Nicht für die Schule, sondern fürs Leben

Fünf Milliarden Euro will Bundesbildungsministerin Wanka für einen „Digital-Pakt zwischen Bund und Ländern“ zur Verfügung stellen, der deutschen Schulen bis 2021 WLAN und Computer bringen soll. Was manchem als überfällig, aber mindestens notwendig erscheint, ist für Josef Kraus ein großer Fehler. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes hat sich in einem Interview zu den Digital-Plänen geäußert und seine Bedenken vorgetragen.

Foto: Unsplash/Roman Mager
Foto: Unsplash/Roman Mager

Es lohnt sich, das Interview genau zu lesen, weil es nicht nur Besitzstandswahrung eines Funktionärs, sondern vor allem ein Symbol dafür ist, welche Haltung in diesem Land zu (technischen) Veränderungen vorherrscht. In dem Interview zeigt sich beispielhaft, warum man über den rechten Gebrauch von Smartphones große Diskussionen erzeugen kann. Denn was neu und anders ist, sorgt bei Menschen wie Herrn Kraus nicht für Neugier oder Interesse, sondern führt einzig zu Ablehnung, auf Basis dessen, was sie ohnehin schon wissen:

„Die Digitalisierung der Klassen würde die bei den Schülern ohnehin vorhandene Neigung zum Häppchenwissen noch verstärken. Es leidet die Konzentration. Es leidet das Lesevermögen und die Diskursfähigkeit.“
(…)
„Viele lesen gar keine Bücher mehr. Bücher sind Wissen ohne Verfallsdatum.“

Mal abgesehen davon, dass Josef Kraus hier quasi nebenei eine wunderbare Definition für eBooks liefert („Wissen ohne Verfallsdatum“), zeigt diese Aussage vor allem dies: In seinem Urteil verlässt sich Herr Kraus so weitgehend auf die Vergangenheit, dass er die Gegenwart vollkommen ausklammern kann.

Darüber könnte man sich nun sehr intensiv und sehr zurecht aufregen. Man könnte und müsste anprangern, dass und wie der Präsident des Lehrerverbandes hier seine eigene Vergangenheit zum Maßstab für die Zukunft der Schülerinnen und Schüler – und damit auch unseres Landes – erhebt. Das wird aber vermutlich zu keinem Ergebnis führen, Menschen wie Herrn Kraus womöglich sogar noch in ihrer Ablehnung bestärken.

Deshalb will ich umgekehrt an die Vorbildfunktionen von Lehrerinnen und Lehrer in diesem Land appellieren: „Erziehung ist Vorbild und Liebe und sonst nichts“ hat Friedrich Fröbel mal gesagt. In diesem Sinne würde ich mir, den Schüler*innen und dem ganzen Land Lehrer*innen (und Präsidenten) wünschen, die sich als (digitale) Vorbilder verstehen: Menschen, die ihren Schüler*innen zeigen, wie ein verantwortungsvoller Umgang mit (digitalen) Neuerungen geht. Menschen, die das Unbekannte nicht als falsch ablehnen, sondern sich ihm offen nähern, um herauszufinden was gut und schlecht daran ist. Denn womöglich kann man mit Laptop und Internet im Klassenzimmer Bücher lesen, ohne dafür Papier zu bewegen!

Wer vorher schon alles zu wissen glaubt, hat in Wahrheit gar keine Ahnung. Wer sich jedoch kulturpragmatisch auf die Welt einlässt, kann fürs Leben lernen – und sich fürs lebenslange Lernen wappnen. Genau das sollte Schule im besten Fall leisten – ob mit oder ohne WLAN ist dabei zunächst egal (sieht man ja gerade an vielen Schulen).

Wer aber wie Herr Kraus der Welt seine Meinung von gut und schlecht überstülpt und behauptet, „die vis-à-vis-Kommunikation ist immer besser, als auf dem Schulhof nebeneinanderzusitzen und sich gegenseitig WhatsApp-Nachrichten zu schicken“, beweist damit nur, dass es ihm nicht um Neugier und Interesse am Morgen geht, sondern einzig darum, die Wahrheiten des gestern zu sichern. Das kann man machen, aber wenn es eine Fähigkeit gibt, die einen Lehrer oder eine Lehrerin auszeichnen sollte, dann doch dies: Interesse an der Zukunft haben!

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Mehr zum Thema Kulturpragmatismus in den Digitalen Notizen.

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2 Kommentare

Das muss nicht einmal der Präsident eines Verbands aus dem Jahre 1949 sein. Eine neue Kollegin (frisch von der Uni) meiner Schwester (33) macht ihre „Präsentationen“ immer noch auf dem Tageslichtprojektor und hat auch die gut gemeinten Ratschläge, die neueren Mittel (die diese Schule glücklicherweise hat) zu nutzen, gescheut. Das finde ich noch bedenklicher, als die Sichtweise des Präsidenten, weil es bei ihm immerhin leicht ist, das auf seine Lebensjahre zu schieben. Und sie ist kein Einzelfall, nicht einmal an der Schule.

Die Erzählungen spiegeln dasselbe Muster wider, wie es einer von wenigen guten Lehrern an meiner damaligen Schule darstellte: 10 von 100 Lehrern waren in seinen Augen brauchbare Lehrer im Sinne von Kompetenz, Vorbildfunktion, Denkansätze, Erziehung. „Und das ist schon ein sehr hoher Prozentsatz … an meiner alten Schule waren es vielleicht drei oder fünf von 100“

Die Erzählungen (von Lehrern) und Fakten, die ich kenne, legen nahe, dass es auch den meisten Lehrern eher um Ego, Stolz und Verbeamtung/Arbeitsplatz als um die Sinnhaftigkeit eines Lehrers – und was er darstellen sollte – geht.

Der Appell ist gut und gutgemeint, doch ich denke, dass Du damit nur die erreichst, die ohnehin schon den Job besser machen als die meisten. Aber immerhin werden diese in ihrer Arbeit bestätigt.

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