Realität und Gesetze

Die Frankfurter Rundschau hat die Verleger Peter Haag, Michael Krüger und Jo Lendle zu einem Interview über die Digitalisierung gebeten. Ich bin (mit leichter Verspätung) via Twitter auf das Gespräch aufmerksam geworden, das aus so vielen Gründen entlarvend und interessant ist, dass ich gar nicht weiß, womit man anfangen sollte.

Deshalb nehme ich einen Randaspekt heraus, der auf Seite fünf des auf acht Seiten verteilten Gesprächs beginnt. Hier arbeiten sich die drei Verleger daran ab, wie realitätsfern die Piraten in Bezug aufs Urheberrecht doch argumentieren. Anschließend fordert Michael Krüger sozusagen selber eine Ferne zur Realität, wenn er mit Blick auf das Urheberrecht sagt:

Aber die „Normativität des Faktischen“ darf nicht Maßstab für Gesetze werden.

Diese Forderung schließt er an das Eingeständnis an, dass es stimmen mag, „dass wir die illegalen Downloads nicht lückenlos verfolgen und sanktionieren können“. Daraus solle man aber eben keine Schlüsse für das Urheberrecht ziehen, so Michael Krüger.

Ich greife diesen Punkt heraus, weil auch der Jura-Professor Axel Metzger ihn unlängst thematisierte. Wie Krüger beschreibt Metzger eine Situation, in der Rechteinhaber eine Rechtsnorm faktisch nicht mehr durchsetzen können – „in den meisten Fällen, weil man an die Leute nicht rankommt“. Anders als Krüger zieht er aber daraus nicht den Schluss, dieser Realität den Weg zum Gesetzgeber zu versperren. Metzger fragt vielmehr:

Ist es weise, wenn wir weiter versuchen, die Daumenschrauben anzuziehen und Urheberrechtsregelungen zu verschärfen? Oder ist es nicht eher so, dass man pragmatisch sagen muss: Bevor die Akzeptanz des Urheberrechts völlig verloren geht bei der Generation der 15- bis 30-Jährigen, lasst uns Druck aus dem System rauslassen, das Ventil muss geöffnet werden, es müssen eben Pauschalvergütungssysteme her!

Auch im Interview mit den Verlegern kommen solche Paschalvergütungssysteme zur Sprache. Auf Seite acht bringt Jo Lendle das Thema Kulturflatrate als Ausgleich für Erlöse auf, „die den Urhebern durch das Filesharing im Netz entzogen werden.“

Dieser Gedanke kann sich in dem Gespräch jedoch gar nicht entfalten, weil Peter Haag ihn – ohne die Idee einer Pauschalvergütung verstanden zu haben – mit historischer Wucht als realitätsfern abtut. Er behauptet, die Kulturflatrate habe zur Folge

… dass Künstler nicht mehr von ihrer Arbeit leben könnten, sondern von der Gesellschaft ausgehalten werden müssten. Damit sind wir dann wieder beim feudalistischen System. Wollen wir vielleicht, dass die Künstler und Wissenschaftler wie früher von der Kirche oder den Landesfürsten abhängig sind?

Das kann – natürlich – niemand wollen. Darum geht es einer Kulturflatrate aber auch nicht. Wie die Leermedienabgabe, die (soviel zum Thema Realität und Gesetze) bereits heute praktiziert wird, ersetzt eine digitale Entsprechung (eine pauschale Zahlung zum Beispiel über den Provider) natürlich nicht die direkte Vergütung für ein erworbenes Werk. Sie lässt vielmehr Druck aus dem Kessel, wie Axel Metzger es formuliert, und macht Schluss mit der Kriminalisierung einer alltäglichen Tätigkeit.

Denn hätte Peter Haag mit seiner Behauptung in Bezug auf die Pauschalvergütung Recht, würde das ja bedeuten, dass die Vergütung eines Buches schon heute einzig über die Kopierabgabe erfolgt, die man z.B. beim Erwerb eines Papierkopierers entrichten muss.

Das kann nun wirklich niemand wollen.

Die Leermedienabgabe ist eine Ergänzung, kein Ersatz zum klassischen Vergütungsmodell. Und vor allem: sie ist bereits Realität!