Piraten im Spiegel

Wer wissen will, wie sich unser Beruf gerade verändert, muss nachlesen, was Marina Weisband in ihrem Blog und Merlind Theile im Spiegelblog schreiben. Thema der Auseinandersetzung ist eine Die gute Fee betitelte Geschichte aus dem aktuellen Spiegel, von der ein Anreißer auf Spiegel-Online zu finden ist.

Kern der Debatte ist die Frage, ob Zitate so gesagt wurden wie sie der Spiegel gedruckt hat oder nicht.

Im Randbereich dieser Auseinandersetzung steht aber eine für Journalisten erstaunliche Frage: die Arbeitsweise von Merlind Theile ist plötzlich Gegenstand einer öffentlichen Debatte. Die, die bisher über andere berichteten, werden plötzlich selber zum Gegenstand der Berichterstattung. Plötzlich müssen sie sich erklären.

Wobei das Wort plötzlich hier natürlich völlig falsch ist. Denn die Rede davon, dass sich Autoritäten neu begründen müssen (fragen wir mal bei Lehrern oder Ärzten nach) ist ja keineswegs plötzlich über uns gekommen. Der Fall der Piraten im Spiegel ist lediglich das vermutlich erste große Beispiel für das, was Stefan Niggemeier Ende September in seinem Beipackzettel zum SPIEGELblog so beschrieb:

Ich glaube, dass kein Medium heute mehr so tun kann, als sei es unangreifbar. Im Gegenteil: Es muss sich angreifbar machen. Journalisten müssen vom Podest heruntersteigen, zugänglich werden und mit ihren Lesern ins Gespräch kommen. (…) Ein Medium wie der »Spiegel« kann seine Autorität heute nicht mehr dadurch beweisen, dass es aus der Position des Wissenden Behauptungen aufstellt.

Merlind Theile hat sich heute jedenfalls einen Twitter-Account angelegt (UPDATE nach mehrfachem Hinweis auf Twitter: der Account existiert schon länger, musste gestern aber von der Redaktion überprüft werden.) und zu den Vorwürfen Stellung bezogen. Das ist gut, wenngleich es die relevanten Fragen nicht umfassend beantwortet.

Weisband sagt so, Theile sagt so.

Wessen Version näher an der Wahrheit ist, bleibt (man kann die Kommentare in beiden Blogs in großer Zahl nachlesen) Stoff für Spekulationen, die sich aus Mangel weiterer Dokumentation auf die Intentionen der beiden Akteure beziehen. Das ist wiederum für beide Diskutanten kein gewinnbringendes Feld.

Völlig egal, wie die Debatte ausgeht, sicher ist schon jetzt, dass journalistisches Arbeiten nicht hinter diesen Punkt zurückgehen wird. Journalisten, die die Aufmerksamkeit ihrer Leser erlangen und erhalten wollen, müssen mehr als bisher begründen, warum sie arbeiten wie sie das tun. Sie müssen mehr als bisher transparent machen wie sie arbeiten, dokumentieren woher sie Zitate haben und auf welche Quellen sie sich stützen. Dass das einfacher klingt als es in Wahrheit ist, hat Stefan Niggemeier in seinem Beipackzettel in Bezug auf diejenigen beschrieben, die

jahrzehntelang bestens damit gefahren (sind), sich nicht zu erklären, sondern die Haltung auszustrahlen: Unsere Arbeit spricht für sich selbst.

Um herauszufinden, was dieses transparentere Arbeiten bedeutet, muss man sich lediglich vorstellen, welche Wendung die Debatte nehmen würde, könnte eine der beiden Diskutantinnen eine Tonaufnahme aus dem Münsteraner Cafe präsentieren.

Merlind Theile beendet ihren Blogeintrag mit einem unnötigen Seitenhieb ausgerechnet auf die Transparenz-Bemühungen der Piraten:

Die Piraten dagegen wollten Transparenz, das heißt auch: Ein Politiker sagt, was er denkt und steht dazu. Kein Abwägen der Worte, keine Schreibverbote. Dass Marina Weisband und viele andere Piraten inzwischen dazu übergegangen sind, ihre Sätze im Nachhinein ebenfalls absegnen oder gar korrigieren zu wollen, zeigt, wie stark sich die Partei inzwischen den Regeln des etablierten Systems angepasst hat. Das ist zwar schade, aber in gewisser Weise nachvollziehbar.

