Journalistisches Freibier

Ich glaube nicht an die Umsonst-Kultur. Wenn die Medien alles verschenken, zerstören sie sich selbst. Eine Brauerei, die jeden Tag Freibier anzapft, kann zwar abends damit prahlen, dass sie viele Hektoliter unters Volk gebracht hat, aber das Ende dieser Firmenpolitik ist klar: Das Volk ist betrunken und die Brauerei pleite.

Im aktuellen Kress-Report gibt es ein Interview mit Gabor Steingart, dem neuen Chef vom Handelsblatt. Darin spricht er von der vielzitierten Umsonstkultur und bringt auch den Begriff des „Verschenken“ ins Spiel.

Nicht nur, weil ich gerade diese Woche darüber schrieb: Ich glaube diese Analyse ist kontraproduktiv. Es ist dringend notwendig, neue Erlösmodelle für verlegerische Angebote im Netz zu entwickeln. Vermutlich wird das aber so lange nicht gelingen, wie dieses Missverständnis der Umsonst-Kultur im Raum steht – wie übrigens Marcel Weiss ebenfalls diese Woche aufgezeigt hat.

Mir ist niemand bekannt, der an diese Umsonst-Kultur glauben würde. Die gibt es nämlich nicht. Es ist vielmehr eine Kultur, die auf anderen Finanzierungsmodellen beruht als die klassische Bezahlkultur. Das zitierte Freibier ist im Netz nämlich nicht umsonst. Es ist werbefinanziert. Ein Sponsor verschenkt es und die Brauerei (zum Beispiel die USA-Today) glaubt, damit mehr einzunehmen als würde sie das Bier verkaufen – zum Beispiel deshalb weil mehr Leute an den Bierstand kommen, als wenn es sich um einen Stand handelte, an dem man auf klassischem Weg bezahlt.

Ich bin kein Wirtschaftsexperte. Ich kann nicht beurteilen, welche Modelle tragen und welche nicht. Ich kann aber sehen, dass auch die Begrifflichkeit des Verschenkens nicht ganz richtig ist. Denn dies setzt – so definiert Wikipedia – die

freiwillige Übertragung des Eigentums an einer Sache oder an einem Recht an einen anderen, ohne eine Gegenleistung

voraus. Ist das im Internet so? Wird mir der Zugang zu zum Beispiel einem Text ohne Gegenleistung ermöglicht? Oder ist es nicht vielmehr so, dass die Freibier-Brauerei beim Ausschank sagt: „Du kriegst das Bier nur, wenn du dafür … diese Werbung anschaust, diese Google-Ads akzeptiert und vielleicht sogar anklickst“? Besteht also die Gegenleistung nicht gerade darin, dass neben dem Text Werbung angezeigt wird und ich direkt darunter eine Versicherung abschließen kann? Damit ist keine Leistung im klassischen Sinne beschrieben, aber davon zu sprechen, der Leser erhalte das journalistische Freibier gänzlich ohne Gegenleistung, erscheint mir (rein sprachlich) auch nicht ganz korrekt. Vor allem: Weil diese Gegenleistung für manche Medien auszureichen scheint, um darauf ein Geschäftsmodell aufzubauen.

Ich halte dies gar nicht mal aus wirtschaftlichen Erwägungen für interessant, sondern aus sprachlichen: Ähnlich wie die falsche Rede vom Diebstahl zeigt die vermeintliche Kostenlos-Kultur, dass es an den sprachlichen Mitteln fehlt, die Veränderungen der Digitalisierung zu fassen (siehe dazu zum Beispiel diesen und jenen Text). Vielleicht ist es tatsächlich so, dass wir die Revolution, die das Internet angestoßen hat, erst dann produktiv nutzen können, wenn wir Begriffe gefunden haben für das, was sich gerade verändert.

7 Kommentare

dem kann ich eigentlich nur zustimmen. man müsste eine völlig neue „bezahl“kultur für im internet angebotene dienstleistungen etablieren – die eben nicht mehr viel mit unsererm heutigen bezahlen zu tun hat. das strikte „meine dienstleistung kostet x €“ müsste man lockern, in z.B. „meine dienstleistung kostet nichts. aber als aufgeklärter internetnutzer weißt du, dass mich meine arbeit geld kostet. also klick bitte den flattr-button.“

In den ersten Jahren des Kinos hat folgendes gemacht: Man hat eine Kamera in eine Theatersaal gestellt und Aufführungen abgefilmt. Das war damals eine Selbstverständlichkeit. Film war Schauspiel und Photographie. Es hat mehrere Jahre gedauert, bis jemand auf die Idee gekommen ist, die Kamera zu bewegen. Heut ist der Kameraschwenk eines der wichtigsten eigenständigen Stilmittel des Films überhaupt.

Das habe ich von Marshall McLuhan gelernt.

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