Daily: Meine vier Zweifel an der iPad-Zeitung

Am Wochenende wurde die Meldung öffentlich, Rupert Murdoch und Steve Jobs (also die beiden Organisationen, denen sie vorstehen) machen gemeinsame Sache. Für die morgige Ausgabe der SZ hat der Kollege Jörg Häntzschel die Pläne der beiden, eine Zeitung fürs iPad zu entwerfen, genauer beschrieben.

Es ist unbestreitbar: In dem „Daily“ betitelten Projekt steckt ein besonderer Zauber. Es ist die Hoffnung, dass Jobs und Murdoch zeigen werden, dass das, was viele als Inhaltetransport in Form des klassischen Journalismus bezeichnen würde, doch noch funktioniert. Zwar nicht auf Papier, aber auf dem, was die gleichen Menschen häufig als digitales Äquivalent zu Papier sehen: dem Tablet-Computer. Ich persönlich spüre diesen Zauber nicht, aber ich kann verstehen, woher die Faszination kommt, mit der manch einer über das Projekt spricht. (Mich fasziniert, dass offenbar tatsächlich Sasha Frere-Jones in dem Team mitarbeitet).

Für mich ist daran etwas Anderes bemerkenswert: Indirekt beweist die Freude über diesen Versuch nämlich, wie radikal sich die Medienlandschaft bereits jetzt verändert hat – und was wir daraus lernen können. Ein Technik-Anbieter, dessen Firma sich in manchen Bereichen nah am Monopol bewegt und ein Mann, der das Wort „Medienmogul“ erfunden zu haben scheint, tun sich zusammen. Doch die Meldungen dazu äußern nicht Skepsis, sondern eben die Hoffnung, der Versuch möge doch klappen – eben weil es beweisen würde, dass sich soviel doch nicht geändert hat.

Ich habe keine besondere Qualifikation, Prognosen abzugeben. Doch ich bin skeptisch, ob eine solche reine iPad-Zeitung erfolgreich sein wird. Ihr fehlt all das, was Medien in einer vernetzten Welt ausmacht – und vor allem fehlen ihr diese vier Punkte:

1. Öffentlichkeit
2. Aufmerksamkeit
3. Verbindung
4. Gemeinschaft

Wenn ich im Folgenden zu beschreiben versuche, was ich damit meine, geht es mir weniger um das konkrete Projekt (davon weiß ich auch zu wenig), als vielmehr um den Grundentwurf Zeitung auf dem iPad. Denn ganz so heilbringend wie dieser oft beschrieben wird, ist er (zumindest als iPad-Only Variante) nicht.

1. Öffentlichkeit

Einer der wichtigsten Gründe, warum man eine Zeitung liest, ist die Annahme, dass man es nicht alleine tut. Wäre der Leitartikel oder die große Reportage lediglich eine private Botschaft, die mir der Kommentator oder Reporter persönlich geschrieben hat: beide würden ihren Reiz verlieren. Der steckt nämlich darin, dass die Texte öffentlich sind. Dass andere sie auch lesen, haben wir bisher daran erkannt, dass die Zeitungstexte in Pressespiegeln auftauchten, dass anderen Zeitungen darauf reagierten oder dass Radio und Fernsehen drüber berichteten. All das sind Indizien dafür, dass die Texte, die man liest, eine Öffentlichkeit erreichen. Durch das Netz – das auf andere Weisen unseren Begriff von Öffentlichkeit ebenfalls verändert – ist diese Mitlese-Öffentlichkeit sehr viel unmittelbarer zu erkennen. Es gibt Links, Verweise, Kommentare. Aus dem Publizieren ist ein Kommunzieren geworden.

Einer Zeitung, die eingesperrt in einer App veröffentlicht wird, fehlt diese unmittelbare Öffentlichkeit.

2. Aufmerksamkeit

Er zählt zu den Allgemeinplätzen des Digitalen, der Satz von der Aufmerksamkeitsökonomie im Netz. Aber dennoch hat er einen wahren Kern: Die vom Internet veränderte Medienwelt ist ein Marktplatz der Aufmerksamkeit. Wer hier nur eine mittelbare Öffentlichkeit erreicht, wird keine Aufmerksamkeit aus sich heraus generieren können. Was ich damit meine: Natürlich werden Jobs&Murdoch für Aufmerksamkeit für ihr Daily sorgen. Aber diese Aufmerksamkeit wird Reklame bleiben, sie wird nicht auf die Ebene vordringen, die in der aufgeregten Netzsprache so gerne als viral bezeichnet wird, weil sie sich von alleine weiterträgt. Weil Menschen von einer Idee, von einem Text, von einer Zeitung so überzeugt sind, dass sie ihre Freunde auch überzeugen.

Einer Zeitung, die nur eine mittelbare Öffentlichkeit erreicht, wird diese besondere Form der Aufmerksamkeit nicht zuteil.