Mal abgesehen davon, dass es für den aktuellen Fall völlig unerheblich ist, bezieht sich die vermutlich wichtigere Schlussfolgerung aus diesem ganzen Fall gar nicht auf die Piraten, sondern auf Journalisten: Sie werden künftig zu einem transparenteren Arbeiten angehalten sein.

Mehr zu dem Thema bei Sueddeutsche.de, stern.de, Meedia – und in Kathrin Passigs Facebookstream.

34 Kommentare

Journalisten sollten aufhören sich mit diesem egozentrischen, neoliberal gehirngewaschenen Nullaussage-Piraten-Kindergarten zu beschäftigen. Damit wäre schon mal ein großes Problem gelöst, und vernünftige Gestalter des digitalen Wandels könnten sich wieder auf ihre Arbeit konzentrieren, statt sich ständigen von diesen Piraten-Äffchen distanzieren zu müssen.

justmyangry2cents

In der Tat: Was fehlt ist die Tonaufnahme. Der Verzicht darauf ist ein journalistischer Anfängerfehler. Ich selbst erlebe es übrigens zunehmend häufiger, dass zwei Aufnahmegeräte Interviews aufnehmen – und nur eins davon ist meins.

Für Journalisten wird die Arbeit noch schwieriger werden als zuvor schon. Die Stellen werden weniger, die Bezahlung der „Freien“ schlechter, die Anforderungen an den „Output“ damit höher. Bei dieser Ausgangslage braucht es nicht viel Grips, um sich auszurechnen, dass die Zeit, die für Recherche und Dokumentation übrig bleibt, pro Artikel knapper wird. Das ist natürlich insofern ungünstig, als gleichzeitig noch die Möglichkeiten anderweitiger Berichterstattung und Verbreitung von Nachrichten zunehmen. Wie man da wieder rauskommt? Journalisten besser bezahlen, mehr einstellen, sich weniger vom Internet treiben lassen (den Wettlauf gewinnt man sowieso nicht) und mehr auf wirkliche Qualität und Reflektion setzen.

Aus unbestätigten Quellen habe ich gehört, dass Merlin Theile gerade extreme Probleme in ihrer Beziehung habe und deshalb auch etwas durch den Wind sei,was sich offenbar auch auf ihre Arbeit auswirke. Weiß jemand mehr?

Zwei Aspekte: Die Forderung nach möglichst lückenloser Dokumentation wäre natürlich auch ein Eingriff in die Pressefreiheit. Denn Quellen wollen gerade bei brisanten Themen oft nicht genannt werden.

Zum zweiten: Tonaufnahmen sind kein Allheilmittel. Erstens hemmen sie den Gesprächspartner, zweitens vermitteln sie die falsche Botschaft, dass alles ganz im Sinne des Interviewten veröffentlicht wird. Das wäre jedoch in vielen Fällen kein Journalismus, sondern PR.

Und wenn man ein Interview Mal komplett abschreibt, kann man sich die Stücke rausfischen, die einem grade passen. Ein Puzzle. Niemand spricht im Dialog wirklich konsistent, oft lassen wir sogar eine wichtige Verneinungen weg und keiner der Gesprächspartner merkt es. Aufzeichnungen ändern am Problem nicht wirklich viel.

