Die Plagiatsplagiat-Diskussion

Gestern habe ich in der FAZ einen Text gelesen, von dem die dortige Redaktion behauptete, er stamme von Durs Grünbein – dieser Eindruck wird auch weiterhin auf der Website erweckt. Dort findet sich kein Hinweis auf das, was man heute in der FAZ lesen kann:

Der Text stammt zu neunundneunzig Prozent von Gottfried Benn.

Das sagt Durs Grünbein im Interview mit der Zeitung. Und erklärt die Intention dieses „Tests“ mit Benns Original-Text so:

Mir ging es nicht um Frau Hegemann. Mir ging es um den Irrsinn einer kriterienlosen Literaturdebatte.

Ob dieser Test geglückt ist, sollen Menschen beurteilten, die sich für die Literaturdebatte interessieren. Zum Beispiel Uwe Wittstock, der laut Perlentaucher in der Welt „einen empörten Kommentar über Durs Grünbeins Hegemann-Verteidigung“ verfasst hat. Die von Google und Perlentaucher verlinkte Fundstelle auf Welt-Online ist allerdings leer …

Mich beschäftigt an diesem Test eine ganz andere Frage, nämlich die, ob man als Zeitung seine Leser so verschaukeln darf. Es ist die naheliegendste Redaktions-Reaktion auf den so genannten Fall Hegemann, selber ein Plagiat zu testen. Ich glaube aber – eben weil es so naheliegend ist – dass man dem nicht nachkommen darf, weil man seine Leser damit in die Irre führt. Der Käufer der gestrigen FAZ glaubt doch, was er da gestern gelesen hat, dass es sich nämlich um „Eine Wortmeldung von Durs Grünbein“ handelt. Er ist in diesem Glauben nicht nur getrogen worden, ihm wird tags drauf auch noch mitgeteilt, dass er auf diese Irreführung aus eigenem Verschulden reingefallen ist. Grünbein sagt

Der gebildete Leser wird natürlich sofort den „Sound der Väter“ herausgehört haben.

und verrät damit alle anderen indirekt, dass sie eben das nicht sind: gebildet.

Ich kann mit dieser Einschätzung leben, finde allerdings bemerkenswert, wie die FAZ so nebenbei eine weitere Annahme in Frage stellt, die bisher für die Debatte über die Zukunft von Zeitungen zentral war: Eine Zeitung, sagte man bisher, ist ein abgeschlossenes Produkt. Eine Einheit, die anders als der ständige Nachrichtenstrom des Netzes, für sich alleine funktioniert. Wer eine Zeitung kauft, kauft damit Informationen, die für sich gelten (jedenfalls zum Zeitpunkt der Drucklegung). Mit dieser Plagitatsplagiat-Debatte stellt die FAZ das in Frage. Sie sagt: Diese Zeitung versteht man nur, wenn man auch die nächste Ausgabe liest. Sie wird damit selber zum Nachrichten-Strom, der seinen wichtigsten Vorteil gegenüber dem Netz, kampflos herschenkt.

P.S.: Zu dieser Einschätzung komme ich übrigens nicht, weil ich heute in der Süddeutschen Zeitung selber einen Text zum Fall Hegemann und zum Umgang mit Mashups veröffentlicht habe (S. 14 in der gedruckten Ausgabe).

Nachtrag, 16.30 Uhr: Durch Zufall bin ich gerade auf die Leser-Reaktionen auf faz.net auf Grünbeins-Test gestoßen. Diese sind erstaunlich: Zum Benn-Text vom Montag schreibt beispielsweise Frank Miksch:

Der alte Nerd-Laden FAZ-Feuilleton machte durch den Dichter Durs „mach mir den Gottfried (Benn)“ Grünbein mit seinem ironisch getupften doppelten Rittberger die ultimative Bruchlandung.

Und Ute Gerhardt fragt

Für wie blöd halten Sie uns eigentlich, Herr Grünbein?

Noch eindeutiger sind allerdings die Leser-Meinungen unter dem heutigen Interview. Dort fragt emile cioran

Finden Sie, Herr Grünbein, finden Sie, wehrte FAZ-Redaktion, dieses Spielchen witzig, originell, geistreich? Was wollen Sie wem damit sagen? Wollen Sie uns zeigen, wie schlau und belesen Herr Grünbein ist – und Sie auch?

Benjamin Küchenhoff ergänzt

Ich war schon verwundert, denn dieser Text war nicht annähernd so klug wie das, was Durs Grünbein sonst schreibt. Jetzt bin ich beruhigt zu erfahren, dass er gar nicht von ihm stammt. Besonders gewitzt finde ich seine Idee im Übrigen nicht.

Und der Leser Wilhelm Friedrich antwortet auf die die FAZ-Frage „Warum haben Sie geklaut, Herr Grünbein?“ mit diesen Worten

Das fragen Sie allen Ernstes, liebe FAZ? Ich weiß die Antwort: Weil er auch was vom großen Axelotl-Kuchen abhaben und auch mal wieder in die Zeitung will.

10 Kommentare

Tja, da haben wohl einige die doppelten Anführungszeichen nicht gelesen? Die FAZ hat’s dem Leser doch nun wirklich einfach gemacht. Sudoku ist schwieriger.

Nicht die FAZ, sondern Herr Grünbein hat die Leser veräppelt, aber wohl auch nur die, die sich diesen unsäglichen Mist der frühreifen Göre und das Gehype darum immer noch antun.

Ich fand es ein wunderbares Spiel mit den nicht so sehr literaturbewanderten Leuten, die alle doch meinen, ihren Senf zu diesem wirren Geschreibsel hinzugeben zu müssen statt sich mit lohnenderen Texten zu beschäftigen oder irgendwas Anderes zu machen

(ja, ich habe auch erst nicht gemerkt, daß der Text von G. Benn war, ja ich habe dieses Buch gelesen, nein ich habe dieses Buch nicht zu Ende gelesen, ja meine Lebenszeit ist mir zu schade für solch Mist, aber immer wert für einen literarischen Scherz) ;=)

Ich gestehe, ich hab’s nicht gemerkt. 99% kann übrigens nicht stimmen, es sei denn man zählt anders.

Ich teile aber Wittstocks Meinung in der „Welt“: Weshalb Grünbein um eines literarischen Scherzes willen eine derart gruselige Argumentation unter seinem Namen erscheinen ließ, ist mir rätselhaft.

Ich find’s ein bisschen billig. Zumal ich immer noch nicht weiss, ob Grünbein Hegemanns Buch nun tatsächlich schätzt oder nicht. Aber das ist in Bezug auf Grünbeins Parallelwelt vermutlich zu profan gedacht.

Stimmt. So ein Spielchen treibt man nicht mit Lesern, sondern mit Redakteuren und Lektoren. Unvergessen ist das Pardon-Attentat auf deutsche Buchverlage. Lang ist’s her: Pardon-Redakteur Robert Gernhardt schickte ein paar abgetippte Musil-Seiten aus dem „Mann ohne Eigenschaften“ an die Großlektoren. Alle schickten das Typoskript zurück wegen Unbegabung. Am lächerlichsten machte sich damals Fritz „Joethe“ Raddatz, damals Rowohlt-Lektor. Das war in den Sechzigern, traf aber die Richtigen.

Kommentare sind geschlossen.