erklären? Und hier wird auch nichts in einen Topf geworfen. Wenigstens nicht von mir. Wie es in anderen Töpfen aussieht, ist dagegen eine andere Frage.

Der Nebensatz „wo es eben nicht um den Inhalt ging“ bringt das Ausblenden, das ich in dem falschen Vergleich zu einem barfüssigen Talkshowgast mit Smartphone sehe, auf den Punkt

Versuchen wir doch einmal, den Begriff der Inszenierung, der auch in der jüngeren deutschen Politik nicht unbekannt ist (cf den heutigen Bundesverfassungsrichter Müller über den Bundesrat), genauer zu beschreiben:
Es gibt ein berechenbares Tableau durch die anderen Teilnehmer der Sendung und ihre politischen Positionen sowie ihren Kommunikationsstil. Es gibt die übliche Einheitskostümierung, die nur, wenn Rolf Hochhuth dagewesen wäre oder dieser Herr Precht, geringfügig variiert worden wäre. Für das ästhetische Markenzeichen der Piraten stand bisher mit Marina Weisband ein anderer Chic, den ihr Nachfolger für sich nicht adaptieren wollte, wenngleich das durchaus auch möglich gewesen wäre. Sagen wir, er hat die Medienreaktionen auf die Vereidigung Joschka Fischers in Wiesbaden genau studiert.
Unter der Hitze der Studioscheinwerfer war Ponader overdressed, es muss ihm ganz schön heiß gewesen sein. Das fuhr er, soweit das möglich ist, über die nackten Füße ab.
Seine erste Botschaft durch die genau bedachte Kostümierung ein Abklatsch des bekannten Rimbaud-Zitats. „Denn Ich ist ein anderer.“ Ein Versprechen, das symbolisch das Jauch-Publikum augenblicklich versteht. Politisch ist das Kostüm noch leer.

Dann kommt der übliche Ablauf der Talkshow. Da bleibt nichts dem Zufall überlassen. Denn was passiert an diesem Abend vor und hinter der Kulisse? Ponader twittert an seine Follower und nutzt den Hashtag #Jauch dafür, ein Gegenbild ins Studio zu holen, das dem Fernsehzuschauer verborgen bleibt, weiß gewissermaßen Legionen hinter sich, was übrigens der entscheidende Grund dafür sein dürfte, dass Jauch sich angekratzt fühlte. Er war so nicht mehr Gastgeber oder Herr im Hause Gasometer, sondern degradierte selbst zur Figur, über die gespottet wurde.

Schließlich die einfallslose Diskussion der üblichen Verdächtigen, die sich offenbar in Vorbereitung auf den Abend nicht mit Legitimationsproblemen und Performanzen der amtierenden Politik beschäftigt hatten, sondern sich lustig in alter Manier stritten.

Und dann ist da dieser Gesellschatfskünstler, der der Flickschusterrunde das unerfreuliche Spiegelbild aus der Tiefe des Netzes entgegenhielt. Das dürfte Jauch vollends auf die Palme gebracht haben, weil in der Sekunde die gesamte Dramaturgie seines eigenen Sendekonzepts umgedreht war.

Was ist die Folge? Mir ist das TV-Format egal. Es ist tatsächlich grotesk überholt. Die Immobilie kann anders bespielt werden. Ponader hat an diesem Abend aber für die Piraten einen Pyrrhus-Sieg eingefahren. Seine Kalkulation schoss über das Ziel hinaus. Die in Frage gestellte politische Legitimität repräsentativer Politik selbst kokelt vor sich hin. Dabei sagen die Piraten doch eigentlich, sie wollten nur die Verfahren verbessern und die Weisheit der Massen da draußen besser beteiligen. Als Feuerwehr?

Hitler ging es nicht um Inhalte. Er bewegte sich gerade nicht in der programmatischen Tradition der deutschen Rechten wie der DNVP und anderer Monarchisten, sondern saugte wie ein Schwamm alles an Stimmungen auf, was in der Weimarer Republik rechts von der Soziademokratie und außerhalb der klassischen Milieus des Zentrums zu finden war. Dabei bediente er sich sogar bei den Organisationskonzepten der Sozialdemokratie, wenn es ihm in den Kram passte. Oder kopierte die Medienstrategie der Kommunisten wie Münzenberg. Hitler war vor allem eine Projektionsfläche geworden, wo jeder Deutsche das finden konnte, was er suchte – und in der Weimarer Republik nicht fand. Erst dadurch konnte er die NSDAP auch zu einer Partei machen, die die das deutsche Parteiensystem bis dahin dominierenden Milieustrukturen überwand. Hitler war ein Opportunist, der nur an einem Punkt seine Grenze fand: Wo sein Führungsanspruch in Frage gestellt wurde. Gerade die durch und durch rationalistische SPD mit ihren bürokratisierten Apparaten konnte diesem „lebensweltlichen“ Impuls der Sammlungsbewegung auf der Rechten kaum was entgegensetzen. Sie war programmatisch widersprüchlich und zugleich auf die klassischen Beteiligungsformen parlamentarischer Demokratie festgelegt. Von der aber immer weniger Leute etwas wissen wollten. „Schatzbude“ war so ein klassisches Argument. Ich empfehle ansonsten Carl Schmitt als intellektuellen Vordenker des Antiparlamentarismus.