Autoritäten in Frage zu stellen, ist grundsätzlich eine gute Sache. Und wenn Arbeitsprozesse transparent werden, habe ich da auch nichts dagegen. Ich fürchte nur, dass diese Diskussion sich schnell in die Richtung „Die Journalisten schreiben immer nur, was ihnen passt“ entwickelt. Und da fühle ich mich als Journalist angegriffen. Meine Aufgabe ist es nicht, Verlautbarungen eins zu eins wiederzugeben, meine Aufgabe ist es, einzuordnen, zu interpretieren, einen Blick von außen zu formulieren. Ich fürchte, wenn jedes Zitat abgesegnet wird, verunmöglicht das diesen Blick von außen eher.
Ich will gar nicht in das Horn tröten, dass Autorisiserungen grundsätzlich etwas Böses seien – Autorisiserungen können helfen, Missverständnisse zu vermeiden, sie können auch eine entspanntere Gesprächsatmosphäre schaffen, weswegen ich meinen Interviewpartnern eigentlich immer anbiete, über ihre Zitate noch einmal drüber zu schauen. Sollte es sich allerdings so entwickeln, dass es zwingend notwendig wird, Zitate zu autorisieren, weil, „Journalisten schreiben immer nur, was ihnen passt“, dann verkompliziert dies das Verhältnis zwischen Interviewer und Interviewtem.

(Was ich allerdings nicht verstehe: Wie konnte Theile so unprofessionell sein, das Gespräch nicht mitzuschneiden? Und: Soweit ich weiß, ist es beim Spiegel Hauspolitik, Autorisiserungen nur schriftlich vornehmen zu lassen, ein Telefonanruf „Das geht schon okay“ werde nicht akzeptiert. Weswegen dann hier?)

Ich finde es bemerkenswert dass die Spielpartnerinnen nicht geneigt sind aus ihrem Spiel Konsequenzen zu ziehen. Entweder ist das Ganze nicht der Rede wert (dann lohnt es sich nicht darüber überhaupt zu reden), oder es der Rede wert (dann wären Konsequenzen notwendig).

Beim Spiegel könnte man zum Beispiel erwarten, dass die Konsequenz die Autorisierung wäre. Dann könnte die Piratin nachher nicht mehr lamentieren. Bei der Piratin könnte man erwarten, dass die Konsequenz darin besteht Gespräche zukünftig aufzuzeichnen (wie das die Piraten in NRW laut Markus Kompa schon längst tun).

Nichts davon ist bis jetzt geschehen.

Vielleicht liegt das ja daran, dass die Spielpartnerinnen einfach nur das gleiche Ziel verfolgen. Der Spiegel steuert seine journalistische Tätigkeit nach betriebswirtschaftlichen Kriterien. Er gewinnt mit Piraten-kritischen Artikeln wohl mehr Leser als er verliert und die Piratin ist daran interessiert von möglichst vielen Massenmedien erwähnt zu werden. Beide möchten also das Gleiche. Schlagzeilen generieren. Sonst nichts.

Transparentes arbeiten wird nur dann wirklich wichtig, wenn zu erwarten ist, dass sich die porträtierte, bzw. interviewte Person falsch dargestellt fühlt, d.h. da, wo kritisch berichtet wird.. Weil, siehe @afelia, der Journalist nicht mehr zwangsläufig am längeren Hebel sitzt. Unerfreulicherweise kann das eben auch zu mehr Miteinander im Sinne von „ihnen der Artikel so genehm?“ führen.

[…] Die ehemalige Vorzeigepiratin Marina Weisband und der “Spiegel” liegen gerade im öffentlichen Clinch um ein paar Zitate, von denen Weisband behauptet, sie seien wahlweise so nicht gefallen oder sinnentstellend wiedergegeben worden. Der “Spiegel” wiederum bestreitet das, die Diskussion darüber findet öffentlich auf den Blogs der Beteiligten statt. Aber was könnte eine solche Auseinandersetzung für künftiges journalistisches Arbeiten bedeuten? Dirk von Gehlen hat sich darüber ein paar Gedanken gemacht. […]

Vor allem sollten sich Journalisten mit der deutschen Sprache genauer beschäftigen. Ich habe in Ihrem Text mindestens fünf Kommafehler entdeckt. Das muss nicht sein. Kleiner Tipp: Setzen Sie das Komma dort, wo Sie beim Sprechen tief Luft holen würden. Zur eigentlichen Sache: Wer nicht ganz naiv durch die Welt läuft, erkennt im merkwürdigen Spon-Text die beleidigte Reaktion einer Journalistin, die um ihre Reputation fürchtet – und der nun zum ersten Mal ein richtiger „Shitstorm“ aus dem Netz ins Gesicht knallt.