3. Verbindung

Sie werden ihre Freunde auch deshalb nicht überzeugen, weil sie diese aus der Tablet-Zeitung heraus gar nicht erreichen können. Die Anschlusskommunikation, die das Netz ermöglicht, das Teilen und Mitteilen von Informationen ist in einer reinen iPad-Zeitung nicht möglich. Dadurch verzichtet eine solche Zeitung auf den Motor, der im Netz für Bewegung – also für Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit – sorgt und schließt eine aktive Leserschaft gerade zu aus. Zudem raubt sie sich selber den Vorteil, den das Tablet gegenüber dem Papier haben kann: digital und sofort weiterverwendbar zu sein.

Eine Zeitung, die die Möglichkeiten der Verbreitung und Verbindung von Informationen bewusst ausschließt, wird unattraktiv für eine aktive Leserschaft.

4. Gemeinschaft

Ein großes Problem, das eine iPad-Zeitung hat, ist dass sie also solche nicht zu erkennen ist. Wer den Leser von Daily beobachtet, sieht lediglich, dass er in ein iPad schaut. Tyler Brule hat das mal so zusammengefasst:

Wenn ich in eine Flughafen-Lounge gehe und Sie mit Ihrem Laptop sehe, weiß ich nicht, ob Sie sich Pornografie auf einer Website aus Bratislava ansehen oder einen Dokumentarfilm auf dem Sundance-Kanal. Sehe ich Sie aber die ZEIT aufschlagen oder den Economist, dann sagt das etwas über Sie, mindestens genauso viel wie Ihre Schuhe, Ihre Jacke, die Uhr an Ihrem Handgelenk oder der Koffer, mit dem Sie unterwegs sind.

Medien, die wir nutzen, sagen etwas über uns. Wer uns bei der Lektüre einer bestimmten Publikation beobachtet, erkennt uns dadurch als Mitglied einer Gruppe. Das Internet hat uns die Möglichkeiten gegeben, diese Gruppe (die man hier Community nennt), abzubilden. Eine reine iPad-Zeitung, die auf den aktiven Leser verzichtet, wird diese Gruppe nicht abbildbar machen können. Das führt zu dem zentralen Problem, das schon aus Punkt 1. Öffentlichkeit resuliert: ich weiß nicht, wer die Zeitung sonst noch liest.

Eine Zeitung, die ihrer Leserschaft keine Möglichkeit gibt, sich selbst zu vergewissern, wird Schwierigkeiten haben, als Marke zu bestehen.

Da die Marke „Daily“ (und sei es nur ein Arbeitstitel) aber eben überhaupt noch nicht existiert, wächst mein Zweifel, warum Leser dieser denn vertrauen sollen. Für mich wäre der einzige Grund, der oben angesprochene Kulturchef Sasha Frere-Jones, also eine Person, die glaubwürdig ist.

Womit wir bei den zwei Dingen sind, die mir sehr positiv auffallen, an dem Daily-Plan: Erstens setzt er auf das Prinzip der Endlichkeit. Daily greift eine Portion aus dem ständigen Fluß der Informationen heraus und bereitet sie (so hoffe ich doch) gut auf. Zweitens geschieht dies am Abend. Ich glaube, dass diese alte Idee einer Abendzeitung sehr gegenwärtig ist.

Das ist gut, aber eine bahnbrechende Innovation ist es meiner Meinung nach nicht.

Update: Mario Garcia zeigt, wie er sich eine Tabloid-Zeitung vorstellen würde.

Update 2: Matthew Ingram beschreibt bei Gigaom, warum man am Daily-Projekt sehen kann, dass Rupert Murdoch noch immer auf Kriegsfuß mit dem Internet steht.

8 Kommentare

Zu den Punkten 1. und 4.: Meiner Meinung nach ist es grade genau das was die klassischen Medienmenschen am Netz nicht verstehen (oder es eben fürchten). Nach dem sich das Netz so lange parallel zu denn klassischen Medien bewegt hat, gibt es im Netz eben auch eine eigene Hirachie, die Reputation der Autoren wird plötzlich nicht mehr an der Zeitung gemessen in der sie Veröffentliche, sondern wieder daran was und wie sie es schreiben. Natürlich gibt es auch im Netz „grosse“ Seiten und bekannte Autoren, aber diesen Ruf muss man sich im Netz eben neu erarbeiten.
Darüberhinaus ist es unwarscheinlich das der Flughafenloungeposingfaktor weg fällt, dafür sind Menschen viel zu eitel. Mittelfristig wird der TabletPC selber erst mal zur gemeinschaftsbildenen Sache „Oh, sie lesen auch online. Ich konnte da ja erst nichts mit anfangen, aber dann habe ich dieses Ding hier geschenkt bekommen und muss sagen…“ und langfristig wird man die angesagten Zeitungen genauso am Layout erkennen wie man heute schon eine auf Spaltenbreite zusammengefaltete FAZ von einer Bild unterscheiden kann.