So war dieser Satz gemeint. Das ist allerdings eher historisches Basiswissen.

Mein historisches Basiswissen über Hitler-Vergleiche ist dies: sie scheitern stets, weil trotz wortreicher Erklärung zwei Probleme bleiben: die Verharmlosung der Gewaltverbrechen der Nazis sowie der allein deshalb unangemessene Angriff auf das Objekt des Vergleichs .

In dem Fall würde ich Sebastian Haffners „Anmerkungen zu Hitler“ sofort auf den Index stellen. Wer verharmlost die Verbrechen der Nazis? Die sind bekannt. Das setze ich wenigstens voraus. Verharmlosung findet in dem Fall statt, wo man die Nazis versucht zu legitimieren oder sich positiv in diese Tradition setzt. Aber nicht, wenn man ihren Erfolg oder ihre Funktionsbedingungen erklärt. Und die Nazis waren nun einmal eine Antwort auf die Widersprüche moderner kapitalistischer Gesellschaften gewesen. Oder wollen wir jetzt Franz Neumanns „Behemoth“ auch gleich auf den Index setzen?

Man kann mich meinetwegen auch mit Josef Stalin vergleichen, wenn man mich nicht mit Josef Stalin gleichsetzt. Also ich sei etwa ein potentieller Massenmörder nach meiner Machtübernahme … . Wer also Stalins ökonomische Schriften (waren natürlich sein Ghostwriter) und meine ökonomische Analysen etwa über den Euro vergleicht, mag darin einen Zusammenhang finden. Offenkundig ist die Kritik der politischen Ökonomie bei beiden Autoren von einer gewissen Bedeutung. Das ist natürlich absurd, nicht wahr? Aber ich kann über die ökonomische Debatte in der Sowjetunion (etwa Bucharin gegen Preobraschenski) in den 20er Jahren reden (und mit allem Möglichen vergleichen, wenn es plausibel ist), ohne jetzt den „Großen Terror“ nach 1934 in einen unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Debatte zu setzen. Den gibt es erst einmal nicht. Aber ich kann natürlich auch solche Vergleiche als „Verharmlosung der Gewaltverbrechen Stalins“ betrachten. Oder jetzt darüber räsonnieren, ob man denn die „Gewalterbrechen Stalins“ und die „Gewaltverbrechen Hitlers“ vergleichen darf. Natürlich darf man die vergleichen. Nur kann man sie von ihrer Struktur her gleichsetzen? Über diese Frage denken Historiker seit 60 Jahren nach.

Ich kenne Luebberding seit langem als integren, geistreichen Autor. Die Art, wie er diesen Vergleich gebracht hat, halte ich für ungeschickt, aber nicht skandalös. Diesen Begriff möchte ich eher auf einen großen Teil der Reaktionen auf seinen Beitrag anwenden. Dass das Netz ein schnelles Mediium ist wissen wir. Aber Niemand sollte schneller schreiben als er rezipieren und darüber nachdenken kann.
Dass Schirrmacher per ordre de mufti sich entschuldigt hat finde ich nur dann hinnehmbar, wenn er hinzugefügt hätte: Luebberding hat leider das Auffassungsvermögen seines FAZ-Publikums überschätzt. Denn wer genau hinsieht erkennt schnell dass dies kein Hitlervergleich war.

Das mit dem Index ist doch Unsinn. Ich will Ihnen doch Ihre falschen Vergleiche nicht verbieten. Ich will lediglich sagen, dass ich sie für falsch und einer Zeitung wie der FAZ nicht angemessen finde.

@Hütt @luebberding bzgl. Äußerem/Kostümierung von Johannes Ponader. Wenn Sie sich die Mühe gemacht hätten, auch nur etwas zu recherchieren, wäre Ihnen vielleicht aufgefallen, dass Herr Ponader immer so rumläuft. Im Piratorama Stream am Samstag z.B. hatte er bereits die gleiche Kleidung an. Somit werfen sie ihm vor, dass er sich inszeniert indem er sich nicht inszeniert, weil er wagt, sich nicht für Herrn Jauch in Schale zu werfen.
Ihrem Denken folgend, müssten Sie ihm jetzt somit Ungepflegtheit oder abermals seine Armut vorwerfen. Bitte fahren sie fort, ihre Menschenverachtung in pseudo-intellektuelles Geschwätz zu kleiden.

[…] wird. Dabei schlägt er den Bogen von Michael Seemann und Jens Best über Christian Heller und Johannes Ponader bis zu Sascha Lobo und den Samwer Brüder. Sie alle sind Ausweis für die Schlechtigkeit Berlins: […]

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