Die Frage ob Frau Theile oder Frau Weissband hier sich eine andere Realität zurechlegt ist m.E. unerheblich, weil sich hier zwei Medienprofis auf Augenhöhe begegnet sind. Beide wissen, dass bei einem Gespräch von Journalisten und der (Pressesprecherin) der Piraten journalistische rechtliche Grundsätze am Werk sind. Also passe ich als Pressesprecher auf was ich sage, oder bitte die Kollegin darum, was ich jetzt sage, nicht zu schreiben. Das ist alles und mehr an Kompetenz wird nicht verlangt. In der Regel wird dann das Statement zur Kontrolle vom Journalisten dem Pressesprecher zu geschickt und wenn es dann stimmt, ist es gut. Oder Frau Weissband ist keine Pressesprecherin dann gelten schlicht andere Vorraussetzungen, doch die Privatmeinung ist wohl hier nicht das journalistische Interesse, sondern die ehemalige exponierte Stellung. Von Frau Weissband, die als FAZ Bloggerin aber auch wissen müsste, was hier Gegenstand und Interesse von Frau Theile, eine Insiderinformation der ansonsten zu diesem Zeitpunkt kaum Sinn macht. Frau Weissband schadet damit der Partei, weil sie unabgesprochen hier ihre Prominenz ausnützt, aber das ist bei anderen Parteien nicht anders.

Hat mir Frau Theile nicht unlängst erklärt, sie müsse die Piraten in ein schlechtes Licht rücken, weil die eine Gefahr für die FDP seien?
Wer weiß…? Da stünde sicher Aussage gegen Aussage, genau wie im Falle Weisband, und ob das wirklich ehrenrührig wäre…?

Dirk, das ist mir etwas zu einfach. Es geht nicht um Transparenz im journalistischen Arbeiten, so wenig wie es um Transparenz in der Politik als solche geht. Es geht um die Frage von Verantwortlichkeit und Fehlverhalten, um Vertrauen und Misstrauen und die Möglichkeit früher ungewohnter wirkmächtiger medialer Rückkanäle. Hast Du früher als Journalist Fehler gemacht, gabs einen, vielleicht drei oder neun Leserbriefe. Heute kriegst Du da mehr ab – oft auch wegen Korinthen („Kommafehler Zeile 3, ihr Artikel ist schlecht recherchiert!“). Am Ende geht es also in erster Linie um Sorgfalt und sauberes Handwerk. Dazu gehört heute aber auch, dass, wenn ich mich in einem Café treffe, ich mit dem Smarty und dem Einverständnis des Gesprächspartners mitschneide. Das war früher technisch schwierig, ist aber heute ein Nullproblem. Autorisierung ist und war schon immer Schrott, es gilt das gesprochene Wort, aber dann muss ich es auch wirklich ernst nehmen.

Dazu kommt etwas, das mir persönlich wohl besser bekannt ist, als den meisten anderen Journalisten: die Schwierigkeit, sich im Umgang mit einem so flauschverliebten wie streitlustigen Berichterstattungsgegenstand immer wieder zu fragen, was hier beobachtende Teilnahme, teilnehmende Beobachtung und wer hier wen in welchen Teilen eigentlich beobachtet. Die Piraten sind eine Medienpartei, und das meine ich nicht negativ. Das macht aber den Umgang mit ihnen handwerklich ungleich anspruchsvoller als den mit klassischen Parteien, vor allem, wenn – und das gibt es meiner Erfahrung nach bei vielen Kollegen – die Lust am Neuen und die Enttäuschung über das Alte grundsätzlich eigentlich eine Erwartungshaltung in die Newbie-Partei gesetzt haben, die sie gar nicht erfüllen kann. Liebesbeziehungen jeder Art sind für unseren Beruf nun einmal vor allem eines: herausfordernd.

so lange journalistinnen die gespräche und interviews nicht eins zu eins online stellen (wegen gestik/mimik besser als video als als podcast), dann konstruieren sie etwas. der hinweis zu «er/sie hat es so gesagt» ist kein argument, denn er/sie hat es in einem zusammenhang gesagt und klang dabei vielleicht etwas unsicher, stockte oder hat es später dann wieder relativiert. vielleicht hat er/sie sich auch widersprochen. notabene könnte es auch möglich sein, dass jemand sich innerhalb von wenigen stunden oder tagen eines besseren belehren lässt und deshalb seine/ihre meinung ändert. auch das sollte möglich sein; ohne gleich als wankelmütig zu gelten…

Vorab: Ich bin kein Pirat und von daher in der Sache neutral.