Das Teilen und Mitteilen findet – wie Sie sicherlich richtig feststellen – nicht auf herkömmlichen und althergebrachtem Wege statt. Vielmehr geschieht dies aus einer solchen Zeitung, ist sie denn entsprechend entwickelt, viel schneller und wesentlich gezielter. Nur eben auf einer vollkommen anderen Ebene – der digitalen. Ohne es genau zu wissen kann ich mir vorstellen, dass genug Links und Vernetzungsmöglichkeiten eingebaut werden, die zu entsprechenden Communities führen oder sich per Mail oder über andere Kanäle verschicken lassen. Das führt zur Herstellung von: Öffentlichkeit, Aufmerksamkeit, Verbindung und Gemeinschaft.

Ich komme auch eher aus dem traditionellen Verlagsgeschäft – jedoch finde ich den Ansatz der beiden Herren sehr interessant und bin gespannt auf den Erfolg(?) dieses Projektes. Hat es von vornherein glaubwürdige Autoren und fundierten Journalismus zu bieten, kann ich mir vorstellen dass es eine qualitative Leserschaft geben wird, die bereit ist den – noch dazu – geringen Betrag aufzuwenden und dieses Projekt vielleicht sogar zu einem wirtschaftlichen Erfolg zu führen. Qoud erat demanstrandum

Mir fehlt in Ihren Ansatz, die Überlegung dass eine Digital Zeitung sich nicht auf ein geschlossenes System eines Herstellers fokussieren sollte. Welches Inhalte auch gerne mal zensiert. Wenn es Daily gleichfalls für die Android Plattform geben sollte, kann ich mir das ganze schon eher vorstellen. Grundsätzlich sollten Digitale Zeitung Geräte unabhängig aufgebauten werden.

Der Kommentar von AZ bezieht sich erstaunlicherweise direkt auf T.Diepenbrucks Kommentar: Selbst wenn es Verlinkungsmöglichkeiten in dem neuen Angebot gibt, die unmittelbare Form von Öffentlichkeit wird durch das geschlossene System nicht erreicht. Und u.a. deshalb glaube ich, Holger Schmidt, dass dieser Versuch, Paid Content so auszuprobieren, scheitern wird.

Die vier Punkte sind ja eben als Hinweis gedacht, den Transport von Inhalte neu zu denken – zum Beispiel in den Kategorien einer sich ändernden Öffentlichkeit, in der andere Aufmerksamkeitsregeln gelten und die Leistung eines Verlags vielleicht weniger darin besteht, einen Transportweg zur Verfügung zu stellen als eher darin, Leserschaften zu versammeln. Wie spannend wäre es, hier neue Paid-Content-Modelle auszuprobieren …

Diese vier Zweifel sind durchaus bedenkenswert. Sie beruhen allerdings – Verzeihung – meines Erachtens auf zwei Denkfehlern bzw. Annahmen, die ich so nicht als gegeben hinnehmen würde.

1.) Was diejenigen Macher von App-Publikationen, die aus der klassischen Medienwelt kommen, antreibt, ist das Erreichen der Zielgruppen, die heute ihre Printpublikationen lesen und die in vermehrtem Maße „nach Online“ abwandern. Das ist nicht identisch mit den derzeit vermehrt online-aktiven Menschen. Letztere legen u.U, Wert auf Vernetzung (inbound und outbound). Das ist NICHT die Mehrheit der Konsumenten. Wir dürfen nicht von uns auf die Allgemeinheit schließen. Die Mehrheit in den angesprochenen Zielgruppen legt weder Wert darauf, die Artikel die sie lesen, zu „sharen“, noch finden sie diese über Vernetzung. Sie rufen Spiegel, Bild, Zeit, Wirtschaftswoche etc. im Netz auf, weil sie diese Marken kennen und schätzen.

2.) Die mangelnde Vernetzungsfähigkeit ist eine Eigenschaft der heutigen App-basierten Publikationen. Diese sind bestenfalls als frühe Experimente einzuschätzen. Ihre Eigenschaften (und Schwächen) dürfen auf keinen Fall als finale Produktmerkmale der Produktkategorie „Medien-App“ angesehen werden. Die bessere Vernetzung mit dem offenen Web (und anderen Apps) ist möglich und wird kommen. Ein paar schöne Ideen hierzu kann man z.B. schon heute in Flipboard sehen.

Ansonsten stimme ich Holger Schmidt zu: „Nun ist die Zeit gekommen, Paid Content auszuprobieren.“ :) Siehe dazu auch einen Artikel von mir, der nun fast auf den Tag genau ein Jahr alt ist: http://notizen.steingrau.de/2009/11/24/paid-content-modelle-im-web-sind-nicht-zum-scheitern-verurteilt/

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