Experimente des Schenkens

„Wir reden von Medienkrise, und in Wahrheit erreichen alle Traditionstitel von ,Bild‘ über ,Spiegel‘ bis zum ,Handelsblatt‘ doppelt so viele Menschen wie vor Einführung des Internets.“

Der Satz stammt von Gabor Steingart, dem Chef des Handelsblatt. Er plädiert dafür, die Chance des Netzes in den Vordergrund zu stellen, nicht die Risiken. Vor ein paar Monaten hatte Herr Steingart in einem Interview noch die Kostenlos-Kultur des Netzes kritsiert und gemahnt, Inhalte zu nicht zu verschenken.

Im Sommer hatte ich bereits hier notiert, dass ich das Bild des Verschenkens für falsch halte. Denn es ist ein Spezifikum des digitalen Raums, dass Inhalte hier zwar ohne Bezahlung zugänglich gemacht, aber deshalb trotzdem nicht verschenkt werden. Sie werden über Anzeigen finanziert – vielleicht nicht in dem Maße, das sich manch einer wünscht, aber auch nicht so beiläufig, dass man es nicht sehen könnte. In diesen Tagen feiert das Anzeigenmodell Google Adwords zehnten Geburtstag. Diese Idee der Online-Werbung ist nicht gerade unerfolgreich, sie basiert auf dem Prinzip des Verschenkens. Bezahlt wird hier mit Aufmerksamkeit.

Es mag wie eine Detailfrage klingen, ich glaube aber, dass wir so lange Probleme damit haben werden, die Besonderheiten des digitalen Raums zu verstehen und anschließend auch zu gestalten, wie es uns nicht gelingt, diese sprachlich zu fassen. So lange wir das Verschenken kritisieren, werden wir enorme Schwierigkeiten haben, Modelle im Netz zu finden, die helfen, einen hochwertigen Journalismus zu finanzieren. Und die Verschenk-Annahme ist so tief verwurzelt, dass sie selbst ausgewiesene Experten wie unlängst Stephan Weichert und heute auch Christian Jakubetz verwenden. Er schreibt mit Blick auf Murdochs Paywall:

Wenn sich zehn Eisverkäufer nebeneinander aufstellen und neun verschenken ihr Eis, wird es der Zehnte mit seiner Paywall für Eis etwas schwer haben.

Ich glaube das Problem stellt sich anders da, wenn man nicht vom Verschenken spricht und auch die möglichen Lösungen sehen dann anders aus. Gleiches gilt übrigens für das (von Christian ebenfalls angesprochene) Problem des Überangebots an Informationen. Was wäre, wenn das so gar nicht stimmt? Vielleicht hat ja Michael O’Malley recht, der in seinem lesenswerten Text Attention and Information sagt:

Peo­ple often argue that we have too much infor­ma­tion and too lit­tle atten­tion; that this is a con­di­tion of being “mod­ern.” But the oppo­site may be true: that atten­tion is a human con­stant and that it con­stantly seeks new forms.

Ich glaube, dass wir um den digitalen Raum zu verstehen, auch unsere Sprache und Bilder überprüfen müssen. Wir dürfen – wie das Beispiel des Diebstahl-Dilemmas zeigt – nicht den naheliegenden Metaphern vertrauen, wir müssen akzeptieren, dass in einem Raum, in dem die Kosten für den Vertrieb auf Frost-Temperatur fallen andere Bedingungen herrschen als in einem, in dem diese Kosten sommerliche Grad-Zahlen erreichen. Peter Glaser hat seinen großartigen Text Der ganze Planet eine Technosphäre in LeMonde diplomatique unlängst mit der Feststellung begonnen:

Wer online ist, nimmt teil an dem größten kulturellen, ökonomischen und sozialen Experiment des 21. Jahrhunderts.

Ich glaube, dass diese Diagnose stimmt – sogar für diejenigen, die nicht online sind (bzw. glauben, dass sie das nicht sind) Dieses Experiment stellt viele gelernte Dinge in Frage, es fordert uns heraus und neue Ideen. Diese werden wir nur formulieren können, wenn wir die Sprache dafür finden. Das klingt so banal, dass man „geschenkt“ sagen möchte. Ist es aber nicht.

4 Kommentare

Da sind wir gar nicht so weit voneinander entfernt, lieber Dirk. Wenn ich von „verschenken“ spreche, meine ich damit weder, dass das falsch ist, noch dass damit die Ökonomie des Journalismus am Ende wäre. Ich meine damit lediglich im klassischen Sinne: Man erzählt keinen direkt durch einen Umsatz einem bestimmten „Produkt“ zuzuordnenden Erlös. Und ich kritisiere dieses vermeintliche „Verschenken“ auch gar nicht, im Gegenteil. Ich denke, dass es sich dabei um eine alternativloses Modell handelt: das Geld zum Fenster rauswerfen, um es durch die Tür wieder reinzulassen.

Ich glaube, dass sehr wohl Erlöse erzielt werden über Bannerwerbung und über die Aufmerksamkeit, die die „verschenkten Produkte“ auf sich ziehen. Wikipedia hält als definitorisch für ein Geschenk die Tatsache fest, dass es ohne Gegenleistung erbracht wird. Die Gegenleistung bei online veröffentlichten Texten, Tönen und Bildern besteht aber darin, dass Banner daneben gezeigt werden, dass Links platziert werden, dass ich Textfeldanzeigen sehe (vgl. Google Adwords).

Wir sind tatsächlich inhaltlich nicht weit voneinander entfernt, lieber Christian, aber sprachlich. Denn so lange Fachleute wie Du vom „Schenken“ sprechen, ist es sehr schwierig bis unmöglich, netzfremden Menschen klar zu machen, worin denn der Nutzen der neuen Verbreitungswege besteht.

D´accord…aber wie nennen wir es dann? Das ist nicht ironisch gemeint, mir fällt nur kein besserer Begriff ein. „Ausschließliche Werbefinanzierung“ klingt etwas arg sperrig. Und Gratisblätter nennen sich ja auch Gratisblätter, obwohl sie natürlich de facto nicht gratis sind. Kurz gesagt: Wir sind durchaus einer Meinung, haben aber keine gemeinsame Begrifflichkeit :-)

Ich zweifle, ob Schenken der richtige Begriff ist. Er wird zumeist von denen genutzt, die damit gegen die Möglichkeiten des Netzes argumentieren wollen.

Vielleicht sollte man es Verbreitung nach dem Google-Modell nennen?

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