Wenn es etwas gibt, was gerade Spiegel- und SPON-Journalisten lernen müssen: Einen guten Teil Selbstherrlichkeit abwerfen, dann klappt’s vielleicht auch wieder mit dem Journalismus.

Wenn jemand kritisch ist, auch mal gegen den Strom schwimmt und einen wirklich engagierten Journalismus vertritt, dann hat er meinen Respekt und muss sich zwangsläufig auch gegen Angriffe von Leuten zur Wehr setzen, denen er oder sie auf den Schlips tritt.

Nur: Bei Spiegel und SPON muss man kritische Denker mit der Lupe suchen, ebenso wie bei der Lifestyle-Fraktion bei jetzt.de und der SZ. Wenn stromlinienförmige Wichtigtuer, und darin besteht die Masse der Journalisten doch derzeit, dann auch noch beleidigt reagieren, wenn man ihre Arbeitsweise in Frage stellt, dann kann man das schlicht nicht ernst nehmen.

Wenn man inzwischen „selbstverständlich“ gezwungen ist, auch als Interviewter eigene Tonaufnahmen zu machen spricht das auf jeden Fall nicht füe vertrauenswürdigen Journalismus. Den Namen „Theile“ jedenfalls werde ich mir merken, falls ich mal wieder in die Verlegenheit kommen sollte, interviewt zu werden.

wow, viele spannende Kommentare. Vielen Dank! Wann wurde (nicht nur hier) schon so ausführlich über die Arbeitsweise von Journalisten diskutiert. Das ist doch erstmal was sehr Gutes.

Ich glaube übrigens wirklich, dass es in dem Fall um Transparenz geht (natürlich im Rahmen des Quellenschutzes) – und zwar um die gleiche Transparenz, die Menschen z.B. bei ihrem Essen einfordern. Sie wollen wissen, die die Speisen hergestellt wurden, die sie kaufen, sie interessieren sich dafür, wo das Fleisch herkommt, das beim Metzger geschlachtet wird. Ähnliches wird auch für den Journalismus kommen. Das ist aber überhaupt nichts Schlimmes, sondern Grundlage für Glaubwürdigkeit

Vielleicht ist es ja ganz gut, dass das alles jetzt so hochkocht. Vielleicht werden dadurch ja mal paar Mechanismen des Politikjournalismus (seichte Personalit-Show und Seifenoper, Meinungsmache, voneinander abschreiben) diskutiert, und dadurch, dass der Scheinwerfer nun auf ihnen liegt, entsteht vielleicht etwas Druck für Veränderungen. Vielleicht bringt es die Piraten ja auch dazu, ihre Medienarbeit etwas bewusster und reflektierter zu gestalten. Denn so traurig der Zustand des Politjournalismus auch ist, er existiert nun mal so, und ihn zu ignorieren, ist auch keine Garantie für wahrheitsgemäße Berichterstattung.

Hallo zusammen,

bin zwar selbst auch kein Pirat und verstehe auch viele hervorgebrachte Kritikpunkte, aber es fällt einem doch irgendwie frappierend auf, wie sich im Laufe der Zeit sich die Berichterstattung grade auch im Spiegel und auf SPON ändert.
Noch vor garnicht allzulanger Zeit konnte man sich als FDPler fast nichtmehr auf die Strasse trauen, mit einem Westerwelle, Rösler (immernoch der Inbegriff von Wählerschwund), Dörings Fahrkünsten und Niebels Teppichen. Man hat alles gehört.
Als es dann soweit war, dass die Partei im öffentlichen Bewusstsein unter der 5% Hürde war, wurde es plötzlich sehr sehr still.
Nun haben im selben Zeitraum die Piraten viele wohlgemeinte Artikel genossen, bis sie wiederum auf über 10% „geschrieben“ wurden. Doch dann begann der umgekehrte Trend: Fehlendes Parteiprogramm, Ponader, Rücktritte und jetzt zb auch M. Weisband.
Man wird wieder bei der nächsten Bundestagswahl unter 5% „geschrieben“.

Was man allerdings nicht vergessen sollte: Wo waren die Piraten vor der letzten Bundestagswahl? Da gabs grade mal eine Randnotiz, dass diese Splitterpartei auch paar Stimmen geklaut hat. Erst in dem Moment, als man die Piraten auf dem Schirm hatte, machte man sich nichtmehr darüber lustig, sondern bedient sich seither einer ermüdenten Diskussion, bis man vor Reizüberflutung taub werden kann. Es ist die Rede von Entzauberung und „Willkommen in der Realität“.
Es scheint also, als hätten manche ein wirkliches Interesse daran die Piraten, wenn man sie nicht demaskieren kann, zur Not auch mit Dreck zu bewerfen, irgendwas bleibt im Gedanken ja hängen, wenn man an die Piratenköpfe denkt.
Lasst euch bitte nicht unterkriegen und passt euch nicht an dieses perverse System an! Meine Stimme habt ihr seit der Landtagswahl in Baden-Württemberg!

In Sachen Piraten habe ich kürzlich auf Telepolis gehörig Medienschelte betrieben und den Journalisten vorgeworfen, die Partei vor allem als Story aufgebaut zu haben. Das kann man so nicht pauschalisieren, aber diese Tendenz existiert dennoch.

Medien selektieren, welchen Teil der Wirklichkeit sie zur Nachricht machen. Dieser Teil muss Nachrichtenwert haben. Es passiert dann schon desöfteren, dass Sätze aus dem Zusammenhang gerissen werden, um knackige O-Töne zu gewinnen. Ein Bekannter von mir ist auf SPON einst mit Bild und Namen zitiert worden, aber er bekam die Worte von vier verschiedenen Personen in den Mund gelegt. Hernach hatte er mit dem Spott der Kollegen zu kämpfen. Diese machten ihn nun für Aussagen verantwortlich, die er nie getroffen hatte. Das kann sehr unangenehm sein.

Für meine Doktorarbeit habe ich mit Zeitungsquellen gearbeitet. Dabei bin ich oft auf seltsame Konstruktionen gestoßen. Vermutungen wurden als Wahrheiten behauptet. Verschiedene Sachverhalte wurden im Text so montiert, dass sie einen Zusammenhang suggerierten, den der Autor aber nicht aussprach. Die Körpersprache von Politikern wurde schein-psychoanalytisch ausgedeutet und am Ende wartete der Autor mit einer Darstellung des Innenlebens des Politikers auf, ohne ihn wirklich kennen zu können.

So etwas macht jeden misstrauisch, der mit Journalisten zu tun bekommt. Das Ergebnis ist, dass letzten Endes Medienprofis die Presseerklärungen so glattbügeln, dass sie auf keinen Fall ein schlechtes Licht auf den Politiker, der sie zu äußern vorgibt, werfen. Aber damit werden diese Äußerungen auch unglaublich langweilig. Dass es dazu kommt, ist mehr eine Beziehungsdynamik. Frau Theile braucht sich da gar nicht zu beschweren, denn sie ist Teil dieser Beziehung, die die eine Seite zur Kontrolle und die andere Seite zur verstärkten Neugierde für Blicke hinter die Fassade treibt.

Möglicherweise müssen Journalisten diese Dynamik reflektieren, deren Teil sie sind. Wesentlich schwieriger wird es für sie, ihre berufliche Situation an sich zu reflektieren, weil sie damit Kritik an ihren Arbeitgebern üben müssten. Saubere Recherche ist teuer und kostet Zeit. Ich ahne, dass das vielen Journalistinnen und Journalisten gar nicht mehr möglich ist. Wie sollen sie daher alle Quellen prüfen können? Sie müssen liefern, also liefern sie eben halbgare Geschichten. Vermutlich sind viele Journalisten durchaus unzufrieden, dass sie nicht ihrem Ethos gemäß arbeiten können.

Fazit: Ich ärgere mich oft über die Fehlleistungen von Journalisten. Aber die Erwartung eines Qualitätsjournalismus ist vermutlich sehr unrealistisch, solange die berufliche Situation so ist, wie sie ist. Das Problem ist mit mehr Transparenz der Journalisten nicht zu lösen.

Ich widersprech Dir da nur zu gerne: die Leute (also einige Interessierte zumindest) wollen nicht wissen, woher das Fleisch beim Metzger kommt. Sie wollen sichergehen, dass es „gutes“ Fleisch ist. Sie wollen sich verlassen können, sie wollen nicht die Recherche/Prozesskette rückwärts laufen müssen. Sie möchten Klarheit haben, was Herkunft, Herstellung und Vertrieb des Produktes angeht. Das ist absolut richtig. Aber das ist für mich nicht „Transparenz“ („ich gebe alle Infos an“), sondern das, was ich Verantwortlichkeit nenne: es gibt definierte Spielregeln und Mechanismen, dass diese eingehalten werden. Für ein Biolabel im Journalismus könnte ich mich also begeistern (allerdings aufgrund der natürlichen Staatsferne des Journalismus nicht für eine Gesundheitsamtskontrolle). Ich glaub wir liegen da im Ergebnis auch recht nah beieinander…

Um die Metapher zu weit zu treiben: Die Leute wollen wissen. wo das Fleisch herkommt. Sie wollen kein Video aus dem Schlachthof.

Ich arbeite nicht für die Presse und habe auch nicht mit ihr zu tun. Kann ich als reiner Konsument der Presse trauen? Definitiv nicht! Verstehen Sic mich nicht falsch ich unterstelle nicht das Alle „nur schreiben was sie wollen“, aber wen ich als interessierter Leser, immer wieder auf grobe Fehler stoße, kann ich auf dauer keinem Artikel mehr trauen.

Eine Möglichkeit die Glaubwürdigkeit eines Berichts zu untermauern ist es die Quellen und Rohdaten offen zu legen. Kaum jemand WILL das alles sichten aber die Tatsache das jemand sich seiner Fakten so sicher ist das er sie von allen Seiten prüfen lässt spricht für sich.

Was mich aufregt sind Meldungen die mit der Wahrheit lügen:
„Angestellte fordern 30% mehr Lohn“ höhrt sich doch anders an als
„Angestellte wollen ihren alten, 30% höheren Lohn zurück“

Viel Aufhebens um kleine Differenzen. Ich habe den Theile-Artikel so gelesen: Viele Piraten fänden es gut, wenn die prominente Marina Weisband wieder das/ein Gesicht der Partei wäre (… die gute alte Zeit). Sie selbst will das nicht, will es aber auch nicht ausschließen. Punkt.

Was stimmt daran nicht?

Dass Merlind Theile ihre Arbeitsweise darstellt (bzw. zur Diskussion stellt), ist grundsätzlich gut. Ihre Aufgabe als Journalistin ist es, Meinungen, Positionen, Sachverhalte zusammenzufassen. Das hat sie in ihrem Artikel auch genau so gemacht. Einen Anlass für den Artikel gibt es durch die Schlömer-Ponader-Schramm-Debatte ebenfalls.

Viel interessanter als Theiles Arbeitsweise finde ich Marina Weisbands Darstellung ihrer eigenen Arbeitsweise. Zum Beispiel: Wenn die Presse dauernd anruft, kann man irgendwann nicht mehr Nein sagen – das wäre sonst unhöflich. Ach so?

Oder: „Als ich mich mit Frau Theile im Café traf, fragte ich, für was das Gespräch denn sei. „Och, das weiß ich noch gar nicht so genau“, sagte sie. Entsprechend beantwortete ich einfach ihre Fragen.“ Ach so?

Nicht nur das Selbstverständnis von Journalistinnen steht also hier zur Debatte, auch der (unbedarfte?) Umgang von Parteileuten mit Presseleuten (vgl. dazu auch Strepp und Söder).

Für die These, dass Journalisten um der Quote willen (oder aus politischem Interesse) Dinge verfälschen, unterstellen, weglassen und hinzu erfinden gibt es bestimmt jeden Tag viele Beispiele. Der Theile-Artikel ist nach jetzigem Kenntnisstand kein gutes Beispiel dafür.

Es sei denn, man spekuliert darüber, wer die beliebte Weisband gegen den radikalen Ponader in Stellung bringen möchte? Dann wäre Frau Theile nicht die Täterin, sondern ihrerseits das unbedarfte Opfer.

Was in dem Artikel fehlt, ist der Hinweis, dass es über die Zitate Email-Verkehr gibt. Wisbrand soll eine kleine Änderung verlangt haben, dem entsprochen wurde, im übrigen die Zitate bestätigt haben.

Ich habe die Vermutung, das wurde hier verschwiegen, um so – zu Lasten des Spiegel – zuspitzen zu können. Sorgfältiges und transparentes arbeiten könnte man diesem Blog attestieren, wenn er sich nach diesen Mails erkundigt, gar beide um Einwilligung zur Veröffentlichung gebeten hätte. Aber dann hätte man ja nicht so frei von der Leber gegen Journalisten im Allgemeinen und den Spiegel im Speziellen polemisieren können

Weisbrand schmollt. Theile zürnt. Und Gehlen & Friends suchen die Wahrheit. Viel Content und Erbsenzählerei auf der Einen und Lüge oder verschleierte Wahrnehmung bei einer Anderen. Gleich wer die Schlacht gewinnen wird, auf der Verliererseite werden wir Piraten finden, die sich nach diesem Vorfall noch juristischer ausdrücken werden, auf Kosten der Authentizität. Die berichtende Zunft wird an ihrer Arbeitsweise wenig ändern, denn die Wahrheit wird immer den Kürzeren ziehen, solange Quote und Publicity das Informationsangebot bestimmen und an letzterem wird auch diese Debatte nichts ändern. Allen Beteiligten viel Spaß bei der Wahrheitsfindung. Ich gehe derweil mit meinen Hunden eine Runde spatzieren.

1. Wie soll denn mehr Transparenz im Journalismus funktionieren? Ich will wirklich nicht vor jedem einzelnen Artikel lesen, wie und unter welchen Umständen er entstanden ist. Zur Wahrung von journalistischer Qualität gibt es doch Standesregeln und in den Redaktionen interne Qualitätsvorgaben.

Journalisten müssen „dokumentieren woher sie Zitate haben und auf welche Quellen sie sich stützen.“ Sorry, aber wenn das nicht bereits seit bestehen Standard beim Spiegel und der SZ ist, habe ich diese Publikationen bisher maßlos überschätzt. Wenn einem Journalisten nachgewiesen werden kann, dass er das nicht gemacht hat, wird ihm im Streitfall ein Shitstorm um die Ohren fliegen, der sich gewaschen hat. Dafür werden die unzähligen Blogs sowie die zahlreichen Leser-Kommentare schon sorgen.

2. „Ein Medium wie der »Spiegel« kann seine Autorität heute nicht mehr dadurch beweisen, dass es aus der Position des Wissenden Behauptungen aufstellt.“ Bisher dachte ich, Journalisten sollen nicht behaupten, sondern nachprüfbare Informationen vermitteln. Natürlich erwarte ich von einem Journalisten, dass er in seinem Fachressort „ein Wissender“ ist. Und ich erwarte auch, dass er in der Lage ist, mir dieses Wissen zu vermitteln. Das ist nämlich seine Aufgabe.

3. Der Informationsgehalt des Artikels von Frau Theile war von vornherein eher dürftig: Frau Weisband will nicht mehr, die Piraten würden es aber gut finden, wenn sie doch wollte. Ehrlich, das habe ich auch schon letzte Woche gewusst. Trotzdem ist es den Piraten (wie meistens) gelungen, ein Medienecho zu erzielen, dass dieser Lappalie in keiner Weise angemessen ist. Aber was passiert? Man kramt die olle Kamelle hervor, man sei ja kein Medienprofi und alle schreiben das wieder ab ohne das mal zu hinterfragen.

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